Volksabstimmung: Schweizer lehnen Grundeinkommen mit großer Mehrheit ab
Einer Hochrechnung zufolge haben sich die Schweizer deutlich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen. Eine Asylreform nahmen sie an.
Die Schweizer haben dem Plan eine heftige Abfuhr erteilt: Am Sonntag lehnten Hochrechnungen zufolge rund 80 Prozent der Wähler die Einführung eines "bedingungslosen Grundeinkommens" ab. Somit haben die Schweizer auch eine Pionierrolle ihres Landes in Europa verhindert. Helvetien wäre der erste Staat des Kontinents gewesen, in dem die Regierung den Einwohnern eine feste finanzielle Grundausstattung gezahlt hätte – ohne Gegenleistung. Dennoch dürfte das Votum die Debatte über Grundeinkommen in anderen Ländern weiter anregen.
Trotz der Niederlage freute sich der Vater der Initiative, der Basler Daniel Häni, über den Zuspruch von etwa 20 Prozent. "Ich finde es sagenhaft und sensationell", sagte der Bistro-Betreiber nach der Abstimmung. Tatsächlich hatte Häni und seine „Initiative Grundeinkommen“ gegen eine breite Ablehnungsfront zu kämpfen. Regierung, Parlament, die Wirtschaft und selbst der Gewerkschaftsbund wollten von den Transfers nichts wissen.
Dem Konzept zufolge sollte der Staat jedem Erwachsenen 2500 Schweizer Franken (2260 Euro) pro Monat steuerfrei zahlen, egal ob er die Schweizer Nationalität hat oder nicht. Einwanderer wären somit auch Empfänger geworden. Pro Kind sollte der Staat rund 625 Franken (565 Euro) auf das Konto der Eltern überweisen. Das Grundeinkommen sollte mit anderen Zahlungen, etwa der Rente, verrechnet werden. Eine vierköpfige Familie wäre somit in den Genuss von monatlich weit über 5000 Euro gekommen – ein Betrag, der in der teuren Schweiz für ein Leben ohne große finanzielle Sorgen ausreichen kann. Das Grundeinkommen befreie die Menschen von der "Existenzangst" und bringe "Marktwirtschaft und Menschlichkeit zusammen". Die Initiatoren versicherten: Die Finanzierung könnte gestemmt werden.
Zustimmung aber zu neuem Asylgesetz
Doch das wollte keiner der Gegner des Grundeinkommens glauben. Sie warnten vor dem Bau einer riesigen Umverteilungsmaschine. Der Ökonom Reiner Eichenberger befürchtete, der Staat könne das nötige Geld für die Überweisungen an die Einwohner nur mit "exorbitanten Steuersätzen von 70 bis 100 Prozent" hereinholen. "Unter diesen Umständen muss man die Menschen zur Arbeit zwingen. Das braucht einen Kontrollstaat, und ich kann nicht verstehen, wie freiheitsliebende Menschen so etwas wollen." Letztlich, so prophezeite der Ökonom, führe das Grundeinkommen in die "Sklaverei". Die Regierung sprach von einer Finanzierungslücke von jährlich umgerechnet mehr als 22 Milliarden Euro. Zudem warnte das Kabinett vor einer Spaltung der Gesellschaft: Das Schweizer Sozialsystem unterstütze die Menschen, die nicht selber für ihren Lebensunterhalt aufkommen können, erklärte Innenminister Alain Berset. Mit dem Grundeinkommen erhielten alle Menschen eine Unterstützung, "auch ohne einen Beitrag an die Gesellschaft zu leisten. Das würde das Gerechtigkeitsempfinden vieler verletzen und damit den sozialen Zusammenhalt gefährden."
Neben der Einführung des Grundeinkommens standen noch vier weitere Themen zur Abstimmung an: So sagten die Schweizer Ja zu einem neuen Gesetz zur Fortpflanzungsmedizin. Und sie sagten Ja zu einer Beschleunigung der Asylverfahren. Mit der Zustimmung von mehr als 65 Prozent zu den Änderungen im Asylgesetz fügten die Stimmbürger der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei eine deftige Schlappe zu – die SVP war gegen die Reform des Asylgesetzes zu Felde gezogen. 2015 wurden in der Schweiz knapp 40.000 Asylgesuche eingereicht, das Land hat mehr als acht Millionen Einwohner. Regierung und Parlament hatten die Änderungen bereits gebilligt, die Zeit und Geld sparen sollen. Die Eidgenossen wollen nun die meisten Verfahren zentral in Asylzentren abschließen, das Procedere soll nicht länger als 140 Tage dauern. Die Asylbewerber werden einen kostenlosen Rechtsschutz erhalten. Die SVP lehnte die "Gratisanwälte" als teures Privileg ab und warnte: Das neue Gesetz locke noch mehr Asylbewerber in die Eidgenossenschaft.
Jan Dirk Herbermann