SPD: Sigmar Gabriel - der Quertreiber
Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel wird in seiner Partei nicht mehr gebraucht. Jetzt holt er zur Generalkritik aus. Martin Schulz ist davon offenbar genervt.
Die letzte tiefe Verbeugung der Sozialdemokratie vor Sigmar Gabriel liegt schon beinahe ein Jahr zurück. Mitte Januar 2017 war es, als der damalige SPD-Vorsitzende seinen „Freund“ Martin Schulz zum Kandidaten für die bevorstehende Bundestagswahl und zum Nachfolger für das höchste Amt der Partei zugleich vorschlug. Gabriel galt zu dieser Zeit längst nicht mehr als Hoffnungsträger für einen Sieg gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und war umstritten unter den Genossen. Den freiwilligen Rückzug dankte ihm die Partei umso aufrichtiger.
Am Ende dieses Jahres steht die SPD nicht nur vor der schwierigen Aufgabe, sich zum dritten Mal für eine Regierungsbeteiligung unter Unionsführung zu entscheiden. Sie muss sich auch mit der Aufarbeitung des schlechten Wahlergebnisses befassen und mit der Frage, mit welchen sozialdemokratischen Themen sie in Zukunft Wähler an sich binden will.
Doch der erfahrene ehemalige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel wird dabei nicht mehr gebraucht. Als Martin Schulz am Freitag seine Mannschaft für die anstehenden Sondierungsgespräche mit CDU und CSU vorstellte, leitete er dies mit dem Satz ein: „Wir sehen uns als Team.“ Und man konnte diesen Hinweis auch als Begründung dafür werten, warum Gabriel nicht zu diesem Team gehören wird. Schulz bat zwar neben seinen Stellvertretern in der Partei- und Fraktionsspitze ausdrücklich Genossen in die Mannschaft, die Erfahrungen in Verhandlungen mit der Union haben, aber seinen Amtsvorgänger ließ er außen vor. Obwohl der amtierende Außenminister als Verhandler der letzten großen Koalition ja wie kaum ein anderer über solche Erfahrungen verfügen dürfte.
Kein Teamplayer
Aber Gabriel gilt in der SPD-Führung nicht mehr als Teamplayer. Im Wahlkampf selbst hatte er mit eigenen Auftritten, nicht selten ohne klare Absprache mit der Parteispitze, dem Spitzenkandidaten die Show gestohlen – und ihm zumindest in einem Fall sogar geschadet. Und später, nach der verlorenen Wahl, gefiel sich Gabriel in der Rolle des obersten Kritikers. Als einer, der in erster Linie sich selbst im Blick habe und auf den man sich deshalb nicht verlassen könne, wird Gabriel nun beschrieben. Auch von dem einst freundschaftlichen Verhältnis zum jetzigen Parteivorsitzenden ist wenig übrig. Die Sozialdemokratie stehe, sowohl inhaltlich als auch mit ihrer Entscheidung über eine Regierungsbeteiligung, vor neuen und schwierigen Herausforderungen, sagt einer der Stellvertreter am Sonntag, und Sigmar Gabriel werde bei der Lösung dieser Aufgaben nicht mehr gebraucht.
Schulz beklagt fehlende Sanktionsmöglichkeiten
Das „Handelsblatt“ zitierte Schulz am Sonntag aus einem vertraulichen Gespräch mit sieben SPD-Bundestagsabgeordneten aus Nordrhein-Westfalen, in dem er in einem Wutausbruch über „Heckenschützen“ und zu wenig Unterstützung aus den eigenen Reihen klagte: Immer wieder gebe es Störfeuer von höchster Stelle der Partei und Durchstechereien aus vertraulichen Sitzungen, aber er habe keine Sanktionsmöglichkeiten. Namen soll der Parteichef keine genannt haben – dass die Kritik auf Gabriel und Parteivize Olaf Scholz gemünzt war, sei aber allen Teilnehmern der Runde klar gewesen. In diesem Gespräch soll Schulz auch das Finanzministerium unter Führung der SPD als wichtiges Ziel von möglichen Koalitionsverhandlungen mit der Union genannt haben.
Wie zur nachträglichen Bestätigung des Urteils der Spitzengenossen über die Teamfähigkeit ihres ehemaligen Vorsitzenden holte Gabriel am Wochenende in einem Beitrag für den „Spiegel“ zur Generalkritik an seiner Partei aus – und hintertrieb damit einmal mehr die Bemühungen von Martin Schulz, seine Partei als starken Verhandlungspartner mit eigenen klaren inhaltlichen Forderungen in den Gesprächen mit CDU und CSU zu präsentieren.
Wobei Gabriel mit seinen Forderungen an die eigene Partei, sich weniger mit Umwelt- und Klimaschutz und mehr mit dem Erhalt von Industriearbeitsplätzen zu beschäftigen und vor allem Begriffe wie „Leitkultur“ und „Heimat“ nicht Konservativen und Populisten zu überlassen, durchaus nicht allein ist. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dessen SPD-Mitgliedschaft ruht, hatte sich Anfang Oktober mit dem Heimatbegriff befasst, und der Chef der nordrhein-westfälischen SPD, Michael Groschek, sagte in der „Bild am Sonntag“: „Wir dürfen den Begriff Heimat nicht den Rechten überlassen.“ Die SPD müsse Heimat zu einem Ort von sozialer Geborgenheit und Sicherheit machen. „Menschen erleben den Anstieg von Kriminalität, bröckelnde Straßen und marode Schulen als Staatsversagen.“ Dem müsse sich Politik stellen.