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 Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro verliert in Corona-Krise an Rückhalt in der Bevölkerung.
© EvaristoAFP

Brasiliens Präsident verliert an Rückhalt: Selbst im Kabinett ist Bolsonaro wegen seiner Irrfahrt in der Corona-Krise isoliert

Der Präsident sucht noch immer das Bad in der Menge. Doch viele Brasilianer fürchten mittlerweile dieses verantwortungslose Handeln. Eine Analyse

Was hatte Jair Bolsonaro den Mund nicht voll genommen. Er werde Brasilien wieder großartig machen, tönte er. Er sei vom Allerhöchsten gesandt worden, um das Land vom Kommunismus zu befreien. „Brasilien über alles, Gott über allen!“

Jair Bolsonaro hatte 2019 das Präsidentenamt Brasiliens mit breiter Brust angetreten. Er präsentierte sich als neuer starker Mann des größten Landes Lateinamerikas. Nun hat ihn der Coronavirus auf Normalmaß geschrumpft. Während andere Staatschefs in der Krise wuchsen, weil sie Führungsstärke zeigten und vernünftige Entscheidungen trafen – etwa Angela Merkel, Guiseppe Conte und sogar der verhasste chilenische Präsident Sebastián Piñera – hat Bolsonaro sich als das erwiesen, was er immer schon war: inkompetent, paranoid, egomanisch. Und in diesem Fall gefährlich.

Der 65-Jährige gehört zu einer Handvoll Präsidenten auf der Welt, die der Corona-Pandemie nicht gewachsen sind (in Lateinamerika zählen noch der abgetauchte Daniel Ortega in Nicaragua und Mexikos zunehmend schrulliges Staatsoberhaupt Manuel López Obrador dazu). Fast wirkt es so, als ob Bolsonaro die Krankheit als persönlichen Angriff betrachtet; als Werk seiner Feinde, die er immer und überall wittert.

Zunächst bezeichnete er Covid-19 als „Erfindung der Medien“. Dann war es ein „Grippchen“, das Athleten wie ihm nichts anhaben könne. Er rief die Brasilianer dazu auf, wieder arbeiten zu gehen und die Anweisungen der Gouverneure und sogar seines eigenen Gesundheitsministers zu missachten. Aus seinem Präsidentenpalast kam die fast eine Millionen Dollar teure Kampagne: „Brasilien darf nicht stillstehen.“ Sie wurde im letzten Moment von einem Gericht untersagt.

Der Gesundheitsminister gilt als "Verräter", weil er den Empfehlungen der WHO folgt

Dann änderte Bolsonaro scheinbar seinen Kurs und rief zur Einheit im Kampf gegen Covid-19 auf. Doch schon Tags darauf sorgte er selbst erneut für Zwist und attackierte seinen Gesundheitsminister, Henrique Mandetta. Er warf ihm vor, „nicht bescheiden genug“ zu sein. Offenbar spürte Bolsonaro, dass Mandetta ihm die Show stahl. Nur die Intervention besonnenerer Militärs im Kabinett hielt ihn davor ab, Mandetta zu feuern. Bolsonaro hält ihn für einen Verräter, weil er den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO folgt, die Bolsonaro ablehnt.

Vor wenigen Tagen unterstützte der Präsident dann ein „Fasten für Brasilien“, zu dem evangelikale Pastoren aufgerufen hatten. Sie wollten Gottes Hilfe im Kampf gegen die Pandemie erbitten.

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Es zeigte sich darin erneut eine der beunruhigendsten Komponenten des Bolsonarismus: seine extreme Wissenschaftsfeindlichkeit. Passen Daten und Erkenntnisse dem Präsidenten und seine Anhängern nicht, werden sie verneint; Wissenschaftler werden diffamiert, Verschwörungstheorien verbreitet. Das war schon bei den verheerenden Feuern im Amazonaswald 2019 so. Es wiederholt sich nun in der Corona-Pandemie.

Brasiliens Staatschef irrlichtert also durch die Corona-Krise. Sollte er eine Strategie verfolgen, dann diese: Er will nicht mit der kommenden Rezession und dem drohenden sozialen Chaos in Verbindung gebracht werden. Er will dann sagen können, dass er immer gegen den Stillstand der Wirtschaft wegen eines „Grippchens“ gewesen sei.

Die Bevölkerung spürt Bolsonaros Führungsschwäche

Bislang geht Bolsonaros Taktik jedoch nicht auf. Es heißt ja, dass der Mensch in Krisensituationen wirklich zeigt, was in ihm steckt. Bolsonaro, der seine Karriere auf starke Sprüche und Beleidigungen aufbaute, wirkt jetzt führungsschwach. Im Kabinett soll er zunehmend isoliert sein, weswegen er angeblich schon in Tränen ausbrach. Die Bevölkerung spürt seine Hilflosigkeit. Mehr als die Hälfte der Brasilianer sagt, dass Bolsonaro in der Krise mehr schade als nütze.

Dennoch ist auch zu beobachten, dass die Menschen wieder vermehrt auf die Straße gehen, ihre Geschäfte öffnen und sich nicht ans Gebot der physischen Distanz halten. Der Präsident macht es ihnen vor: An Ostern unternahm er mehrere „Ausflüge“, ließ sich von Hunderten Anhängern umringen, schüttelte Hände. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beschuldigt Bolsonaro nun der „Sabotage“ an der öffentlichen Gesundheit.

Es gehört zur Tragödie um das Coronavirus, dass der Präsident der bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich wichtigsten Nation Lateinamerikas unfähig ist, verantwortungsvoll zu handeln. Das ist nicht nur ein Drama für Brasilien, sondern könnte auch noch zum Problem für den Rest der Welt werden, wenn das Virus bald in Brasilien seine volle Wirkung entfaltet. 

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