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Hände gefaltet. Angela Merkel und Horst Seehofer geben vor der großen Sondierungsrunde am Freitag ein Statement ab.
© Kay Nietfeld/dpa

Sondierungsgespräche in Berlin: Seehofer braucht Jamaika mehr als Merkel

Die Kanzlerin "ist die Figur, um die sich alles dreht", sagt ein Teilnehmer der Sondierungen. Es geht jedoch um viele Befindlichkeiten - wie bei einer Heiratsvermittlung zwischen Igeln.

Grundsatzfragen sind gestellt worden, berichtet einer, der dabei war in der Parlamentarischen Gesellschaft. Viele dieser Fragen sind dann aber einfach im Raum stehen geblieben, ohne Antwort oder mit einer sehr, sehr allgemeinen. „Wollen Sie Verbrennungsmotoren verbieten?“, hat zum Beispiel einer von den Freien Demokraten am Mittwoch in der ersten Sondierungsrunde von der Union wissen wollen. Die von der Union haben versichert, nee, das wollten sie nicht. Zwischen Union und Grünen fiel der Dialog an diesem Punkt noch sparsamer aus. „Wir wollen weiter gute Autos bauen“, sagten die einen. „Wir wollen auch gute Autos bauen“, versicherten die anderen. Bloß nicht gleich zu viel sagen!

Man muss sich den Versuch, eine Jamaika-Koalition zustande zu bringen, also im ersten Angang ungefähr so diffizil vorstellen wie eine Heiratsvermittlung zwischen Igeln. Vier Igeln, um genau zu sein. Vier ziemlich empfindlichen Igeln.

Am Mittwochabend steht Horst Seehofer vor der Parlamentarischen Gesellschaft und sinniert: „Persönlich fehlt in meiner Sammlung der Koalitionen noch diese.“ Der Satz ist ein wenig rätselhaft, weil sich niemand erinnern kann, dass die CSU je Mitglied einer schwarz-grünen Regierung war. Aber vielleicht zählt Seehofer innerlich die Sondierung vor vier Jahren mit. Damals zuckte der grüne Igel noch zurück. Diesmal vibrieren Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir vor Ungeduld. „Endlich die erste Runde“, plaudert Göring-Eckardt in dem Video-Kanal, über den die Grünen-Spitze ihre Basis jetzt regelmäßig auf dem Laufenden halten will. „Es hat ja auch lange genug gedauert!“

Das hat es, wegen der bekannten „Obergrenze“-Differenzen zwischen CDU und CSU und wegen der Landtagswahl in Niedersachsen. Aber vielleicht erweisen sich die drei Wochen Verzögerung im Nachhinein noch als nützlich. Der Gedanke an ein Bündnis zwischen erklärten Erzkonkurrenten hat dadurch Zeit gehabt, sich im kollektiven Vorstellungsvermögen breit zu machen. Inzwischen findet eine Mehrheit im Lande die Mesalliance ja sogar gut. Selbst aus Bayern berichten Abgeordnete, dass ihre Anhänger ihnen nach Berlin den Auftrag mitgeben: „Macht was draus!“

AfD als Geburtshelfer

Das ist leicht gesagt bei einem Bündnis, das nicht aus Neigung zusammenkommt, sondern aus der Not. Aber sie bemühen sich. Seehofer ist am Vorabend der Sondierungsrunden sogar zum ersten Mal im Leben in der Grünen-Parteizentrale am Platz vor dem Neuen Tor aufgetaucht, um gut Wetter zu machen. Und Göring-Eckardt und Özdemir hatten extra Brezeln eingekauft, damit sich der Bayer nicht gar so fremd fühlt. Der revanchierte sich für die Freundlichkeit damit, dass er nicht über die „rechte Flanke“ redete, sondern zur Genugtuung seiner Gastgeber sehr viel über die „soziale Flanke“, die es auch zu schließen gelte, um der AfD das Wasser abzugraben.

Dazu muss man sagen: Wenn diese Koalition zustande kommt, dann wird die Alternative für Deutschland ein Geburtshelfer gewesen sein. Die knappe Hundertschaft Rechtspopulisten, die am 24. Oktober zum ersten Mal in den Plenarsaal unter der Reichstagskuppel einziehen wird, war bisher in allen Runden der Partner in spe sofort Thema.

„Das treibt alle sehr um, dass die AfD jetzt im Deutschen Bundestag sitzt“, erzählt Göring-Eckardt ihrer Video-Gefolgschaft. Und aus allen diesen Runden berichten Teilnehmer von einer teils stillschweigenden, teils ausgesprochenen Übereinkunft, dass man den Gauland und Co. ihr Spiel verderben will. Wenn die vier sich daran machen, eine gemeinsame Flüchtlingspolitik zu formulieren, kann dieser gemeinsame Gegner sich noch als sehr hilfreich erweisen.

Aber so weit ist man noch nicht. Die Themen sind bisher nur angerissen worden, jeder hat hier und da dezente Duftmarken gesetzt: Das ist uns wichtig. Für den Rest hat man Zeitpläne für die nächsten zwei Wochen aufgestellt – unter besonderer Berücksichtigung Martin Luthers, weil das 500. Jubiläum der Reformation am übernächsten Dienstag die meisten Unterhändler anderweitig bindet. Inhaltlich folgen die Zeitpläne der Parole: „Kompliziertes zuerst“. Auf der Liste, die die Generalsekretäre und Geschäftsführer vereinbart haben, tauchen folgerichtig „Flucht, Asyl, Migration, Integration“ als Punkt Vier auf, nach Finanzen, Europa und „Klima, Energie, Umwelt“.

Das Verfahren ist ungewöhnlich. Normalerweise kommen die dicken Brocken am Schluss. Aber ungewöhnliche Bündnisse erfordern besondere Wege. Die förmlichen Koalitionsverhandlungen werden wahrscheinlich sterbenslangweilige Expertenrunden. Die dicken Brocken sollen vorher beseitigt sein, am Ende der Sondierungen, niedergelegt in einem bis ins Detail formulierten Papier. Denn außergewöhnliche Bündnisse erfordern außergewöhnliche Klarheit. Damit, dass sich nach zwei, drei Runden alle ganz nett finden, ist es diesmal nicht getan.

Alle bemühen sich

Wobei – selbst bis dahin ist noch ein gutes Stück Weg. Zwar zeigen alle Zuversicht nach den ersten Kennenlern-Gesprächen. „Es wurden keine Wahlkampfreden nacherzählt“, merkt ein Teilnehmer lobend an. Gerade weil alle wüssten, wie kompliziert es wird, bemühten sich alle besonders. FDP-Chef Christian Lindner behauptet am Freitag nach einer Sitzung seiner neuen Fraktion sogar, wenn es nur nach der Atmosphäre ginge, sei man jetzt schon zu 85 Prozent beieinander – „entspannt und konzentriert“.

Aber im nächsten Absatz redet der gleiche Christian Lindner von „hohem Konfliktpotenzial“ in Inhaltsfragen. Außerdem hat seine Fraktion gerade auf seinen Vorschlag hin den Parteivize Wolfgang Kubicki zum Bundestagsvizepräsidenten vorgeschlagen. Das ist aber nicht völlig ernst gemeint, sondern vorbeugend „für den Fall, dass wir in die Opposition gehen“. Dann wäre der Kubicki versorgt.

Spätestens mit diesem Zug belegt Lindner unbestritten den ersten Platz in dem Wettbewerb darum, wer am heftigsten behauptet, dass er nicht unbedingt regieren müsse. Zwar hat selbst Angela Merkel bei der Begrüßung ihrer jeweiligen potenziellen Partner erklärt, sie wolle diese Koalition, „aber nicht um jeden Preis“. Doch bei der Kanzlerin nahmen das die anderen als Standardformel wahr, die im politischen Geschäftsverkehr eben üblich ist.

Jeder weiß schließlich, dass die CDU-Chefin diese Koalition nicht nur will, sondern braucht. Scheitert der Versuch, steht ihre eigene Zukunft in Frage. Das miese Wahlergebnis wühlt ihre Partei auf. Diese Unruhe ist unproduktiv, weil sie kein reales Ziel kennt – wer sollte Merkel stürzen, wer sie ersetzen? Aber Vorgänge wie der plötzliche Rückzug des Stanislaw Tillich in Sachsen zeigen, was da an Eruptivkraft lauert. Merkel ist in den Gesprächsrunden die Ruhe in Person, hat für jeden einen freundlichen Satz und immer das erste Wort – „Sie ist die Figur, um die sich alles dreht“, beschreibt ein Teilnehmer die Szene. Aber sie braucht den Erfolg. Nur regieren versöhnt.

Springteufelchen Christian Lindner

Das Konturlos. Angela Merkel am Mittwoch, im Hintergrund Horst Seehofer.
Das Konturlos. Angela Merkel am Mittwoch, im Hintergrund Horst Seehofer.
© Tobias Schwarz/AFP

Seehofer braucht den Erfolg noch mehr, und er braucht ihn vollständiger als die CDU-Chefin. „Ohne das Regelwerk für die Zuwanderung“, sagt ein CSU-Mann mit Blick auf das Einigungspapier von CDU und CSU, „können wir nicht nach Hause kommen.“ Dass eine CSU die Bayern-Wahl in einem guten Jahr genau so zu verlieren droht, wenn an ihr ein Jamaika-Kompromiss scheitert, macht die Sache vollends ungemütlich.

Die Freien Demokraten könnten sich im Vergleich dazu entspannt zurücklehnen. Aber Lindner gibt das Springteufelchen. Spricht der CDU das Finanzministerium ab, ohne es freilich selber zu beanspruchen, attestiert der Kanzlerin öffentlich einen „deutlich spürbaren Autoritätsverlust“ und merkt intern beim ersten Treffen mit den Unionspartnern spitz an, dass es ja nicht an den Freidemokraten liege, wenn jetzt leider keine schwarz- gelbe Regierung möglich sei.

In der Union beobachten sie diese Auftritte mit einer Mischung aus Amüsement, Verärgerung und Anerkennung. „Das ist natürlich alles Show“, sagt ein Sondierer der Union. „Aber gute Show.“ Für jede Frechheit gegenüber Merkel, ergänzt ein anderer, könne sich Lindner bei den eigenen Anhängern ein Zugeständnis in der Sache leisten: „Der hat fünf seiner zehn Prozent von Leuten gekriegt, die nicht Merkel wählen wollten.“ Jetzt den Kecken zu geben komme dort an.

Abgesehen vom Stilistischen liegt in dem Punkt übrigens womöglich die Brücke zwischen Freidemokraten und Grünen. Den Satz des Grünen-Geschäftsführers Michael Kellner nach der gelb-grünen Abtastrunde, „dass wir nicht einfach den ausgetretenen Pfaden der Union folgen wollen“, fanden sie bei der FDP jedenfalls schon mal gut.

Dass der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer daraufhin giftete, Grünen und FDP erschienen ihm wie Pfadfinder, die dringend einen Kompass brauchten, nahmen sie als Bestätigung für einen Wirkungstreffer. Wobei es wieder andere quer durch drei der vier Parteien gibt, die Lindners rege Interviewtätigkeit als Sonderform des Pfeifens im Wald deuten. Der FDP-Chef hat der Union nämlich versichert, die FDP leide wirklich an keinem Trauma mehr aus den vier schwarz-gelben Jahren bis 2013!

Keine Psycho-Runde

Aber Koalitionsverhandlungen sind am Ende kein „Schiffe versenken“-Spiel und keine Psycho-Runde. Die CSU wird also Jürgen Trittin ertragen müssen und die Grünen Alexander Dobrindt, über den sie schimpfen, der neue Landesgruppenchef – „Wir dulden keine linken Spinnereien!“ – habe das Ende des Wahlkampfs noch nicht ganz mitgekriegt.

Am Freitagnachmittag schlendern Angela Merkel und Horst Seehofer zusammen vom Jakob-Kaiser-Haus zur Parlamentarischen Gesellschaft. Im Kaisersaal des alten Reichstagspräsidentenpalais kommt die erste gemeinsame Runde aller Jamaikaner. Merkel merkt an, dass es bisher ja nur Zweier-Treffen gab, wenn man CDU und CSU „als gemeinsame“ zähle. Man darf das als Signal verstehen, genau so wie ihr weißes Jackett: Die Union vereint, die Kanzlerin neutral.

Irgendwie sucht das neue Bündnis ja noch so etwas wie ein Motto. Lindner schlägt ein „vierblättriges Kleeblatt“ vor – „könnte ein Glücksfall für Deutschland sein, ist aber sehr selten“. Vielleicht taugt vorläufig aber schon die Sitzordnung im Kaisersaal, um die Aufgabe zu symbolisieren: Ein großes Rechteck aus Tischen, Merkel und ihre Mitarbeiter am einen Kopfende, am anderen stoßen CSU und Grüne aufeinander: Ein Quadrat, aus dem ein Kreis werden soll.

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