Nach Finnland ein weiterer Kandidat: Schwedens Regierungspartei spricht sich für Nato-Beitritt aus
Der Ukraine-Krieg hat die Einstellung Finnlands und Schwedens zur Nato geändert. Die Türkei will gegen die Beitritte nun wohl doch kein Veto einlegen.
In Schweden haben sich die regierenden Sozialdemokraten am Sonntag für einen Beitritt des Landes zur Nato ausgesprochen. Damit ebnen sie den Weg für ein Aufnahmegesuch, mit dem das skandinavische Land sich von seiner jahrzehntelangen Neutralität verabschieden würde.
Die Entscheidung der Sozialdemokraten dürfte zu einer großen Mehrheit im schwedischen Parlament stehen. Weite Teile der Opposition haben bereits ihre Zustimmung zu einem Nato-Aufnahmeantrag signalisiert. Die Minderheitsregierung von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson dürfte nun in Kürze das offizielle Beitrittsgesuch einreichen.
Zuvor hatte Finnland am Sonntag erklärt, sich der Allianz anschließen zu wollen. Das Land werde einen entsprechenden Antrag zur Aufnahme in die Militärallianz stellen, teilten der finnische Präsident Sauli Niinistö und Regierungschefin Sanna Marin am Sonntag in Helsinki mit. Das finnische Parlament muss dem Schritt noch zustimmen, eine Mehrheit gilt aber als sicher.
Niinistö sprach am Sonntag mehrfach von einem „historischen Tag“ für das skandinavische Land. „Ein neues Zeitalter beginnt“, so der Präsident.
[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen.]
Finnland war seit Jahrzehnten bündnisfrei und teilt sich mit Russland eine rund 1300 Kilometer lange Grenze. Lange galt ein Beitritt in die Militärallianz als undenkbar - schließlich wollten es sich die Finnen nicht mit dem großen Nachbarn im Osten verscherzen. Doch der Angriffskrieg Moskaus auf die Ukraine hat bei den Politikerin und in der Bevölkerung zu einem Umdenken geführt.
Der Entscheidung gingen eine intensive gesellschaftliche Debatte und umfassende politische Beratungen voraus. Sowohl Niinistö als auch Marin hatten zuletzt für den Beitritt in die Militärallianz geworben.
Erst am Samstag hatte sich auch Marins sozialdemokratische Regierungspartei SDP für den Schritt ausgesprochen. Damit gilt eine Mehrheit im Parlament für einen Nato-Beitritt als sicher. Auch die Bevölkerung befürwortet den Schritt laut jüngsten Meinungsumfragen inzwischen mehrheitlich.
[Lesen Sie außerdem: „Niemand will, dass der Krieg noch stärker eskaliert“: Welche Strategie fährt der US-Präsident gegen Putin? (T+)]
Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete den geplanten Nato-Beitritt Finnlands in einem Telefonat mit Niiinistö am Samstag als Fehler. Von Russland gehe keine Bedrohung für das Nachbarland aus, betonte Putin nach Kremlangaben bei dem Gespräch. Finnlands Abkehr von der traditionellen Neutralität werde zu einer Verschlechterung der bislang guten nachbarschaftlichen Beziehungen führen.
Baerbock irritiert über Vorbehalte der Türkei
Finnland und Schweden sind heute bereits enge Partner der Nato, aber keine offiziellen Mitglieder. Blockiert werden könnte ihre Aufnahme in die Militärallianz theoretisch noch durch das Veto eines Mitgliedstaats, die einstimmig über Aufnahmen entscheiden müssen. Kritisch hatte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan geäußert, der Finnland und Schweden vorwarf, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK sicheren Unterschlupf zu bieten.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zeigte sich bei einem Treffen der Nato-Außenminister in Berlin irritiert über die Äußerungen aus Ankara. Ihrer Ansicht nach müsste jedes demokratische Land eigentlich erfreut sein, wenn Demokratien mit starken Verteidigungsfähigkeiten das gemeinsame Bündnis stärker machten. Bei dem Treffen nahmen auch die Außenminister Schwedens und Finnlands, Pekka Haavisto und Ann Linde, als Gäste teil.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erwartet keine Verzögerung eines Nato-Beitritts von Finnland und Schweden durch die Einwände der Türkei. Die Türkei habe klargemacht, dass sie einen Beitritt nicht blockieren wolle, sagte Stoltenberg am Sonntag. „Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir auf die Einwände, die von der Türkei geäußert wurden, so eingehen können, dass sie den Beitrittsprozess nicht verzögern werden.“
Die Türkei forderte für ein Ja zur Aufnahme Schwedens und Finnlands Sicherheitsgarantien, wie Außenminister Mevlut Cavusoglu in Berlin sagte. Zudem müssten Exportbeschränkungen aufgehoben werden. Darüber hinaus sollten beide Länder damit aufhören, Terrorismus zu unterstützen. Grundsätzlich unterstütze die Türkei aber den Nato-Ansatz der „offenen Tür“. Haavisto erklärte: „Ich bin mir sicher, dass wir für diese Sache eine Lösung finden werden.“
Mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:
- Sabotageakte gegen Russland: Für die Ukraine könnte bald die Stunde der Partisanen schlagen
- Abhöraktionen, Satellitendaten, Hackerangriffe: Wie US-Geheimdienste zur Zermürbung des russischen Militärs beitragen
- Interview mit Putins Vordenker: „Die Ukraine könnte gut unter Staaten aufgeteilt werden“
- Lügen und Mythen über den Ukraine-Krieg: Putins Propaganda wirkt auch in Deutschland
- Waffenlager, Treibstoffdepots und Schienennetz: Angriffe auf russische Infrastruktur häufen sich – schlägt die Ukraine jetzt zurück?
Baerbock stellte Schweden und Finnland eine rasche Aufnahme in die Nato in Aussicht. Deutschland würde einen Beitritt der beiden Länder in das Bündnis „sehr, sehr schnell“ ratifizieren, sagte Baerbock am Rande informeller Beratungen mit ihren Nato-Kolleginnen und -Kollegen in Berlin. Die Bundesregierung habe dazu bereits Gespräche mit allen demokratischen Parteien geführt.
Auch zahlreiche andere Nato-Staaten hätten einen schnellen Ratifizierungsprozess zugesagt, sagte Baerbock. Eine „Hängepartie“ nach einem Beitrittsantrag Schwedens und Finnlands dürfe es nicht geben, betonte sie.
„Die Nato ist ein Bündnis, was auf Verteidigung setzt, das wird es auch immer bleiben“, sagte Baerbock. „Aber es ist auch ein Bündnis der offenen Türen und deswegen heißen wir Finnland und Schweden, wenn sich ihre Parlamente, wenn sich ihre Gesellschaften dafür entscheiden, herzlich willkommen.“ (dpa, AFP, Reuters)