Reform des EU-Asylsystems: Seehofer zeigt sich vorsichtig optimistisch
Seit Jahren kommt die Reform des EU-Asylsystems nicht voran. Innenminister Seehofer ist optimistisch, dass demnächst zumindst die Eckpunkte stehen könnten.
In normalen Zeiten bietet der rotierende EU-Vorsitz dem jeweiligen Gastgeberland die Möglichkeit, Minister aus den übrigen EU-Staaten zu informellen Treffen abseits der Hauptstadt einzuladen. Deshalb hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) ursprünglich geplant, seine europäischen Amtskollegen beim ersten Innenministerrat während des deutschen EU-Vorsitzes in Dresden zu begrüßen. Aber die Zeiten sind bekanntlich nicht normal. Am Dienstag musste Seehofer das Treffen Corona-bedingt als Videokonferenz abhalten. Und an der Pandemie liegt es auch, dass unklar ist, wie weit die EU im kommenden Halbjahr während der deutschen Präsidentschaft beim zentralen Projekt auf dem Arbeitsfeld der Innenminister vorankommt: der Reform des EU-Asylsystems.
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Der geplante Ablauf während des deutschen EU-Vorsitzes sieht nämlich vor, dass zunächst einmal eine Einigung über die milliardenschweren Corona-Hilfen in der Europäischen Union stehen soll, bevor sich die Gemeinschaft ernsthaft mit dem politischen Dauerbrenner des EU-Asylsystems befasst. Erst im kommenden September will die EU-Kommission einen Vorschlag für die Reform des Systems vorlegen, über welche die EU-Staaten seit Jahren streiten.
Wegen Corona geriet die Diskussion über die Migration in den Hintergrund
Bevor die Coronakrise zu Beginn des Jahres alle anderen Themen von der Brüsseler Agenda verdrängte, war vorgesehen, dass die EU-Kommission im vergangenen Frühjahr ihren Vorschlag für die Neufassung des europäischen Asylsystems unterbreitet. Der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker war seinerzeit mit dem Vorhaben gescheitert, verbindliche Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen in allen EU-Ländern durchzusetzen. Vor allem osteuropäische Staaten wie Ungarn und Polen sperrten sich dagegen. Inzwischen gehen die Überlegungen in Brüssel dahin, Länder wie Ungarn und Polen anderweitig – etwa bei der Finanzierung einer verstärkten Sicherung der EU-Außengrenzen – in die Pflicht zu nehmen.
Um die skeptischen Osteuropäer zu überzeugen, hatte Seehofer bereits vor dem Beginn der deutschen EU-Präsidentschaft vorgeschlagen, verpflichtende Verfahren für Asylbewerber an den EU-Außengrenzen einzuführen. Migranten, die keinen Anspruch auf Schutz haben, soll demnach die Einreise in die EU verweigert werden. Seehofers Vorschlag ist allerdings keineswegs unumstritten: Länder wie Griechenland oder Italien, in denen Migranten als Erstes den Boden der EU betreten, befürchten eine Überforderung. Auch die SPD plädiert dafür, die geplanten Aufnahmezentren breiter in der EU zu verteilen.
Seehofer verteidigt Vorschlag für Verfahren an den EU-Außengrenzen
Nach der Videokonferenz verteidigte Seehofer am Dienstag seinen Vorschlag. Als Elemente einer künftigen Lösung nannte er Asylverfahren an der EU-Außengrenze sowie eine Rückführung nicht schutzbedürftiger Migranten durch die EU-Grenzschutzbehörde Frontex. Dies setze allerdings Vereinbarungen mit den Herkunftsländern nach dem Modell der Abmachung zwischen der EU und der Türkei voraus. „Es wird nicht ohne Unterstützung der Herkunftsländer gehen“, sagte Seehofer. Zudem sprachen sich der Innenminister und die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson für eine verstärkte Förderung der legalen Zuwanderung aus. „Wir müssen auch einen legalen Weg nach Europa eröffnen“, so Seehofer.
Gleichzeitig zeigte sich der Innenminister optimistisch, dass zumindest die Eckpunkte der geplanten Reform des EU-Asylsystems während des deutschen EU-Vorsitzes ausgearbeitet werden könnten. Auch wenn die konkreten Rechtsverordnungen voraussichtlich erst unter der folgenden portugiesischen Präsidentschaft ausgearbeitet werden könnten, so wolle er doch „einen großen Sprung“ bei der Lösung des Migrationsthemas machen, sagte Seehofer. Optimistisch stimmten ihn dabei Äußerungen von Seiten der Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn während der Videokonferenz, sagte Seehofer.
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Gering sind indes die Fortschritte, welche die EU bei der gemeinsamen Seenotrettung verzeichnet. Hier geht es nicht um die grundlegende Überarbeitung des bestehenden Systems für die gesamte EU, welches den Erstaufnahmeländern die Hauptlast bei der Registrierung und Versorgung der Flüchtlinge aufbürdet. Vielmehr wollen einzelne EU-Staaten wie Malta, Italien, Deutschland, Frankreich, Irland, Portugal und Luxemburg sicherstellen, dass aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge schnell auf einzelne EU-Länder verteilt werden können. Bei einem Treffen auf Malta hatte Seehofer im vergangenen September noch darauf gehofft, dass sich künftig zwölf bis 14 Länder an der Verteilung der Migranten beteiligen würden. Davon ist die EU aber noch weit entfernt.
Die mangelnde Bereitschaft der meisten EU-Staaten zur Flüchtlingsaufnahme führt dazu, dass Italien und Malta privaten Organisationen und deren Schiffen die Einfahrt in die Häfen verweigern. Zuletzt hatte sich die italienische Regierung erst nach einer Wartezeit von neun Tagen bereit erklärt, der „Ocean Viking“ mit 180 Migranten an Bord die Einfahrt in den Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien zu ermöglichen.