100 Jahre Weimarer Reichsverfassung: "Demokratie ist und bleibt ein Wagnis"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnt beim Festakt in Weimar, dass jeder, der sich abwende, der Demokratie fehle und sie schwäche
Schwarz-Rot-Gold, sagt Frank-Walter Steinmeier, „das waren immer die Farben von Einigkeit und Recht und Freiheit.“ Ob es da nicht historisch absurd sei, wenn diese Fahne heute „am Auffälligsten ausgerechnet von denen geschwenkt wird, die einen neuen nationalistischen Hass entfachen wollen?“ Im Weimarer Nationaltheater brandet ein sehr demonstrativer Applaus auf.
Die Live-Kamera schwenkt vom Podium mit dem Bundespräsidenten hinein ins Publikum. Mittendrin sitzt Björn Höcke und verzieht das Gesicht zu einem schrägen Lächeln. Der AfD-Rechtsaußen klatscht nicht. Er ist ja auch gemeint. Die Erinnerung an einen der Gründungsakte der ersten deutschen Republik wird hundert Jahre später wieder ein Politikum.
Die Gründungsakte der deutschen Demokratie ist erschreckend aktuell
Das Nationaltheater ist bis auf den letzten Platz gefüllt, die Spitzen der Verfassungsorgane vollzählig in der ersten Reihe von der Kanzlerin bis zum Präsidenten des Verfassungsgerichts. Stummfilmschnipsel aus Wochenschauen flimmern etwas von der Atmosphäre des Jahres 1919 in den Saal: Menschenmassen am Wahltag im Januar, eine Blaskapelle auf einem Lastwagen – Wahlkampf anno dunnemals – Männer mit steifen Hüten, die sie höflich vor der Kamera lüften. Als Maria Juchacz im Bild erscheint, klatschen einige. Die Sozialdemokratin war die erste Frau, die eine Rede in der Weimarer Nationalversammlung hielt; zum ersten Mal hatten Frauen mitwählen dürfen. Hundert Jahre – lange her.
Und doch wieder aktuell. Steinmeier erinnert sich, dass er beim 90. Jubiläum vor zehn Jahren hier noch vor kleinem Publikum fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit sprach. Jetzt steht er erneut an der gleichen Stelle vorne an der Bühne, von der 1919 fast auf die Minute genau Friedrich Ebert die verfassungsgebende Versammlung eröffnete: „... unser großes Ziel fest vor Augen, in Deutschland eine starke Demokratie fest zu verankern“, zitiert der Bundespräsident den späteren Reichspräsidenten.
Die Farben der Freiheit darf man nicht deren Verächtern überlassen
Dass die Weimarer Demokratie sich als zu schwach erwies, ist heute Gemeingut; dass das Grundgesetz auch den Versuch darstellte, aus Fehlern und Schwächen des Weimarer Vorläufers zu lernen, fast ein Gemeinplatz. Steinmeier warnt aber vor allzu bequemen Schlussfolgerungen, „Kurzschlüsse“ nennt er sie. Weder habe es nur an der Reichsverfassung gelegen, dass die Republik in der braunen Diktatur endete, noch schütze ein gutes Grundgesetz vor erneutem Scheitern. „Demokratie ist und bleibt ein Wagnis, weil sie sich ihren Bürgern anvertraut“, mahnt das Staatsoberhaupt. Jeder, der sich von ihr abwende, fehle der Demokratie; deshalb dürfe man keinen achselzuckend ziehen lassen: „Sie ist angewiesen auf demokratische Patrioten.“
Patrioten – das ist, der Sozialdemokrat Steinmeier weiß das genau, ein Begriff mit einem großen Potential zum Missverständnis. Er hegt ihn denn auch später etwas ein: „Ein demokratischer Patriotismus in unserem Land kann ... immer nur ein Patriotismus der leisen Töne und der gemischten Gefühle sein.“ Weimar ist ja nicht nur Stadt der ersten Republik und der Dichterfürsten Goethe und Schiller, sondern auch Ort des KZ Buchenwald.
Die Erinnerung auch daran gehöre nicht nur dazu, sondern sei „konstitutiv“ für die Bundesrepublik, betont der Präsident. Umso weniger dürften demokratische Patrioten das preisgeben, was als Symbol für den hellen Teil der Geschichte steht. „Am 31. Juli, an dem Tag, an dem die Weimarer Verfassung angenommen wurde, wehte die schwarz-rot-goldene Fahne vom Ostgiebel dieses Theaters“, erinnert er das Publikum. Die Fahne des Hambacher Fests und der Paulskirche, der Weimarer und heute der Berliner Republik. „Schwarz-Rot-Gold, das sind unsere Farben!“ ruft Steinmeier. „Überlassen wir sie niemals den Verächtern der Freiheit!“ Wieder brandet starker Beifall auf. Diesmal verzichtet die Kamera auf Höcke. Er ist trotzdem wieder gemeint.
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