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Willkommen in Schweden - das gilt mittlerweile für weniger Flüchtlinge, hier an der dänisch-schwedischen Grenze.
© Reuters

Flüchtlinge: Schweden oder Deutschland - wer integriert besser?

Schweden hat nicht nur lange Erfahrung als Einwanderungsland, es kümmert sich auch seit Jahrzehnten um seine Neubürger. Ein Praxisbericht.

Vorbild Schweden: Die Nachbarn im Norden haben in den vergangenen Jahren pro Kopf der Bevölkerung fast dreimal so viele Flüchtlinge aufgenommen wie Deutschland – nur Syriens Nachbarin Türkei beherbergt mehr – und integriert sie dennoch mit mehr Erfolg als die meisten anderen Industrieländer. Schwedischkurse gibt es für alle Ausländer, sofort – schon seit mehr als fünfzig Jahren – sie dürfen auch von Anfang an arbeiten, ohne dass geprüft wird, ob für den Job auch Einheimische infrage kämen. Außerdem haben ihre Kinder weniger Schul- und Integrationsprobleme als anderswo.

 Drastischere Asylbeschränkungen als in Deutschland

Vorbild Schweden? Auch dort sind die Migrationsbehörden inzwischen überlastet, ein Jahr lang muss warten, wer einen Asylantrag in Schweden stellt. Und auch die Regierung in Stockholm hat im letzten Jahr einiges getan, um sich der wachsenden Zahlen zu erwehren, sie hat den Aufenthalt von Kriegsflüchtlingen auf drei Jahre begrenzt und den Nachzug ihrer Familien eingeschränkt – was zuletzt etwa 20 bis 30 Prozent von ihnen dazu brachte, Schweden zu verlassen. „Die Maßnahmen sind teils drastischer ausgefallen als in Deutschland“, sagt Bernd Parusel. Der Politikwissenschaftler kennt beide Länder gut, hat früher im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gearbeitet und ist jetzt für das schwedische Migrationsamt „Migrationsverket“ tätig. Unter dem Titel „Integration von Geflüchteten: Was kann Deutschland von Schweden lernen?“ hatte der Berliner Mediendienst Integration ihn und die Migrationsforscherin Gisela Waisman von der Universität Stockholm eingeladen. Parusel wäre für einen noch viel gründlicheren Austausch: „Alle EU-Länder sollten voneinander lernen, auch Schweden kann das von Deutschland.“

Oder weit über die EU hinaus. Thomas Liebig und sein Team in der OECD-Zentrale in Paris haben die Migrationspolitik sämtlicher 34 Mitgliedsländer der Organisation der reichsten Industriestaaten untersucht und Interessantes herausgefunden: Was die Integration von Frauen und Familienangehörigen der – mehrheitlich männlichen -Flüchtlinge angeht, ist anscheinend kein Land wirklich gut, „da haben wir als OECD die größten Probleme, Beispiele für best practice zu finden“, sagt der Ökonom Liebig, der die Migrationsabteilung der OECD leitet. In Schweden halten unter anderem die großzügigen Erziehungszeiten für junge Eltern Migrantinnen lange vom Arbeitsmarkt fern, sagt Gisela Waisman - vermutlich zu lange, um sich danach in einem Arbeitsleben zurechtzufinden, „das hohe Sprachanforderungen stellt“.

 "Fast alles Wissen über Migration stammt aus Nordeuropa"

Norwegen ist nach OECD-Erkenntnissen Weltmeister darin, auch niedrig Qualifizierte in Arbeit zu bringen, während Schwedens „hochautomatisierte Gesellschaft“ (Parusel), in der kaum ein Bahnhof noch Personal hat, nur Höher- und Hochqualifizierte braucht – und Bauchschmerzen dabei hätte, für Geflüchtete einen Niedriglohnsektor aufzumachen. Weswegen man die Idee zwar diskutierte, aber dann verwarf. Die beste öffentliche Meinung und Kommunikation über Einwanderung hat nach Erkenntnissen der OECD-Forscher Portugal. Die Parteien dort sind sich einig, Einwanderung nicht grundsätzlich infrage zu stellen, und für Konflikte gibt es  interkulturelle Mediatoren. Der europäische Norden ist ohnehin Spitze, was „lange Erfahrung und Strukturen für Migration“ angeht. „Neunzig Prozent dessen, was wir über Migration wissen“, sagt Liebig, „wissen wir aus Schweden, Norwegen und Dänemark.“ Deutschland, Frankreich, Österreich und die Schweiz hätten zwar ebenfalls lange Einwanderungsgeschichten – aber auch sehr lange keine Einrichtungen dafür geschaffen.

Warum Schweden, das seine Zuzügler seit 1965 sofort ins Sprachbad wirft und ihnen die Tore zum Arbeitsmarkt weit öffnet, dennoch nur magere Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt vorweisen kann, mindestens für die erste Generation, hat allerdings Gründe wie anderswo auch: Neben den erwähnten Problemen der Frauen und den hohen Sprachanforderungen passten die Qualifikationen der Neuen oft nicht, sagt Gisela Waisman. „Und natürlich ist Diskriminierung ein Thema.“ Im Schnitt der OECD-Länder freilich sind die Schweden auch auf diesem Sektor erfolgreicher als andere: Nach Ende des zweijährigen Sprach- und Integrationsprogramms haben 25 Prozent der Flüchtlinge im hohen Norden Arbeit - nur bei fünf Prozent freilich ist sie nicht staatlich subventioniert, nach acht Jahren arbeiten mehr als 50 Prozent.

Schwedische Neugier

Lernen kann Deutschland auf jeden Fall von schwedischem Pragmatismus, da sind sich die Kenner einig: Dort gehe es nicht um Fragen wie die, ob der Islam zu Deutschland gehört, sagt Bernd Parusel, sondern um ganz praktische Fragen wie Schule, Wohnraum – der in Schweden inzwischen bis in kleine Gemeinden nahe am Polarkreis knapp wird – oder Arbeitslosigkeit. Und von schwedischer Neugier und Lernbereitschaft. „Es gibt kein anderes Land“, sagt Thomas Liebig, „das uns als OECD so intensiv fragt: Was können wir besser machen?“

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