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Das Bundesgesundheitsministerium von Jens Spahn wollte mit fast 14.000 Intensivbetten für 700 Millionen Euro helfen. Doch wurde das Geld wirklich dafür verwendet?
© Christophe Gateau/dpa

Weitere Watschen für Jens Spahn: Schummelei-Verdacht bei Intensivbetten – wie es so weit kommen konnte

Fast 14.000 Betten für Intensivpatienten sollten Krankenhäusern durch die Corona-Wellen helfen. Doch kann das Spahn-Ministerium nicht prüfen, ob es sie gibt.

Es ging in der Kritik über die zu hohen Erstattungsbeträge für die Masken-Verteilaktion in Apotheken fast unter: Der Bundesrechnungshof (BRH) hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zwei weitere Watschen erteilt.

Neben den 10,2 Milliarden an Ausgleichszahlungen für coronabedingte Umsatzausfälle an die Krankenhäusern alleine für 2020, kritisierte der Bericht auch die Zahlungen für den Aufbau von Intensivbetten.

700 Millionen Euro wies der Bund per Verordnung an. 13.700 zusätzliche Betten für intensivpflichtige Patient:innen sollten dadurch geschaffen werden und ein Polster für die Spitzen der Corona-Wellen bieten. Nur: Ob die bereits bezahlte Leistung tatsächlich abgeliefert wurde wie bestellt, ist nicht nachvollziehbar.

Das liegt vor allem an Definitionsschwierigkeiten um die Frage, was denn ein Intensivbett ausmacht und wie viele davon ein Krankenhaus zur Verfügung hat. Denn die Bundesländer nutzen für ihre Statistiken unterschiedliche Definitionen. Durch einen Bericht der „Bild“-Zeitung waren Vorwürfe laut geworden, die Krankenhäuser hätten Auslastungsquoten künstlich hoch gehalten, um mehr Kompensation zu kassieren.

„Vielversprechend“ sei das Programm zunächst gewesen, so die Rechnungsprüfer. Denn angesichts möglicher zukünftiger Epidemien könnten mehr Intensivbetten langfristig das Gesundheitssystem krisenfester machen. Genau deshalb aber ist es so wichtig, dass diese Betten tatsächlich existieren.

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„Der Bundesrechnungshof hat beanstandet, dass das BMG bis heute nicht in der Lage ist, die Zahl der tatsächlich aufgestellten Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit verlässlich zu beziffern“, heißt es deshalb im Bericht. Außerdem sind Kontroll‐ und Rückforderungsmöglichkeiten nicht vorgesehen. Das Ministerium wird also bezichtigt, Gelder mit der Gießkanne verteilt zu haben.

Diese Kontrollschwierigkeiten wurzeln in einem ganz pragmatischen Problem: Ein Intensivbett ist nicht gleich ein Intensivbett. Betten etwa für Intensivpatient:innen nach einer Herz-OP oder Kinderintensivbetten sind nicht für die Versorgung von Corona-Patient:innen mit schweren Verläufen geeignet – entweder, weil sie in Abteilungen stehen, die nicht coronasicher sind, oder weil die Ausstattung schlicht nicht geeignet ist.

Die im Register der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) verzeichneten Krankenhäuser haben keine einheitliches, differenziertes System für diese Unterscheidungen. Aus diesen Definitionsschwierigkeiten resultierte teilweise der Vorwurf an das Divi-Register, Zahlen manipuliert zu haben.

Denn im August 2020 sanken plötzlich die Zahl der Intensivbetten. Der Internist Matthias Schrappe warf der Divi daraufhin Manipulation vor. Die wies das gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften zurück und erklärte die Änderung der Zahlen mit neuen Kriterien für die Statistik. So seien etwa Kinderintensivbetten aus der Zählung gefallen.

[Mehr zum Thema: Die Sorge vor der Sorglosigkeit: So fühlt sich Inzidenz 0 für einen Intensivmediziner an (T+)]

Genau zu diesem Punkt verteidigte sich das BMG in einem „Faktenblatt“ am Freitag und reagierte damit auf die Vorwürfe des BRH. Denn auch die milliardenhohen Ausgleichszahlungen für freigehaltene Betten und Umsatzausfälle wegen abgesagter Operationen hingen zumindest teilweise an der Auslastungsquote der Intensivkapazitäten.

„Die Auslastung der intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten in den einzelnen Landkreisen ist nur einer von mehreren Parametern im Rahmen der komplexen Systematik der Ausgleichszahlungen“, heißt es in der Mitteilung.

Spahn bat die Länder um sauber erfasste Daten

Damit reagierte das Ministerium auf Passagen im Rechnungshofbericht die sich auf Warnungen des Robert Koch-Instituts (RKI) bezogen. Das stand auf dem Standpunkt, dass die gemeldete Zahl der Intensivkapazitäten nicht zur Bemessung geeignet sei.

Außerdem bestünde bei diesem Vorgehen die Gefahr, dass potentielle Zahlungsempfänger die Zahlungsparameter beeinflusst hätten, so der Bericht – also etwa die Deutsche Krankenhausgesellschaft Einfluss auf das BMG genommen hat. Auf Kriterien wie die Sieben-Tage-Inzidenz aber hätten die Krankenhäuser keinen Einfluss, konterte das BMG.

Außerdem sei das RKI gebeten, keine weiteren rückwirkenden Anpassungen der gemeldeten ITS-Kapazitäten mehr vorzunehmen, um einen eventuelle Manipulationsverdacht zu unterbinden. Auch habe Spahn gegenüber den Ländern immer wiederum sauber erfasste Zahlen gebeten. Auch hier wiederholt sich der Konflikt zwischen Bund, Ländern und Krankenhäusern, die laut Rechnungsprüfern von „Mitnahmeeffekten“ profitiert hätten.

Die Intensivmediziner der Divi reagierten am Freitag mit einer ausführlichen Pressemitteilung auf die Vorwürfe, die gemeldeten freien Intensivbetten im Intensivregister könnten durch die meldenden Kliniken künstlich reduziert worden sein: „Das Divi-Intensivregister und die hierin abgefragten Daten aller Intensivstationen mit Akutversorgung in Deutschland, rund 1330 an der Zahl, sind und waren zu jeder Zeit belastbar – zur Bewertung der Pandemie und der Lage auf den Intensivstationen.“

Die Divi habe keinen Hinweis darauf, dass eine bewusste Falschmeldung der Krankenhäuser erfolgt sei, heißt es weiter. „Wir weisen den Verdacht entschieden zurück, Kliniken würden sich im großen Stil durch bewusste Falschmeldungen bereichern.“

Die Zahlen aus dem Intensivregister hätten sich stets mit Daten aus weiteren Surveillance-Systemen gedeckt. „Entsprechend kann durch diese zahlreichen Mechanismen und Kontrollinstanzen kein Betrug mit Intensivbetten im großen Stil stattgefunden haben“, so die Divi.

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bemühte sich bei den Intensivbetten durchaus um Einheitlichkeit, wie aus dem Bericht hervorgeht. Das BMG habe im Sommer 2020 entschieden, dass „Krankenhäuser rückwirkend zum Stichtag 1. Januar 2020 tatsächlich aufgestellte, technisch vollständig ausgestattete Low‐Care, High‐Care und ECMO-Behandlungsplätze melden sollten“, heißt es im Bericht.

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Diese Bemühungen scheiterten in der Folge anscheinend an Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Krankenhäusern, den Ländern, die für die Krankenhäuser zuständig sind, und dem Bund. Im September 2020 bat das BMG die Länder, die Krankenhäuser darum zu bitten, Korrekturmeldungen zu verschicken um bundesweit einen einheitlichen Stand zu erreichen. Das gelang wohl nicht: „Auch danach wurde allerdings bezüglich der Definition Erörterungs‐ und Klärungsbedarf gesehen“, so die Rechnungsprüfer.

Das Ergebnis: Bis heute kann die aktuelle Zahl der Intensivbetten nicht mit der vor der Pandemie verglichen werden. Dabei ist das eigentlich zwingend notwendig, um zu überprüfen, ob 700 Millionen Euro an Steuergeldern auch das Resultat erzielten, für das sie vorgesehen waren. Die Auszüge aus dem Bericht zeigen auch, dass wohl ein Großteil der Verantwortung bei Ländern und Krankenhäusern lag – oder dass das BMG nicht klar genug kommunizierte, was die Definition für ein Intensivbett ist.

Rückzahlungen zu fordern, wird eine Herausforderung

Die Praxis ist komplex: So rüsteten Krankenhäuser teilweise Low-Care-Behandlungsplätze auf und erhielten dafür den vollen Zuschuss von 50.000 Euro – die gleiche Summe, als wenn sie ein Intensivbett komplett neu eingerichtet hätten. Betrug ist das nicht, höchstens schlechte Regulierung vonseiten des BMG.

Das Fazit des Bundesrechnungshofs ist klar: Es muss Kontrollmechanismen geben und gegebenfalls Rückzahlungsforderungen. Dem Gesundheitsfonds als letztendlichem Kostenträger sei diese Kontrolle aber verwehrt. Rückzahlungen von den Krankenhäusern einzufordern, wird eine Herausforderung, das ist jetzt schon abzusehen. Eine solche Maßnahme müsste über die Länder laufen, die die Kontrollhoheit über die Anträge innehatten.

Die sahen sich bereits mit Klagen von Krankenhäusern überzogen, als einige Länder Antragspapiere für die Aufstockungsförderung als unzureichend bemängelten. Will Spahn also die Forderungen der Rechnungsprüfer erfüllen, wird es auf ein Seilziehen mit den Ländern und der Krankenhauslobby hinauslaufen. Die hatte sogar 85.000 Euro pro Bett gefordert.

Diese Aufgabe wird dann wahrscheinlich Spahns Nachfolger zufallen. Das gilt auch für die zu hohen Erstattungserträge für Schnelltests und die saftige Summe von 18 Euro pro ausgestelltem digitalen Impfpass für Apotheken. Denn pauschale Auszahlungen ohne ausreichende Kontrolle sieht der Bundesrechnungshof gar nicht gerne.

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