Streit über Abschiebungen nach Syrien: Selbst Schwerverbrecher sollten nicht zum Diktator geschickt werden
Das Auswärtige Amt beschreibt in einem Lagebild die schweren Menschenrechtsverletzungen in Syrien. Abschiebungen aus Deutschland verbieten sich. Ein Kommentar.
Die Lektüre könnte deprimierender nicht sein. Das aktuelle Lagebild des Auswärtigen Amts zu Syrien, geschrieben für die Innenministerkonferenz und wegen der Brisanz als Verschlusssache eingestuft, ist ein Dokument des Grauens. Und der Hoffnungslosigkeit.
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Auch nach den militärischen Erfolgen des Assad-Regimes gibt es im ganzen Land weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen. Willkürliche Verhaftungen und Folter bis zum Tod bleiben Alltag. Die Zahl der Menschen, die seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 in Haftanstalten und Geheimgefängnissen verschwunden und oft nie wieder aufgetaucht sind, ist bis August 2020 auf mehr als 148.000 gewachsen. Fast 90 Prozent der Fälle „werden Akteuren des syrischen Regimes zugeschrieben“, schreibt das deutsche Außenministerium.
Assads Schergen in Militär, Polizei, Geheimdiensten und Milizen drangsalieren das vom Regime beherrschte Gebiet, etwa zwei Drittel Syriens. Aber auch in den Regionen, die von islamistischen Rebellen, Kurdenmilizen oder türkischen Streitkräften sowie deren Söldnern beherrscht werden, kommt es regelmäßig zu Übergriffen. Fazit aus Deutschland: die humanitäre Lage in Syrien bleibe „sehr schlecht“. Zumal sich die Wirtschaftskrise weiter verschärft und vermutlich hunderttausende Menschen an Corona erkrankt sind.
Selbst freiwillige Rückkehrer sind hochgradig gefährdet
Harter Stoff für die Innenministerkonferenz, die sich diese Woche zu einer - wegen Corona virtuellen - Sitzung trifft. Streitthema ist der Abschiebestopp für Syrien. Bundesinnenminister Horst Seehofer und die Länderkollegen der Union wollen endlich syrische Gefährder und Gewalttäter zurückschicken, die SPD-Minister sind dagegen. Das Lagebild des Auswärtigen Amtes gibt den Skeptikern reichlich Argumente an die Hand. Dass Außenminister Heiko Maas auch der SPD angehört, entwertet die Informationen nicht, die sein Haus von den Vereinten Nationen, syrischen Menschenrechtsorganisationen, Amnesty International und weiteren Beobachtern bekommen haben. Selbst freiwillige Rückkehrer nach Syrien gehen ein hohes Risiko ein, als „Verräter“ misshandelt zu werden. Was Gefährdern und Schwerverbrechern drohen würde, ist unschwer zu vermuten.
Dass in Deutschland nach dem Attentat eines syrischen Islamisten in Dresden die Forderung populär erscheint, solche Leute dem Diktator zu schicken, auch wenn staatliche Beziehungen fehlen, ist kein seriöses Argument. In der Bundesrepublik gilt Recht statt Rache. Abschiebungen nach Syrien bleiben auf unabsehbare Zeit unmöglich.