Johnson scheitert im Unterhaus: Sein Brachialkurs sorgte für die Niederlage
Boris Johnson wollte das Parlament lahm legen – und stärkte damit die Gegenwehr. Nun könnte das Unterhaus dem Spuk ein Ende bereiten. Ein Kommentar.
Die Abgeordneten im Unterhaus haben den Spieß umgedreht. Noch vor einer Woche hatte Premierminister Boris Johnson die Parlamentarier brüskiert und ihre verbleibende Sitzungszeit bis zu einem drohenden No Deal am 31. Oktober extrem verkürzt. Doch Johnsons Trick, mit dem er das Parlament im Ringen um den Brexit kaltstellen wollte, scheint zahlreiche Abgeordnete in ihrer Entschlossenheit zur Gegenwehr noch bestärkt zu haben.
Eine überraschend deutliche Mehrheit der Abgeordneten hat am späten Dienstagabend einen Beschluss gefasst, der weitreichende Folgen haben könnte. Die Parlamentarier versetzten das Unterhaus in die Lage, selbst über die Tagesordnung an diesem Mittwoch zu bestimmen. Für den seit Juli regierenden Johnson ist das die erste Niederlage im Parlament.
Eine zweite – noch viel entscheidendere – könnte an diesem Mittwoch folgen, falls im Unterhaus ein Gesetz beschlossen werden sollte, das einen ungeregelten Brexit am 31. Oktober ausschließen würde.
Eine bunte Koalition im Unterhaus ist mit aller Macht dabei, den Bluff des britischen Premierministers abzublasen. Dazu zählen der umstrittene Oppositionschef Jeremy Corbyn, der lange Zeit als verkappter Brexiteer galt, gestandene Tory-Politiker wie der frühere Finanzminister Philip Hammond und Last-Minute-Überläufer wie Phillip Lee, der jetzt die pro-europäischen Liberaldemokraten unterstützt.
Kaum einer glaubt an Johnsons „chicken game“
Sie alle eint der Wunsch, die britische Wirtschaft am 31. Oktober nicht ins Chaos zu stürzen. Dies will wohl auch Johnson nicht. Allerdings dient ihm ihm die No-Deal-Karte dazu, die EU mit seiner Forderung, die Garantieklausel für Nordirland fallenzulassen, in ein „chicken game“ zu treiben: Wer zuerst blinzelt, hat verloren.
Einige Abgeordnete sind offenbar der Auffassung, dass Johnson bei den Verhandlungen mit der EU sehr wohl eine Neufassung des Austrittsvertrages nach Hause bringen kann. Aber sie waren am Dienstagabend in der Minderheit.
Johnson will den No-Deal-Brexit, um das Thema, dass die Konservativen spaltet, endlich abzuräumen - auch wenn dabei eigene Abgeordnete über Bord gehen. Die kann man mit der Neuwahl ersetzen.
schreibt NutzerIn pipeline
Stehen die Tories vor der Spaltung?
Dass 21 Tory-Rebellen den Ausschlag für Johnsons Niederlage gaben, ist auch ein böses Omen für die regierenden Konservativen. Seit den Tagen von Margaret Thatcher zerlegt sich die Partei regelmäßig in der Europa-Frage. Johnsons Brachialkurs, der nach einem Austritt auf eine Kappung sämtlicher wirtschaftlicher Bindungen mit der EU hinausläuft, könnte endgültig zur Spaltung der Tories führen.
Die Konservativen können noch ihre Restchance wahren, eine in der Gesellschaft und Wirtschaft breit verankerte Partei zu bleiben. Folgen sie aber Johnsons Sektierertum, dann mutieren sie womöglich zu einer Kopie der Brexit-Partei von Nigel Farage. Angesichts der absehbaren Neuwahlen spricht tatsächlich viel dafür, dass sich die Konservativen weiter radikalisieren.