Große Koalition: Schulz schimpfte laut: Was sich in den Verhandlungen abspielte
Die CDU hadert mit dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. Bei den Gesprächen herrschte Sturheit. Einer schließlich rettete am Ende alles.
Carsten Linnemann fürchtet den „Anfang vom Ende der Volkspartei CDU“. Der Chef-Mittelständler der Unionsfraktion ist der vorerst prominenteste Zeuge für die Empörung, die der Koalitionsabschluss in der CDU auslöst. „Die Verteilung der Ministerien lässt jede Ausgewogenheit vermissen“, kritisiert er. Wer die Hoheit über das Auswärtige, die Finanzen und das Soziale in die Hand des kleineren Partners SPD lege, der gebe den Gestaltungsanspruch in diesen Bereichen ab. Die CDU als Garant für Solidität – „das ist jetzt infrage gestellt“.
Was der Wirtschaftspolitiker in deutlichen Worten sagt, drücken andere zurückhaltender aus. „Eine Einbuße, die vom Wahlergebnis nicht gedeckt ist“, nennt der Schleswig-Holsteiner Daniel Günther den Verlust des Finanzministeriums. „Das tut der Union schon weh“, sagt der Hesse Volker Bouffier. Der CDU-Ministerpräsident muss sich in diesem Jahr einer Wahl stellen. Das schärft sein Gespür für Missstimmungen zusätzlich.
Dabei ist „schon weh“ gar kein Ausdruck für das, was es vielen in der CDU tut, besonders wenn sie am Morgen die „Bild“-Zeitung zu Gesicht bekommen haben. „Merkel schenkt der SPD die Regierung“, klotzt das Blatt in fetten Blocklettern auf die Titelseite. Man hat dort grade eine neue Leitung, die offenbar gerne gröberes Karo trägt.
Die Missstimmung ist aber auch ohne Zutun des Boulevards da. Selbst Horst Seehofer sieht sich genötigt, darauf zu reagieren. Man habe im Koalitionsvertrag „Sicherheitslinien“ eingezogen, und außerdem gebe es das Kanzleramt und die Unionsfraktion und die CSU-Landesgruppe unter Alexander Dobrindt als Garant dafür, dass „nichts anbrennen wird“.
Seehofers Beschwichtigungsversuche sind insofern besonders bemerkenswert, als er in den Ressortverhandlungen im Konrad-Adenauer-Haus eine zentrale Rolle gespielt hat. Er ist auch der Einzige, der freimütig Details aus der langen Nacht erzählt. „Bleihaltig“ sei es gewesen, zeitweise habe man sich bloß angeschwiegen. Aber die SPD habe nun mal sehr darauf beharrt, die drei Ministerien Finanzen, Außen und Soziales zu kriegen, und so sei der gefundene Kompromiss am Ende ein „Akt der Verantwortung für die Demokratie“ gewesen: Ein Abbruch wegen Streits um Posten hätte für alle drei Parteien auf lange Zeit hinaus „einen riesigen Schaden“ bedeutet.
Das ist alles richtig, allerdings nicht die komplette Geschichte, wie sie sich in Berichten von beiden Seiten darstellt. Ganze 14 Stunden lang ist im Adenauer-Haus in der Nacht zu Mittwoch ausschließlich um die Ministerfrage gerungen worden. SPD-Chef Martin Schulz ging mit der Forderung nach den drei Schlüsselressorts in die Gespräche hinein. Seehofer meldete Anspruch auf das Finanzministerium an. Wären die Ressorts reihum im Zugriffsverfahren verteilt worden, hätte die CSU den Posten auch bekommen. Aber die SPD lehnte die Methode rundheraus ab.
Haue kriegen sie
Seehofers zweites Wunschressort – Arbeit und Soziales – wollten die Sozialdemokraten ebenfalls nicht hergeben. Aus ihrer Sicht war die Sturheit logisch. Ohne das Symbolministerium Soziales hätte sich die SPD-Spitze bei der eigenen Basis gar nicht erst mit der Bitte blicken lassen dürfen, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen. Auf drei Spitzenressorts zu beharren, war zugleich für Schulz die einzige Chance, sich selbst eins zu sichern. Der Noch-Vorsitzende wusste um seine prekäre Lage. Nur im Windschatten der fetten Beute Finanzministerium konnte er auf das Auswärtige Amt hoffen.
So blieb die Lage verfahren. Man sah und hörte Schulz auf den Gängen der CDU-Zentrale laut über Seehofer schimpfen. Alle Seiten nahmen lange Auszeiten, ohne dass sie Bewegung brachten. „Es gab kein Vor und kein Zurück“, berichtet ein Augen- und Ohrenzeuge.
Dass die Bewegung doch kam, ging – nimmt man alle Berichte, Andeutungen und das Nichtgesagte zusammen – offenbar von Seehofer aus. Der CSU-Chef ließ sich auf ein um Bau und Heimat kräftig mit Investitionsmitteln aufgepumptes Innenministerium ein. Für die CDU und Chefin Angela Merkel blieb da nur noch der Rest. Man habe am Ende, sagt einer aus der CDU-Führung, nicht nur aus Interesse an einer stabilen Regierung und schlichtem Selbstschutz eingewilligt, weil sie es „allesamt nicht überlebt“ hätten, die Verhandlungen platzen zu lassen. Es sei zugleich auch um den „Zusammenhalt in der Union“ gegangen.
Merkel selbst verteidigte das Ergebnis hinterher intern: Noch länger zu reden, sei keine Möglichkeit gewesen, den Konflikt aufzulösen. Fraktionschef Volker Kauder versuchte in der Fraktionssitzung am Mittwoch, die still in sich hineinmurrenden Abgeordneten mit dem Hinweis zu trösten, in einer Jamaika-Koalition wäre die CDU das Finanzministerium auch als erstes los gewesen, weil die FDP es beansprucht hätte.
Aber die FDP ist nicht die SPD. In der Europapolitik hätte ein freidemokratischer Finanzminister die deutsche Kasse noch viel dichter gehalten als selbst der legendäre Wolfgang Schäuble. Bei der Kombination Schulz im Außen- und Olaf Scholz im Finanzministerium wittern die EU-Skeptiker gleich Unrat.
Aus der CDU-Spitze versuchen sie es mit beruhigenden Hinweisen: Der Hamburger Scholz gehöre nicht gerade „zum linken Flügel der SPD“. Und in der ersten großen Koalition sei man mit dem SPD-Finanzminister Peer Steinbrück doch gut gefahren. Sie versuchen es mit tröstenden Hinweisen: Das fürs Finanzressort eingetauschte Wirtschaftsministerium gelte zwar bei vielen als eine Art politische Schrottimmobilie, aber daraus lasse sich viel machen. Und sie versuchen es mit einem Was-wäre-erst-los-gewesen – wenn nämlich CDU und CSU der SPD statt bei den Kabinettsposten im Inhaltlichen nachgegeben hätten. Tatsächlich hat die SPD bei befristeten Arbeitsverhältnissen und Besserstellung von Kassenpatienten wenig herausgeholt. „Wir kriegen lieber Haue für ein Ministerium als für schädliche Sachentscheidungen“, sagt ein führender Christdemokrat. Haue kriegen sie. Den CDU-Parteitag zum Nein aufrufen wollen aber nicht mal laute Kritiker.
Robert Birnbaum