Populisten in Europa: Selbsternannte Volksvertreter überall
Die AfD steht vor dem Sprung in den Bundestag. Wie wird der Umgang mit Populisten in anderen Staaten Europas diskutiert?
Der Duden definiert Populismus als eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik , die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (...) zu gewinnen“. Das Erfolgsrezept von Populisten scheint auf einer kurzen Formel zu basieren: Einfache Antworten auf schwierige Fragen geben.
Politikwissenschaftler warnen mit Blick auf Erfahrungen aus anderen Ländern davor, die AfD auszugrenzen. Dies könne Wähler in ihrem Eindruck bestärken, dass die Populisten tatsächlich die einzige Alternative zu den etablierten Parteien seien. Als anderes Extrem gilt der Versuch, die Populisten einzubinden bis hin zu einer Regierungsbeteiligung, wie in jüngerer Vergangenheit in Norwegen und Finnland oder auch Österreich, wo die FPÖ jahrelang mitregierte. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Populisten bei der nächsten Wahl verlieren, ist aus Sicht von Demoskopen hoch, da viele ihrer Anhänger sie dann bereits als Teil des Systems betrachteten. Allerdings können die Populisten als Mitglied der Regierung einen Teil ihres Programms umsetzen. Ein Blick auf andere Länder Europas.
SCHWEDEN
Als die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) im Herbst 2010 mit einem Stimmenanteil von 5,7 Prozent zum ersten Mal ins schwedische Parlament einzogen, waren sich die anderen Parteien einig: Isolation hieß die Devise. Dies geschah ohne großes Aufheben, spektakuläre Protestaktionen blieben die Ausnahme. Einmal trat eine Linken-Abgeordnete in einem T-Shirt mit dem Aufdruck „SD=Rassisten“ ans Rednerpult, vereinzelt verweigerten Parlamentsmitglieder Handschläge. Ansonsten war man höflich zueinander, redete das Nötigste, mehr nicht.
An dieser Haltung änderte sich auch nichts, als die Rechtspopulisten bei den Wahlen 2014 auf knapp 13 Prozent kamen. Der neue sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven bezeichnete SD als „unseriöse, rassistische Partei mit Wurzeln im Nazismus“ und schloss eine Zusammenarbeit kategorisch aus. Dann kam im Januar dieses Jahres der große Tabubruch. Überraschend verkündete die Vorsitzende der Konservativen Anna Kinberg Batra, man könne sich künftig eine Kooperation mit den Schwedendemokraten „in gewissen Fragen“ durchaus vorstellen.
Damit war die Isolation der einwanderungsfeindlichen Partei gebrochen. Heute Batra nicht mehr Parteichefin und die Konservativen haben sich von ihren Worten distanziert. Doch der Wackelkurs der Partei kommt nicht von ungefähr. Meinungsumfragen zufolge sind die Schwedendemokraten mit knapp 19 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei hinter den Sozialdemokraten. In einem Jahr sind Parlamentswahlen und die Lage ist vertrackt. Zwei Blöcke, ein linker und ein konservativ-liberaler, stehen sich gegenüber. Für keinen der beiden reicht es zu einer eigenen Mehrheit.
Die Schwedendemokraten gingen 1988 aus einem Sammelsurium rassistischer und nazistischer Organisationen hervor. 2005 übernahm Jimmie Åkesson den Vorsitz und verpasste den SD einen Imagewechsel: Blazer statt Bomberjacke, Gelfrisur statt Glatze. Das Leberblümchen, praktischerweise blau-gelb und klassisches Frühlingszeichen, ersetzte die Hand mit Fackel als Parteisymbol. Das Blümlein, so der Parteivorstand, wecke jedes Jahr eine ganze Nation aus dem Winterschlaf. Gleichzeitig verordnete sich die Partei nach außen „Nulltoleranz gegen Rassismus und Nazismus“.
Damit klappt es nicht sehr gut. Björn Söder, SD-Mitglied und Vizepräsident des Parlaments, sagte zum Beispiel in einem Interview, Juden und Sami hätten keine schwedische Identität. Die Aufregung war groß – und die Schwedendemokraten fühlten sich, wieder einmal, von den Medien missverstanden. Diese schwanken in ihrer Haltung. Noch im Wahlkampf 2010 bezogen die beiden großen Boulevardzeitungen deutlich Stellung gegen SD, das öffentlich-rechtliche Fernsehen schloss die Partei von den Wahldebatten aus. Mittlerweile sind SD-Vertreter ein normaler Bestandteil von Gesprächsrunden und Talkshows.
GRIECHENLAND
In Griechenland haben sich linke und rechte Populisten glücklich gefunden: Alexis Tsipras, Chef der linksgerichteten Partei Syriza, und sein Juniorpartner Panos Kammenos, der Führer der kleinen rechten Partei Anel (Unabhängige Griechen). Es war, als ob Donald Trump und Bernie Sanders beschlossen hätten, gemeinsam zu regieren, schrieb Stathis Kalyvas, ein Politik-Professor, im US-Magazin „The Atlantic“. In Wahrheit geht es um drei populistische Kräfte im Griechenland der ewigen Schuldenkrise. Neben Syriza und Anel hat sich die Faschistenpartei Goldene Morgenröte bei sieben Prozent eingerichtet. Für Nuancen ist wenig Platz. Ein Blick in die Zeitungen oder ins Fernsehen macht das schnell klar. Populisten gegen Establishment heißt es.
Der historische Machtwechsel, der 2015 erstmals in Europa eine linksradikale Partei mit 36,3 Prozent Stimmanteil an die Regierung brachte, hat die alte Konfrontation zwischen Nea Dimokratia und Pasok ersetzt, den Bürgerlich-Konservativen und den zur Kleinpartei gewordenen Sozialisten. Pausenlos trommelt die als seriös geltende konservative Tageszeitung „Kathimerini“ auf die linksgeführte Regierung des Volkstribunen Tsipras ein. „Gefährliche Inkompetenz“, „Verschwendungssucht und Zynismus“, „Leerer Sieg“ lauten die Titel der Leitartikel. Es gibt nichts, was Tsipras und seine Syriza richtig machen können.
Selbst hinter den kleinen positiven Konjunkturzahlen sehen die Tsipras-Gegner nur Versagen und Vorboten neuerlichen Scheiterns. „Kathimerini“, „Protothema“ – eine rechte Tageszeitung mit einer Radiostation –, der viel gesehene Privatsender Skai TV und Blätter der politischen Mitte überbieten sich in Vorwürfen über den Populismus der Links-rechts-Regierung. Die Größe eines politischen Führers messe sich nicht daran, ob er die Wahrheit sage, so formulierte Alexis Papachelas, Chefredakteur von „Kathimerini“, in einem Leitartikel. Große Politiker seien imstande, Dinge zu sagen, an die sie glaubten und die der öffentlichen Stimmung entgegenstünden. Papachelas fielen zwei konservative Regierungschefs der Nea Dimokratia ein – Konstantinos Karamanlis und Konstantinos Mitsotakis.
Tsipras, der den Bruch mit den Kreditgebern versprach und dann ein neues Sparprogramm unterschrieb, bestand diesen Test natürlich nicht. Seine Kehrtwende wird auch von linken Meinungsmachern hart kritisiert. Bisher verfolgte der Regierungschef mit Erfolg eine Strategie der Einvernahme. Mit der Aufnahme der rechtspopulistischen Partei Anel verschaffte sich Tsipras einen problemlosen Koalitionspartner, mit der Wiedereröffnung des aus Spargründen geschlossenen Staatssenders ERT eine freundliche Berichterstattung.
Italien und Frankreich: Der Jungstar und die Angeschlagene
ITALIEN
Das „Movimento5Stelle“ (M5S), die Fünf-Sterne-Bewegung des ehemaligen Komikers Beppe Grillo, wird in diesen Tagen per Abstimmung im Internet ihren Spitzenkandidaten für die voraussichtlich im Frühjahr anstehenden Parlamentswahlen bestimmen. Doch der mögliche nächste italienische Regierungschef steht faktisch längst fest: Die Aktivistinnen und Aktivisten des M5S werden den 31-jährigen Luigi Di Maio per Mausklick auf den Schild heben, den bisherigen Vizepräsidenten der Abgeordnetenkammer und Aushängeschild der Fünf-Sterne-Parlamentsfraktion.
Der politische Jungstar aus Avellino in Kampanien hat keinen Beruf gelernt und auch kein Studium abgeschlossen; er verheddert sich bei jedem Konjunktiv und glaubt, Pinochet sei Diktator in Venezuela statt in Chile gewesen. „Bevor er 2013 ins Parlament gewählt wurde, ist Di Maio noch mit dem Taschengeld seines Papas Pizza essen gegangen“, spottete Kampaniens Regionalpräsident Vincenzo De Luca.
Das trifft die Sache gut, aber Di Maio ist einer der ganz wenigen Exponenten der Protestbewegung, die sich auch einmal einen Schlips umbinden: Der adrette Süditaliener ist das institutionelle Gesicht der Grillo-Populisten. Politische Kompetenz war in der Chaoten-Truppe noch nie für unabdingbar empfunden worden: Grillo punktet wie alle Populisten mit aggressiven Angriffen gegen die traditionellen Parteien, die er – in Italien nicht immer ohne Grund – als korrupt und mafiös verunglimpft. Inzwischen laufen aber auch gegen zahlreiche Politiker des M5S Ermittlungen, unter anderem auch eine gegen Di Maio wegen übler Nachrede. Saubermann Grillo hat deshalb in aller Eile eine interne „Lex Di Maio“ eingeführt, die besagt, dass für politische Ämter neuerdings auch Mitglieder kandidieren dürfen, die Probleme mit der Justiz haben. Vorausgesetzt, es handle sich um „geringfügige“ Delikte.
Lange haben derartige Kapriolen und Kehrtwendungen der Bewegung nicht geschadet – bei den Pleiten und Pannen des M5S handelte sich nach Lesart des Ex-Komikers nur um Verdrehungen und Verleumdungen durch die Systempresse. Doch in den vergangenen Wochen hat sich der Wind gedreht: Die Protestbewegung liegt in den meisten Umfragen mit 26 bis 28 Prozent zwar immer noch knapp in Führung oder zumindest gleichauf mit dem regierenden sozialdemokratischen PD von Ministerpräsident Paolo Gentiloni. Doch während der PD in den Umfragen zulegt, verliert das M5S Stimmenanteile.
Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen hat das totale Versagen der „Grillina“ Virginia Raggi, die seit mehr als einem Jahr erfolglos versucht, die Hauptstadt Rom zu regieren, selbst bei Anhängern der Protestbewegung zu einem Nachdenken darüber geführt, ob ein Minimum an politischer Kompetenz und Erfahrung doch nicht ganz falsch wäre. Zum anderen hat die Regierung Gentiloni bei dem Thema, das die Bürgerinnen und Bürger am meisten bewegt, gerade einen ebenso unerwarteten wie durchschlagenden Erfolg erzielt: Innenminister und Ex-Kommunist Marco Minniti hat den Zustrom von Migranten aus Libyen weitgehend zum Erliegen gebracht. Dieser Erfolg der Mitte-links-Regierung wird im Wahlkampf auch einem möglichen populistischen Regierungspartner des M5S einigen Wind aus den Segeln nehmen: der ehemals separatistischen Lega Nord, die längst zur monothematischen, rassistischen Ausländer-raus-Partei geworden ist.
FRANKREICH
Ignorieren oder nicht? Die Frage stellt sich in Frankreich angesichts des Zulaufs des rechtsextremen Front National (FN) seit Langem nicht mehr. Der FN gehört längst zur politischen Landschaft. Zwar stellt die Partei wegen des Mehrheitswahlsystems in der Nationalversammlung nur acht von 577 Abgeordneten und spielt in den Parlamentsdebatten kaum eine Rolle. Trotzdem geben die Medien dem FN und ihrer Vorsitzenden Marine Le Pen viel Raum. Als die 49-Jährige vor knapp zwei Wochen im Dorf Brachay im Nordosten des Landes ihre erste Rede nach der Sommerpause hielt, war der Nachrichtensender LCI während der gesamten 45 Minuten live dabei.
Als der Vater der Parteichefin, Jean-Marie Le Pen, 2002 in die Stichwahl ums Präsidentenamt gelangte, verweigerte sich der damalige Staatschef Jacques Chirac noch einem TV-Duell. 15 Jahre später musste sich Emmanuel Macron, der sich im Frühjahr im Präsidentschaftswahlkampf als „Anti-System-Politiker“ präsentierte, auf eine Debatte mit Marine Le Pen vor einem Millionenpublikum einlassen. Er profitierte am Ende sogar von dem Schlagabtausch. Denn mit ihrem aggressiven Auftritt entzauberte sich die FN-Chefin selbst – mit der Folge, dass sie bei der Wahl weit schwächer abschnitt als erwartet.
Bei der Debatte vertrat Le Pen seinerzeit unter anderem die gewagte These, dass es der britischen Wirtschaft seit dem Brexit-Referendum vom Juni 2016 so gut gehe wie noch nie. Doch damit kam sie nicht durch: Zeitungen wie „Le Monde“, „Figaro“ und „Libération“ unterzogen die Aussagen Macrons und Le Pens in ihren Live-Streams einem Faktencheck. Bei Le Pens Aussagen kamen sie vielfach zum begründeten Urteil: „falsch“. Der Wahlkampf im vergangenen Frühjahr machte auch deutlich, dass der FN regional unterschiedlich in der Bevölkerung verankert ist. Während sich FN-Vertreter beim Verteilen von Flugblättern in Paris auf einen Spießrutenlauf einstellen mussten, fanden sie in den Hochburgen im Süden und Nordosten des Landes bei vielen Wählern ein offenes Ohr.
Aber auch wenn der FN in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl 10,6 Millionen Wähler anlockte und damit ein Rekordergebnis erzielte, ist er weiterhin keine Partei wie jede andere. Auf lokaler und regionaler Ebene steht nach wie vor vielerorts der „Front républicain“ – also ein Bündnis der übrigen Parteien – gegen den Front National. Allerdings weist der „Front républicain“ immer mehr Risse auf: Vor der entscheidenden Stichwahl des neuen Präsidenten weigerte sich der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, eine Wahlempfehlung zugunsten Macrons abzugeben.