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Die Situation ist für Horst Seehofer (CSU) mindestens so gefährlich wie für Angela Merkel.
© dpa

Vor dem Treffen von CSU und CDU: Seehofer und die heikle Operation Wiedervereinigung

Am Sonntagnachmittag versammeln sich die Spitzen von CSU und CDU in München. Dann entscheidet sich, ob Seehofers Widerstandsstrategie gegen Merkels Flüchtlingspolitik am Ende aufgeht.

Beim letzten CSU-Parteitag beschwor Horst Seehofer die eigene Unfehlbarkeit. Der CSU-Chef hatte schon fast eine Stunde geredet, die Stimme litt hörbar, da bat Seehofer die Delegierten, an ihn zu glauben. Nicht immer verstehe jeder sofort seine Strategien, aber bisher sei jede aufgegangen: „Jede!“ Der Parteitag nahm den Satz ohne erkennbare Regung jetzt einfach mal so hin. In diesen Tagen wird er einem Realitätstest unterzogen. Die Operation Wiedervereinigung zwischen CDU und CSU, zwischen Seehofer und Angela Merkel ist für den Bayern mindestens so heikel wie für die Kanzlerin. Ob und wie sie gelingt, entscheidet mit darüber, ob Seehofers Widerstandsstrategie gegen Merkels Flüchtlingspolitik am Ende aufgeht.

Am Sonntagnachmittag versammeln sich die Spitzen von CDU und CSU in der CSU-Zentrale im Münchner Norden. Das neue Franz-Josef-Strauß-Haus ist gerade erst in Betrieb genommen; der Chef residiert im Obergeschoss mit Blick in noch nicht komplett erschlossene Industriegebiete. Das Versöhnungstreffen, das amtlich „Zukunftstreffen“ heißt, ist die Fortsetzung des Grillabends von Hermannswerder, bei dem sich die verfeindeten Schwestern zum ersten Mal wieder aneinander angeschlichen hatten. Damals musste die CDU einen Ort außerhalb Berlins suchen, weil die kleine Schwester partout nicht in Feindesland konferieren wollte. Die CDU ist da entspannter: CSU-Zentrale? Okay.

Manchmal ist eine rechtzeitige Scheidung im Guten besser, als mit Gewalt eine Gemeinsamkeit zu beschwören, die es nicht mehr gibt. Koalieren kann man ja nachher immer noch.

schreibt NutzerIn Gophi

Dafür können es etliche Christdemokraten nicht lassen, schon im Vorfeld der Tagung ein bisschen zu sticheln. Ob Generalsekretär Peter Tauber oder Merkels Parteivizes – die Art und Weise, wie sie alle die „Geschlossenheit“ betonen, die in der Union jetzt einkehren müsse, hat mitunter etwas leicht Triumphales: Jetzt ist Schluss mit Rumgemache, jetzt werden Schultern geschlossen. Dabei hat Seehofer sich doch jetzt wirklich lange zurückgehalten und die „Obergrenze“ nur noch beschworen, wenn er danach gefragt wurde. Auch die Drohungen, das Treffen platzen zu lassen oder zu verschieben, wurden stetig leiser.

Dahinter steckte die Ahnung, dass es schwierig genug wird, die eigenen Truppen wieder von dem Baum runterzulocken, auf die der Chef sie mit seinen Attacken auf die Kanzlerin gejagt hatte. Eine Verschiebung, vermutet einer aus der engeren CSU-Führung, hätte die Leute gleich wieder hochgejagt ins Geäst, „und dann hätten wir sie nicht mehr runterbekommen“. Dass Seehofer mit dem Termin spielte, hing wohl vor allem mit den Klausuren der CSU-Landesgruppe und der Landtagsfraktion zum Jahresanfang zusammen. „Er musste schadenfrei über die Klausuren kommen“, sagt der Gewährsmann, „erst danach konnte er mit der Kanzlerkandidatin Merkel Frieden machen.“

So weit ist auch alles nach Plan verlaufen. Nicht im Plan vorgesehen war der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und sein Raketenstart. Nicht kalkulierbar und viel schwerwiegender war etwas anderes: die Reaktion jener Basis, für die Seehofer zum Widerstandshelden gegen die „Flüchtlingskanzlerin“ geworden war.

In Umfragen hat der CSU-Chef deutlich an Beliebtheit eingebüßt

Dass ein Teil dieser Verehrer sich abwenden würde, wenn ihr Held die Frau im Kanzleramt plötzlich wieder unterstützt, war absehbar. Aber es gibt ein paar Indizien, die darauf hindeuten, dass die Enttäuschung unerwartet deutlich ausfallen könnte. Seehofers eigener Facebook-Account ist so ein Indiz. Selbst wenn ein Gutteil derer, die ihn da jetzt als Verräter beschimpfen, in Wahrheit AfD-Wähler sein mögen oder Rote und Grüne, bleiben noch genug übrig, die in Ton und Argumentation ernsthaft enttäuscht klingen. Warum er nicht endlich die CSU bundesweit ausdehne, fragen manche; andere erklären, Merkel könnten sie nicht mehr wählen und Seehofer nun auch nicht mehr.

Der deutliche Einbruch in der persönlichen Beliebtheit des CSU-Chefs, den Demoskopen verzeichnen, weist in die gleiche Richtung. Und mancher fragt sich, wie groß der Anteil der CSU-Enttäuschten an den drei, vier Prozentpunkten ist, die die Union in den Umfragen verliert. Womöglich wirken da Schulz-Effekt und Seehofer-Frust zusammen?

Eigentlich sollte die Forderung nach der „Obergrenze“ diesen Frust abfangen. So lange die eigenen Anhänger das Wort hörten, hat neulich einer der CSU-Strategen erläutert, wüssten sie, dass sich an der Stoßrichtung der CSU-Politik nichts geändert habe. In der Theorie klingt das einleuchtend. Aber diese „Obergrenze“ ist ein fernes Versprechen auf Standhaftigkeit irgendwann in Koalitionsverhandlungen. Wenn für viele seiner Verehrer die persönliche Obergrenze viel früher erreicht ist – bei der Unterstützung für die Kanzlerkandidatin Angela Merkel -, verpufft der Effekt. Das wäre dann mal eine Strategie gewesen, die nicht glatt aufgeht.

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