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Eine Muslimin mit Kopftuch und eine junge Frau mit Kippa bei einer Protestaktion gegen Antisemitismus im Jahr 2012.
© Britta Pedersen, picture alliance / dpa

Antisemitischer Angriff in Berlin: Selbst als Opfer noch ungleich behandelt

Der jüngste antisemitische Angriff in Berlin wird einhellig verurteilt. Zu Recht! Wo aber ist der Aufschrei, wenn muslimische Frauen wegen ihres Kopftuches attackiert werden? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es kommt in diesem Jahr, zu dieser Zeit, ziemlich viel zusammen. Das schärft die Sinne. Der 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels, die Echo-Preis-Verleihung, der 75. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto, die anhaltende Debatte über arabisch-muslimischen Antisemitismus von Einwanderern. Da überrascht es nicht, dass der antisemitisch motivierte Angriff auf einen arabischen Israeli in Berlin, der sich als Experiment eine Kippa aufgesetzt hatte, eine besonders große Resonanz auslöste.

Unisono wird die Tat landauf, landab verurteilt. Die Bundeskanzlerin ist empört und verspricht volle Härte. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann ist auch empört und betont: „Das Judentum gehört zu Deutschland.“ Leitartikler prangern „Deutschland als Weltmeister der Lippenbekenntnisse“ im Kampf gegen den Antisemitismus an. Das alles ist gut und richtig und zeigt, dass die gesellschaftlichen Reflexe funktionieren. Niemand darf in Deutschland aufgrund seiner Religion diskriminiert, beleidigt oder gar tätlich angegriffen werden.

Allerdings wünscht man sich, dass der Einsatz gegen Vorurteile, Rassismus und Diskriminierung die Vertreter aller Glaubensgemeinschaften einschließt. Schließlich geht es um ein Prinzip - das der freien, ungestörten Religionsausübung. Es geht um den Schutz und das Selbstbestimmungsrecht aller Gläubigen. Wer da mit zweierlei Maß misst, beansprucht Partikularinteressen für sich. Das wiederum lässt sich auch als eine Form der Diskriminierung verstehen, zumindest aber der Einseitigkeit.

Wo ist der Aufschrei, wenn Moscheen in Brand gesteckt werden?

Wo ist der Aufschrei, wenn muslimische Frauen in Deutschland wegen ihres Kopftuches attackiert und beschimpft werden, noch dazu in Begleitung ihres Kindes? Es gibt Dutzende solcher Fälle. Wo ist der Aufschrei, wenn Moscheen in Brand gesteckt werden? Wo ist der Aufschrei, wenn Flüchtlinge, die zum Christentum konvertiert sind, verprügelt werden? Und zuletzt: Ist es eigentlich gefährlicher, als Mann mit einer Kippa durch Berlin zu laufen oder als Frau mit einem Kopftuch?

Im Jahr 2017 wurden, laut Bundesinnenministerium, 1495 politisch motivierte Straftaten mit antisemitischem Hintergrund verübt, 1069 mit islamfeindlichem Hintergrund und 127 mit christenfeindlichem Hintergrund. Zu Recht in den Fokus geraten ist der Antisemitismus unter muslimisch-arabischen Einwanderern. Dagegen wird die wachsende Islamfeindlichkeit, die innerhalb der deutschen Gesellschaft diagnostiziert wird, kaum kritisiert und zum Teil sogar als Bestätigung der eigenen islamfeindlichen Vorurteile angeführt. So etwa, wenn die CSU zum Beweis der Richtigkeit ihres Slogans „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ Umfragen anführt, in denen eine Mehrheit der Deutschen der Partei in dieser Hinsicht zustimmt.

Jeder fünfte Deutsche ist latent antisemitisch. Seit vielen Jahren hält sich dieser Wert recht konstant. Auf große Zustimmung stößt vor allem der Satz: „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“ Vierzig Prozent der Deutschen bejahen diese Form eines israelbezogenen Antisemitismus. Aber käme irgendeiner auf die Idee, das hohe Maß an Zustimmung als Beweis für die Richtigkeit der Behauptung zu werten? Natürlich nicht.

Diskriminierung macht krank. Wenn nicht alle ihre Formen mit vergleichbarer Verve verurteilt werden, kann das Gefühl entstehen, selbst als Opfer noch ungleich behandelt zu werden.

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