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Alles muss auf den Tisch. Die Grünen stehen jetzt in der Pflicht, ihre Vergangenheit endgültig aufzuarbeiten.
© dpa

Grüne und der Kindesmissbrauch: Sich schämen reicht nicht!

Für die Grünen mag es schwer sein, sich den Verfehlungen aus der Anfangsphase zu stellen. Doch vor allem Berlins Grüne stehen nun in der Pflicht, unnachgiebig aufzuklären und Verantwortung zu übernehmen. Ein Kommentar.

Wir schämen uns – das einzugestehen, wie es die Berliner Grünen-Führung jetzt tut, ist beachtlich. Aber es ist auch das Mindeste. Immerhin geht es um sexuellen Missbrauch von Kindern durch Parteifreunde. Es ist monströs, was in der Alternativen Liste, Vorläuferorganisation von Bündnis 90/Die Grünen, geschah – bis in die 90er Jahre.

Ja, es ist schwer, sich diesen Verfehlungen aus der Anfangsphase der Grünen zu stellen. Damals verklärten Pädophile sexuelle Gewalt gegen Kinder als selbstbestimmte Liebe und warben dafür auf Bundesparteitagen offensiv. Viele Mitglieder waren dabei, denen das heute peinlich ist. Sie bemühen den Zeitgeist von damals und das Eintreten für eine befreite Sexualität, um zu erklären, warum die junge Partei so passiv gegenüber diesen Gruppen war. Damals, als Täter Solidarität einklagen und sich als Opfer einer rigiden Sexualmoral darstellen konnten, ohne dass ihnen Einhalt geboten wurde.

Im Bund ist die Aufklärung vorangekommen. In den Landesverbänden steht sie noch am Anfang. Was in Berlin passiert ist, geht auch weit über die Haltung auf der Bundesebene hinaus. Seinerzeit wurden sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern offen propagiert. In Berlin haben offenbar mehrere Täter die Strukturen der Alternativen Liste aktiv genutzt, um ihr Missbrauchsnetzwerk zu etablieren, und haben ihre Ziele in Arbeitskreisen verfolgt. Da tagten sie auch regelmäßig in der Wohnung eines Täters.

Trotz erklärtem Aufklärungswillen: dass die Berliner Grünen betonen, sie hätten nicht feststellen können, ob es in Parteiräumlichkeiten oder bei Parteiaktivitäten zu sexuellem Missbrauch gekommen sei, ist zynisch. Die sexuelle Gewalt wird auf diese Art in die private Sphäre verwiesen. Für die Opfer, deren Perspektive den Grünen doch immer so wichtig ist, ist das eine erneute Verletzung.

Kollektives Versagen

In ihren Anfangsjahren ist die Alternative Liste allein von der Ablehnung durch die anderen, durch die etablierte Politik, zusammengehalten worden; und zusammengehalten wurde eine inkompatible Mischung von Akteuren. Was wiederum verhinderte, dass Front gegen die gemacht wurde, die grüne Ideen diskreditierten. Kollektives Versagen einzugestehen ist deshalb heute so hart für die Partei, weil sie sich weit entfernt hat von den wirren Gründungszeiten. Das Versagen der Parteistrukturen bis in die 90er Jahre hinein gibt der Aufarbeitung allerdings eine neue, brisante Aktualität. So waren beispielsweise Renate Künast und Hans-Christian Ströbele, die selbst immer moralisch fundierte Politik fordern, schon damals in führender Position.

Doch wie schmerzlich ist es für die Opfer, für die, die sexuelle Gewalt erfahren haben! Deswegen vor allem stehen Berlins Grüne in der Pflicht, unnachgiebig aufzuklären und Verantwortung zu übernehmen. Jetzt muss alles auf den Tisch, so furchtbar die Vorgänge auch sind. Niemand kennt die genaue Zahl der Opfer. Ganz und gar befremdlich wirkt daher der Streit, ob es bis zu 1000 Kinder oder weniger waren, die von grünen Aktivisten missbraucht wurden. Wäre es weniger furchtbar, wenn es 800 Opfer waren?

Wie konnte das passieren – diese Frage ist Richtschnur für einen glaubwürdigen Prozess der Reue. Ohne Demut und klare Bekenntnis zur Schuld kann es die Entschuldigung, um die die Berliner Parteiführung bittet, nicht geben.

Gerd Nowakowski

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