zum Hauptinhalt
Boris Pistorius (SPD), Innenminister von Niedersachsen (Archivbild von 2019)
© dpa/Julian Stratenschulte

Innenminister Pistorius über Querdenker: „Mit fehlt die Fantasie, wie man diese Leute in ein Gespräch einbeziehen kann“

Der niedersächsische Innenminister Pistorius spricht über die AfD, die Querdenken-Bewegung und eine Verlängerung des Abschiebestopps für Syrien.

Herr Pistorius, wieviel Krach erwarten Sie bei der Tagung der Innenministerkonferenz in der kommenden Woche?
Eigentlich sind wir eine ganz gesittete Runde und am Ende einigen wir uns auch fast immer. Aber natürlich kann es auch schon mal zur Sache gehen, wenn die Minister von SPD und Union nicht einer Meinung sind. Das hatten wir zuletzt vor zweieinhalb Jahren etwas heftiger in Quedlinburg, als es in der IMK um die sogenannten Ankerzentren für Asylbewerber ging. Was aus denen geworden ist, wissen wir ja alle. Nicht ausgeschlossen, dass es diesmal auch knirscht…

Ein Streitthema gibt es auf jeden Fall: Bundesinnenminister Horst Seehofer und seine Länderkollegen von CDU und CSU wollen den Abschiebestopp für Syrien aufheben, zumindest bei Gewalttätern und Gefährdern. Sie sind dagegen. Warum?
Auch Niedersachsen würde schwere Straftäter oder Gefährder sofort nach Syrien abschieben - wenn es denn ginge. Das ist aber aktuell schlichtweg nicht möglich und nicht umsetzbar. Und das weiß auch Horst Seehofer! Er spielt hier „wünsch dir was“ und ignoriert die Realität, um in populistischer Weise zu punkten. Das ist nicht in Ordnung. Die aktuellen Rückmeldungen aus dem für die Lagebewertung zuständigen Auswärtigen Amt sind eindeutig: In Syrien herrscht Krieg und die Situation ist heute nicht besser.

Außerdem fehlen die praktischen Voraussetzungen. Wir haben schon seit 2012 keinerlei diplomatische Beziehungen und keine deutsche Vertretung in Syrien oder Kontakte zur Assad-Diktatur. Also keine staatliche Stelle, mit der man eine Rückführung vor Ort organisieren könnte, was zwingend erforderlich wäre. Und wir sind nicht allein:  Kein einziges EU-Land schiebt nach Syrien ab. Selbst Ungarn, ein Land, das sicher nicht im Verdacht steht, besonders flüchtlingsfreundlich zu sein, tut das nicht.

"Die Mehrzahl der Gefährder kommt nicht aus Syrien"

Die IMK muss einstimmig entscheiden. Bleiben die Fronten zwischen Union und SPD verhärtet, wird es keine Einigung auf einen weiteren Abschiebestopp geben. Und dann?
Die Minister von CDU und CSU wollen hier Härte zeigen, das hat vor den Herbst-Konferenzen fast schon Tradition. Mit Verantwortung hat das aber nicht viel zu tun. Die Kollegen wissen alle selbst, dass auch ohne Abschiebestopp aus den genannten Gründen nicht abgeschoben werden könnte. So einfach ist das! Das sind deshalb Phantomdebatten. Seit Jahren weise ich darauf hin, dass diese ewigen Debatten ablenken von den Problemen mit Herkunftsländern, in die wir eigentlich ohne weiteres abschieben können.

Denn die Mehrzahl der Gefährder kommt eben nicht aus Syrien, sondern aus anderen Staaten. Hier bleibt der Bundesinnenminister weitgehend tatenlos. Ich würde es sehr begrüßen, wenn hier beispielsweise über die Visavergabe oder Kürzung von Finanzmitteln deutlich mehr Druck gemacht würde. Aber statt sich auf diesen Weg zu begeben, wie seinerzeit Thomas de Maizière, als er in die nordafrikanischen Staaten zu direkten Konsultationen geflogen ist, legt Bundesinnenminister Seehofer die immer selbe Platte auf. 

Bundesinnenminster Horst Seehofer (CSU)
Bundesinnenminster Horst Seehofer (CSU)
© Bernd von Jutrczenka/REUTERS

Die Innenministerkonferenz hat zuletzt im Juni bei der Tagung in Erfurt den Abschiebestopp bis zum Jahresende verlängert. Das scheint jetzt unmöglich zu sein. Wird das Thema für das Superwahljahr 2021 angeheizt?
Ja. Etwas Anderes als politisches Kalkül kann ich hier auch nicht entdecken. Das ist leider so. Und das macht die sachliche Auseinandersetzung natürlich nicht einfacher.  Aber wer hier, wie der Bundesinnenminister und ein Teil seiner Unions-Kollegen, wider besseres Wissen große Erwartungen weckt, die er dann nicht im Ansatz erfüllen kann, täuscht die Menschen. Sowohl über die tatsächliche Größe des Problems aber auch über die eigene Lösungskompetenz.

In Dresden hat am 4. Oktober ein vorbestrafter syrischer Islamist einen Touristen erstochen und dessen Lebenspartner schwer verletzt. Die Stadt Dresden hatte kurz zuvor verfügt, der Mann habe Deutschland zu verlassen, doch er blieb. Gibt es keine Möglichkeit, solche Leute loszuwerden?
Das ist ein furchtbarer Vorfall, der auch mich sehr betroffen macht und der jetzt zunächst ein Fall für die deutsche Justiz ist. Die Straftat wurde in Deutschland begangen und gehört hier hart bestraft. Wie schon dargestellt, kann so ein Täter aktuell nicht in seine Heimat abgeschoben werden. Darum ist es wichtig, dass er hier verurteilt wird und die Haftstrafe antritt. Sobald die Voraussetzungen im Herkunftsland für eine Abschiebung vorliegen, könnte er abgeschoben werden. 

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

"Ich bin gespannt auf umsetzbare Vorschläge"

Bayern hält auch die Übergabe syrischer Gewalttäter und Gefährder an Drittstaaten für denkbar. Wie sehen Sie das?
Wenn es Wege gibt, solche Personen außer Landes zu bringen, sollten wir das natürlich verfolgen. Ich bin gespannt auf konkrete, umsetzbare Vorschläge.

Wie viele syrische Gefährder haben Sie in Niedersachsen?
Die Zahl der Gefährder liegt im einstelligen Bereich.

Wie viele davon sind ausreisepflichtig?
Etwa genauso viele. Wir schieben Gefährder in ihre Herkunftsländer regelmäßig ab, wenn es möglich ist. Wir haben übrigens als erstes Bundesland überhaupt auch schon Gefährder im Rahmen der Gefahrenabwehr über Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes abgeschoben. Also bevor sie überhaupt eine schwere Straftat begehen konnten. Und haben damit gezeigt, dass man es kann.

Wie groß ist nach Ihren Erkenntnissen die Terrorgefahr, die von syrischen Gefährdern in Deutschland ausgeht?
Sie kennen die bekannte Lageeinschätzung, die weiterhin gültig ist: wir haben eine abstrakt hohe Gefahr, dass islamistisch motivierte Anschläge in Deutschland passieren können. Das beschränkt sich natürlich nicht auf Täter mit syrischer Staatsbürgerschaft. Die meisten Gefährder haben andere Staatsbürgerschaften und ein nicht kleiner Teil hat mindestens auch einen deutschen Pass.

Es gab in diesem Jahr den islamistisch motivierten Mord von Dresden, wir hatten die abscheulichen Attentate in Paris, Nizza und Wien. Vielfach waren das keine Flüchtlinge oder Ausländer, sondern Menschen die in Europa geboren sind und sich hier radikalisiert haben. Unsere Sicherheitsbehörden in den Ländern und im Bund tun alles, um weitere Anschläge zu verhindern. Wir brauchen darüber hinaus weiterhin mehr Prävention oder zumindest frühzeitige Aufdeckung von Radikalisierungstendenzen. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Thema.

"Wir haben eine engagierte und äußerst bürgernahe Polizei"

Welche Konfliktthemen sehen Sie noch bei der IMK?
Ich denke nicht in Konflikten, sondern in Lösungen. Aber sicherlich werden wir länger über die unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich einer möglichen Polizeistudie sprechen. Das haben wir ja auch schon öffentlich diskutiert, ich würde mich freuen, wenn wir einen gemeinsamen Weg für alle Länder und den Bund finden würden. Wir zeigen damit, dass wir das Thema Diskriminierung und Rassismus in der Gesellschaft und natürlich auch in Sicherheitsbehörden nicht tabuisieren, sondern offen untersuchen wollen.

Wir sorgen damit für mehr Transparenz. Und ich bin fest davon überzeugt: Am Ende führt das insgesamt zu mehr und nicht weniger Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Polizistinnen und Polizisten. Denn wir haben in unserem Land – so erlebe ich das tagtäglich – eine hervorragende, engagierte und äußerst bürgernahe Polizei. Die Seite der SPD-Innenminister hat jedenfalls einen mit der GdP, als größter Polizeigewerkschaft, abgestimmten Fahrplan vorgelegt.

"Die Unterwanderung durch Rechtsextreme kann uns nicht kalt lassen"

Auf der Tagesordnung der IMK stehen auch „Gezielte Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Desinformationskampagnen“. Sollte der Verfassungsschutz angesichts der zunehmend fanatischen Proteste von Coronaleugnern das Spektrum der Verschwörungstheoretiker als neues Beobachtungsobjekt unter die Lupe nehmen, ähnlich wie es bei den Reichsbürgern geschah?
Die Sicherheitsbehörden schauen da ganz genau hin. Die aktuelle, offensichtliche Unterwanderung durch Rechtsextreme kann uns nicht kalt lassen. Wenn entsprechende Erkenntnisse vorliegen, werden wir entschlossen und schnell handeln.

Bei den Reichsbürgern oder der sogenannten Identitären Bewegung hat mir das in jedem Fall viel zu lange gedauert. Da wurden Erkenntnisse der Länder seitens des Bundes nur sehr zögerlich zur Kenntnis genommen. Ich gehe aber davon aus, dass der heutige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz das besser auf dem Schirm hat als sein Vorgänger.

"Pandemie der Lügen!", steht auf dem Schild eines Mannes bei einer Demo gegen die Corona-Politik
"Pandemie der Lügen!", steht auf dem Schild eines Mannes bei einer Demo gegen die Corona-Politik
© Christoph Schmidt/dpa

Wie groß ist die Gefahr, dass militante Coronaleugner die bevorstehende Impfkampagne sabotieren?
Es gehört zur Arbeit der Sicherheitsbehörden, solche Risiken beim Aufbau der Impfzentren und anderer dafür nötiger Infrastruktur zu berücksichtigen. Das tun sie auch.

Die Demonstrationen der Querdenker wirken weltfremd und staatsfeindlich. Wie könnten diese Leute für die Demokratie zurückgewonnen werden?
Zunächst müssen wir feststellen, dass es hier um eine absolute Minderheit geht. Die allermeisten Menschen können doch gar nichts mit diesen Leuten anfangen. Trotzdem nehmen wir das natürlich ernst und müssen auch immer daran arbeiten, erforderliche Maßnahmen noch besser zu vermitteln. Bei etlichen Äußerungen und Personen aus der Querdenker-Szene muss ich ehrlich sagen, dass mir da aber auch ein bisschen die Fantasie fehlt, wie man diese Leute wieder in ein vernünftiges Gespräch einbeziehen kann.

Gäste von Bundestagsabgeordneten der AfD haben im Gebäude des Bundestags Minister und Abgeordnete bedrängt. Ist die Partei nun endgültig reif, vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall für rechtsextreme Bestrebungen eingestuft zu werden?
Über die Einstufung als Verdachtsfall könnte man inzwischen sicher nachdenken, aber dafür ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig. Das Vorgehen bei der Abstimmung zum Infektionsschutzgesetz vor zwei Wochen ist zutiefst undemokratisch und erinnert an Methoden aus ganz üblen Zeiten. Die Verantwortung der AfD hierfür kann niemand leugnen. Sie zeigt damit wieder einmal ihre tiefe Verachtung gegenüber dem Parlamentarismus. Da helfen dann auch keine eilfertigen Rechtfertigungen und halbherzigen Entschuldigungen im Anschluss - die Taten sprechen für sich.

Ihr Thüringer Amtskollege und Parteifreund Georg Maier hat sogar ein Verbot der AfD ins Gespräch gebracht. Sie selbst haben lange für ein Verbot der NPD gestritten. Schließen Sie sich Maiers Vorstoß an?
Ein Parteiverbot ist die schärfste Klinge unserer Verfassung gegen ihre Feinde. Ich bin ein entschiedener Gegner der AfD und sehe sie auf einem klaren Weg an den rechtsextremen Rand. Wenn die Erkenntnisse sich dahingehend weiter verdichten, wird man über ein Parteiverbot sprechen müssen. Da bin ich mir ganz sicher. Aber noch ist es ist nicht so weit.

Zur Startseite