Institutionelles Chaos in Brasilien: Präsident Jair Bolsonaro sabotiert Entscheidungen der Gouverneure
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ruft zum Bruch der Dekrete der meisten Gouverneure auf - und nennt Covid-19 ein "Grippchen".
Brasilien steht mitten in der Coronakrise vor einem institutionellen Chaos. Die Schuld dafür trägt Jair Bolsonaro. Der Präsident hat die Bürger des Landes dazu aufgerufen, ihre Geschäfte zu öffnen, einkaufen zu gehen und zum Alltag zurückzukehren. Bolsonaro, der Covid-19 als „Grippchen“ bezeichnet, ruft damit zum Bruch der Dekrete auf, die die meisten Gouverneure und Bürgermeister Brasiliens erlassen haben. Sie hatten zu Wochenbeginn die Schließung aller Unternehmen und Geschäfte verfügt, die nicht der Lebensmittelversorgung dienen. Öffentliche Einrichtungen und Bildungsinstitutionen wurden zugemacht, der Fernbusverkehr eingestellt. Die Bürger sollen zu Hause bleiben.
Experten gehen davon aus, dass Brasilien sich am Anfang der Corona-Pandemie befindet. Am Sonntag gab es offiziell fast 4000 Infizierte und rund 120 Tote. Viele Beobachter schätzen die Dunkelziffer jedoch höher ein, weil zu wenig getestet würde. Beunruhigend ist eine Studie des Imperial College London. Sie prognostiziert für Brasilien im schlimmsten Fall 1,1 Millionen Tote. Diese Zahl würde auf 44 000 schrumpfen, sollten schnell alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden.
Trotz solcher Prognosen gibt sich Jair Bolsonaro unbeeindruckt. Der Präsident wollte am Wochenende eine Kampagne unter dem Motto starten: „Brasilien darf nicht stillstehen.“ Sie wurde in letzter Minute von der Justiz untersagt.
Dennoch zirkuliert ein von der Bolsonaro-Familie verbreitetes Video. Darin heißt es, dass das Land zum Wohle der Wirtschaft nicht stoppen könne. Der Spot wirkt wie Sabotage an den Bemühungen anderer staatlicher Organe, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Nicht wenige zweifeln nun an der Zurechnungsfähigkeit Bolsonaros. Im Parlament haben einstige Parteigänger des Präsidenten Impeachment-Anträge gegen ihn eingebracht. Der konservative Gouverneur von São Paulo, João Doria, fragte rhetorisch: „Die ganze Welt liegt falsch, nur Bolsonaro nicht?“
Der Präsident ordnete die Öffnung von Kirchen und Lottoannahmestellen an
Viele attestieren dem Präsidenten nun, in einer Parallelwelt zu leben. Er behauptet etwa, dass die Pandemie Brasilien nicht so hart treffen werde, weil man weniger Alte und ein anderes Klima als Italien habe. Mitte der Woche ordnete er die Öffnung von Lottoannahmestellen und Kirchen an, was von einem Gericht umgehend verboten wurde.
Dennoch zeigen die Aussagen Bolsonaros bei seiner rechten Gefolgschaft Wirkung. Am Wochenende bildeten sich in einigen Städten Autokorsos, um eine Aufhebung der Beschränkungen zu fordern. Die Kaufhauskette Havan öffnete einige ihrer Häuser, ihr Chef ist Bolsonaro-Fan. Die Bundesstaaten Roraima und Mato Grosso kündigten die „Flexibilisierung“ der Schließregeln an. Auch an der Peripherie Rio de Janeiros öffneten wieder viele Geschäfte. TV-Teams, die darüber berichten wollten, wurden vertrieben.
Es schwelt in Brasilien eine Debatte darüber, ob die Einschränkung der Wirtschaft nicht am Ende schlimmerer Folgen hat als Covid-19. Man befürchtet Verelendung und soziales Chaos.
Es ist Brasiliens Parlament, das versucht, Antworten auf das Dilemma zu finden. Es hat verschiedene Hilfspakete verabschiedet, etwa Geld für Menschen im informellen Sektor oder staatliche Lohnfortzahlungen für Angestellte. Schließlich muss auch gesagt werden, dass die meisten Brasilianer sich vernünftig verhalten und zu Hause bleiben.