Nach Anschlägen in London und Antwerpen: Sicherheitskreise befürchten Nachahmungstaten in Deutschland
Fahrzeuge als Tatwaffen für Anschläge sind nicht neu. Nun wieder in London und Antwerpen. Sicherheitsexperten vermelden eine erhöhte Gefahr auch in Deutschland.
Die britischen Behörden behalten zunächst ihre Vermutungen und Erkenntnisse zum Attentäter für sich. Aus ermittlungstaktischen Gründen, heißt es. Donnerstagvormittag erfahren dann Polizei und Nachrichtendienste in Deutschland, der Terrorist sei in Großbritannien geboren und habe mutmaßlich pakistanische Wurzeln. Sein Name sei Khalid Masood. Er sei 52 Jahre alt und damit ungewöhnlich alt für einen Attentäter. Die britische Premierministerin Theresa May sagte, der Mann sei dem britischen Geheimdienst bekannt gewesen. Er stammt offenbar aus Birmingham. Am Donnerstagmorgen wurden dort auch sechs Objekte von der Polizei aufgesucht und sieben Verdächtige festgenommen.
Birmingham sei „ein Hotspot“ militanter Islamisten, sagen Sicherheitskreise. Drei der vier Selbstmordattentäter, die am 7. Juli 2005 in London 56 in den Tod rissen, hatten ebenfalls pakistanische Wurzeln. 2011 hob die Polizei in der Stadt eine von Al Qaida radikalisierte Terrorzelle aus, die verheerende Bombenanschläge geplant hatte, bei denen mehr als 2000 Menschen sterben sollten. Zwei Anführer hatten in pakistanischen Terrorcamps trainiert. Die britischen Sicherheitsbehörden überwachten die Männer jedoch schon früh und bekamen mit, dass die Dschihadisten die Täter der Londoner Anschläge vom 7. Juli 2005 kritisierten – weil die Rucksackbomben damals nicht mit Nägeln präpariert waren.
Das Auto als Tatwaffe wie in London ist nicht neu. Auch bei den Anschlägen in Nizza und Berlin wurden Fahrzeuge eingesetzt. Neu in London ist jetzt allerdings die Kombination der Tatmittel Fahrzeug und Messer. Der Täter in London hat ein modernes Element des Do-it-yourself-Dschihad, das Auto, mit einer klassischen, seit Jahrhunderten genutzten Mordwaffe von Terroristen kombiniert. Deutsche Sicherheitsexperten sehen einen hochgefährlichen Präzedenzfall – und fürchten Nachahmer. In einschlägigen Internetforen seien Beiträge zu finden, in denen Salafisten darüber diskutieren, Autos zu beschaffen. Dieses "Grundrauschen" sei deutlich stärker als nach dem LKW-Anschlag von Anis Amri in Berlin. Am Donnerstag hatte auch ein mutmaßlicher Attentäter im belgischen Antwerpen versucht, mit einem Auto in eine Menschenmenge zu fahren.
IS bekennt sich zu Anschlag in London
Am Donnerstag bekannte sich der IS zu dem Anschlag in London. Der Angreifer vor dem britischen Parlament sei "ein Soldat des Islamischen Staates" gewesen, hieß es in einer am Donnerstag verbreiteten Botschaft des IS-Sprachrohrs Amaq. "Die Operation folgte dem Aufruf zu Angriffen auf die Länder der Koalition", hieß es weiter mit Bezug auf die Staaten, die sich in einer internationalen Koalition am Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak beteiligen. Amaq berief sich in der Mitteilung auf "eine Sicherheits-Quelle".
Für deutsche Sicherheitskreise war schon Mittwochabend kaum zu bezweifeln, dass die Tat einen islamistischen Hintergrund hat. „Das passt alles zum Konzept des Do-it-yourself-Terrors, das der IS und Al Qaida propagieren“, heißt es. Im September 2014 hatte der damalige Sprecher des IS, der Syrer Abu Mohammed al Adnani, in einer Audiobotschaft die Anhänger der Terrormiliz animiert, auf eigene Faust die „Kuffar“, die verhassten Ungläubigen, zu attackieren. „Zerschlagt ihre Köpfe mit einem Stein, schlachtet sie mit einem Messer, überfahrt sie mit einem Auto, werft sie von einem hohen Punkt, erstickt oder vergiftet sie“, deklamierte der hochrangige IS-Kader.
Der ganze Aufwand für den Bau einer Bombe entfällt
Und die Botschaft kam an. In Nizza, wo am 14. Juli 2016 der Tunesier Mohamed Lahouaiej Bouhlel mit einem Lkw über die Promenade des Anglais raste und 86 Menschen tötete. In Berlin, wo Anis Amri am 19. Dezember 2016 einen Truck kaperte und zwölf Menschen tötete. Und Adnanis Hetze stimulierte nun womöglich auch den Täter in London.
„Das Tatmittel Fahrzeug ist für Terroristen leider ideal“, sagt ein hochrangiger Sicherheitsexperte. „Jeder kann sich einen Wagen besorgen und damit in eine Menschenmenge rasen. Der ganze Aufwand für den Bau einer Bombe entfällt.“ Und selbst ein streng bewachtes Areal wie die Umgebung des britischen Parlaments sei gegen solche Taten nicht zu schützen, wenn gleich in der Nähe eine vielbefahrene Straße verläuft.
Neu ist jetzt allerdings die Kombination der Tatmittel Fahrzeug und Messer. Der Täter in London hat ein modernes Element des Do-it-yourself-Dschihad, das Auto, mit einer klassischen, seit Jahrhunderten genutzten Mordwaffe von Terroristen kombiniert. Deutsche Sicherheitsexperten sehen einen hochgefährlichen Präzedenzfall – und fürchten Nachahmer.
Genau darauf setzt der IS. Die Terrormiliz hat im Oktober 2016 in ihrem Internet-Magazin „Rumiyah“ („Rom“) detailliert erklärt, wie Messerattacken zu führen sind. Wie man sich an das Opfer heranschleicht, wo es besonders verwundbar ist, welches
Stichwerkzeug gut geeignet ist und welches weniger, weil sich der Kämpfer selbst verletzen könnte, wenn die Faust beim Angriff in die Klinge rutscht. Garniert ist die mörderische Bedienungsanleitung mit einer perversen Fotoästhetik. Auf dem Cover und den Seiten im Inneren präsentiert der IS ideale Messer für ein Attentat. Eine Klinge ist bereits blutverschmiert. Womöglich wurde mit diesem Messer der Kopf eines Gefangenen abgetrennt. (mit AFP)