Zum 75. Todestag von Julius Leber: „Sie können stolz sein, dass Ihre Kaserne seinen Namen trägt“
Am 5. Januar 1945 wurde der Widerstandskämpfer Julius Leber im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet. Eine Gedenkrede in der Kaserne, die seinen Namen trägt.
Thomas Oppermann (SPD) ist Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Er hielt diese Rede am Sonntag, 5. Januar 2020, dem 75. Todestag von Julius Leber, in der Berliner Julius-Leber-Kaserne.
Sehr geehrter Brigadegeneral Henne, lieber Herr Prof. Tuchel, lieber Lukas Koppehl, sehr geehrte Damen und Herren,
wir erinnern heute an den Tag vor 75 Jahren, an dem Julius Leber im Gefängnis Berlin-Plötzensee von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde.
Julius Leber war ein tapferer Soldat, ein aufrechter Demokrat und ein mutiger Widerstandskämpfer. Wie kaum ein anderer steht er für die positiven Traditionslinien unserer Streitkräfte und ist damit ein Vorbild für unsere Bundeswehr. Schon als Jugendlicher trat Julius Leber der SPD bei. Nach Ausbildung und Studium meldete er sich 1914 freiwillig zum Kriegseinsatz. Er wurde mehrmals verwundet und mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse ausgezeichnet.
Von Beginn an war Julius Leber ein überzeugter Anhänger der Weimarer Republik. Was man im Gegensatz dazu von den alten Eliten des Kaiserreichs nicht behaupten kann: Sie standen ihr oft skeptisch oder gar feindselig gegenüber.
Als sich Offiziere der Reichswehr mit den Freikorps verbündeten und während des so genannten Kapp-Putsches 1920 gegen die verhasste Demokratie putschen wollten, stellte sich Leber mit seiner Reichswehr-Einheit auf die Seite der jungen Demokratie. Es gelang, den Umsturz zu verhindern.
Da jedoch Extremisten von Rechts und Links in den folgenden Jahren weitere Putschversuche unternahmen, gründeten die Sozialdemokraten gemeinsam mit dem katholischen Zentrum und der linksliberalen DDP ein überparteiliches Bündnis zum Schutz der Demokratie: Das Reichsbanner Schwarz Rot-Gold. Julius Leber engagierte sich von Beginn an im Reichsbanner.
Er hatte nach dem vereitelten Kapp-Putsch die Armee verlassen und in Freiburg im Fach Staatswissenschaften promoviert. Danach war er einige Jahre als Journalist beim sozialdemokratischen „Lübecker Volksboten“ tätig und wurde 1924 erstmals in den Reichstag gewählt. In der SPD-Reichstagsfraktion war er vor allem für Militär- und Verteidigungsfragen zuständig und gehörte zu den pragmatischen Sozialdemokraten, die die Partei für breite gesellschaftliche Schichten öffnen wollten.
Julius Leber ließ sich seine Überzeugungen nicht nehmen
Als die Gewalt auf den Straßen zunahm, stellte das Reichbanner Julius Leber (wie vielen anderen Politikern) einen Leibwächter zur Seite. In der Nacht zum 1. Februar 1933, kurz nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, wurde Julius Leber in Lübeck von SA-Leuten angegriffen. In dieser Auseinandersetzung wurde ein SA-Mann von einem Angehörigen des Reichsbanners tödlich verletzt. Trotz seiner Immunität als Reichstagsabgeordneter wurde Julius Leber daraufhin verhaftet. Zwei Wochen später kam er zunächst frei, wurde aber einen Tag vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz (am 24. März 1933) erneut festgenommen.
Es war ihm deshalb versagt, mit den 94 SPD-Abgeordneten (von 120), die noch in Freiheit waren, gegen die Abschaffung der Demokratie und die Aufhebung der Gewaltenteilung zu stimmen. Die Sozialdemokraten waren die einzigen, die nach einer mutigen Rede von Otto Wels gegen das Gesetz gestimmt hatten. „Durch ihr Nein zum Ermächtigungsgesetz retteten sie nicht nur ihre eigene Ehre, sondern auch die Ehre der ersten deutschen Republik“, wie es Heinrich-August Winkler formulierte.
Auch Julius Leber ließ sich seine Ehre und seine Überzeugungen nicht nehmen. Er schrieb seiner Frau aus dem Gefängnis, dass die Haft seinen Willen nicht brechen könne. Dieser Wille wurde auf eine harte Probe gestellt: Julius Leber musste weitere vier Jahre im Konzentrationslager erleiden. Nachdem sich seine Frau hartnäckig für seine Freilassung eingesetzt hatte, wurde er 1937 aus Sachsenhausen entlassen.
Als Journalist und Politiker konnte er fortan nicht mehr arbeiten. Er betrieb von da an eine Kohlenhandlung in Berlin-Schöneberg, die nach einer Schilderung von Theodor Heuss, dem späteren Bundespräsidenten, eine hervorragende Tarnung für konspirative Treffen war. Julius Leber war klar, dass man die nationalsozialistische Diktatur nicht ohne gewaltsamen Widerstand beenden konnte. Deshalb bemühte er sich, Kontakte zum Offizierskorps der Wehrmacht zu knüpfen. 1941 schloss er sich der Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die das Attentat auf Hitler plante.
Die Widerstandskämpfer der Gruppe kamen aus verschiedenen politischen Lagern und gesellschaftlichen Schichten. Sie einte jedoch die Vorstellung, dass ein Ende von Krieg und Diktatur nur durch Hitlers Tod möglich war.
Julius Leber sollte nach dem Umsturz entweder Innenminister oder gar Reichskanzler werden und den Teil der Bevölkerung, der der Sozialdemokratie nahesteht, in einer Übergangsregierung vertreten. Ihm wurde jedoch zum Verhängnis, dass er parallel Kontakte zu kommunistischen Widerstandgruppen geknüpft hatte, die von Gestapo-Spitzeln unterwandert waren. Anfang Juli wurde Leber verhaftet – dies nahm Stauffenberg zum Anlass, das geplante Attentat nicht länger hinauszuzögern und am 20. Juli 1944 durchzuführen.
Trotz Folter verriet Leber keine Mitwisser der Verschwörung. Nach einem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof wurde Julius Leber zum Tode verurteilt und am 5. Januar 1945, vor genau 75 Jahren, in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Er wurde nur 54 Jahre alt.
Julius Leber war ein Kämpfer für die Freiheit und eine soziale Demokratie. Auch in den dunkelsten Stunden ließ er sich nicht entmutigen, wie das folgende Zitat verdeutlicht: „Nicht immer braucht sich die Geschichte zu wiederholen. Im Laufe der Jahrtausende bricht ein Ideal vielleicht dreimal zusammen, und eines Tages bleibt es doch siegreich.“
Dass Deutschland nur vier Monate später von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft befreit wurde, durfte Leber nicht mehr erleben.
Als die Wehrmacht kapitulierte, lag Deutschland in Trümmern. Die Alliierten zogen die Kriegsverbrecher zur Rechenschaft, setzten aber nicht auf Vergeltung, sondern im Gegenteil: Sie gaben den Westdeutschen die Chance auf einen politischen Neuanfang. Die Bundesrepublik wurde ein freies, sicheres und demokratisches Land und wieder aufgenommen in den Kreis der internationalen Gemeinschaft. Dafür sind wir den Franzosen und Briten, vor allem aber den Amerikanern bis auf den heutigen Tag zu großem Dank verpflichtet.
Die Frage der Wiederbewaffnung polarisierte die junge Demokratie
Viele Deutsche, die von Krieg und Bomben traumatisiert waren, entwickelten eine pazifistische Einstellung. Deshalb war der Aufbau einer Armee – auch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges – sehr umstritten.
Kaum eine Frage hat die junge Demokratie so polarisiert, wie die Frage der Wiederbewaffnung. Eine Lehre aus dem Scheitern von Weimar war, dass unsere Streitkräfte nie wieder als „Staat im Staate“ agieren und mit den Feinden der Demokratie paktieren dürfen. Dies spielte bei der Gründung der Bundeswehr eine wesentliche Rolle. Denn der entscheidende Unterschied zur Reichswehr ist, dass unsere Bundeswehr fest auf dem Boden der Verfassung steht.
Sie ist eine Parlamentsarmee. Ihr Leitbild ist der „Staatsbürger in Uniform“, der nicht blindem Kadavergehorsam, sondern seinem Gewissen folgt und den Werten unseres Grundgesetzes besonders verpflichtet ist. Genau das ist das Konzept der „Inneren Führung“ und die „Philosophie“ der Bundeswehr, auf die Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, zurecht stolz sind. Das Prinzip der "Inneren Führung“ ist vor allem das Vermächtnis von Julius Leber und seinen Mitstreitern aus dem Kreis um Stauffenberg. Er sah es als seine bürgerliche Pflicht an, die Willkürherrschaft des Unrechtsregimes zu beenden und berief sich auf das Recht zum Widerstand.
Für ihn war das eine Gewissensentscheidung. Und es dürfte eine späte Genugtuung für ihn sein, dass sein Handeln die Grundlage für Artikel 20 Abs. 4 wurde, in dem die Väter und Mütter des Grundgesetzes ein wichtiges Element unserer wehrhaften Demokratie festgeschrieben haben: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Dieses Widerstandsrecht und das Konzept der inneren Führung kannte die Weimarer Republik nicht und die Soldaten der Reichswehr kannten es ebenfalls nicht. Natürlich sind auch die Soldaten der Bundeswehr dazu verpflichtet, den Befehlen zu folgen, aber eben nicht um jeden Preis. Oberste Richtschnur Ihres Handelns müssen immer Ihr Gewissen und die Werte unseres Grundgesetzes sein.
Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels hat vor kurzem im Bundestag ausgeführt, was das für jeden einzelnen Soldaten bedeutet: „Jede und jeder einzelne von Ihnen ist die letzte Garantie dafür, dass unser Militär nie wieder verbrecherisch missbraucht werden kann. Sie stehen für Freiheit und Recht. Sie nehmen Ihre Rechte wahr. Sie sind Demokraten in Uniform.“ Kaum eine Persönlichkeit in der Geschichte der deutschen Streitkräfte verkörpert dieses Prinzip so eindrucksvoll wie Julius Leber.
Sie können stolz darauf sein, dass Ihre Kaserne seinen Namen trägt.
Thomas Oppermann