Flüchtlinge im Mittelmeer: Kritiker nennen EU-Grenzschutzmission "Todesurteil"
Am Wochenende hat die EU-Mission Triton nach einem Jahr Italiens Rettungsaktion für Flüchtlinge abgelöst. Doch Triton hat zum Retten weder Auftrag noch Ressourcen. Kritiker erwarten noch mehr Tote im Mittelmeer.
Die neue EU-Grenzschutzmission „Triton“ sieht sich massiver Kritik ausgesetzt. Der Einsatz, der am Samstag die italienische Seenotrettungsaktion „Mare Nostrum“ abgelöst hat, werde dazu führen, dass wieder mehr Menschen im Mittelmeer ums Leben kommen, sagte die Vertreterin der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der EU, Katrin Hatzinger. Die Grüne Ska Keller, Migrationspolitikerin und Abgeordnete im Europäischen Parlament, nannte „ Triton“ „das Todesurteil für viele Flüchtlinge“. Zuvor hatte Amnesty International die Fortsetzung von „Mare Nostrum“ gefordert, bis alle EU-Staaten eine Alternative geschaffen hätten. Es gehe um das Leben von Flüchtlingen „der gesamten EU und nicht allein Italiens“, sagte die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Selmin Çaliskan.
Frontex: Wir ersetzen Mare Nostrum nicht
Tatsächlich haben sowohl die EU als auch Berlin mehrfach klargestellt, dass Frontex’ Sache die Außengrenzüberwachung sei und bleibe, nicht der Schutz schiffbrüchiger Flüchtlinge. Für Seenotrettung nach Art von Mare Nostrum habe Frontex „weder das Mandat noch die erforderlichen Ressourcen“, hieß es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion Mitte Oktober. Der seit Sommer amtierende Chef der Agentur Gil Arias-Fernández sagte kürzlich im Gespräch mit dem Tagesspiegel, Triton werde „Mare Nostrum weder übernehmen noch ganz oder teilweise ersetzen“. Auch dass mit Triton das Gebiet erweitert werde, in dem europäische Schiffe patrouillierten, habe mit Rettungsmaßnahmen nichts zu tun. Fernández warf Italien sogar vor, Mare Nostrum habe das Risiko für Flüchtende erhöht. Es sei „eine Tatsache, dass die Schlepper wesentlich mehr Flüchtlinge auf ihren Booten unterbringen und ihnen weniger Lebensmittel, Wasser und Benzin mitgeben, seit Mare Nostrum eingerichtet wurde. Sie missbrauchen die Operation.“
Zehntausende wurden gerettet
Durch „Mare Nostrum“, für das Rom monatlich neun Millionen Euro ausgab, wurden nach Angaben Italiens in einem Jahr zwischen 150- und 160 000 Boat People im Mittelmeer gerettet. Die damalige Regierung von Enrico Letta hatte die Aktion begonnen, nachdem am 3. Oktober 2013 fast 400 Flüchtlinge vor Lampedusa ums Leben gekommen waren. Dennoch ging das Sterben im Meer weiter; nach UN-Schätzungen sollen 2014 mindestens 3000 Menschen die Überfahrt nach Europa nicht überlebt haben. Die Internationale Migrations-Organisation IOM lobte Italiens Alleingang und widersprach der Ansicht, Mare Nostrum habe als „Pull-Faktor“ gewirkt, der Menschen erst zu den gefährlichen Überfahrt ermutigt habe. Es gebe schlicht mehr Menschen, die fliehen müssten, sagte IOM-Generaldirektor William L. Swing.
Italiens Innenminister spricht von Übergangsfrist
Italiens Innenminister Angelino Alfano hatte am Freitag, dem Schlusstag von Mare Nostrum, Bilanz gezogen und eine Übergangsphase von zwei Monaten angekündigt. In dieser Zeit werde Italien in eigenen Zonen Schiffbrüchige suchen und aufnehmen. Gleichzeitig verlangte er „Mut zu einem weiteren Entschluss“. „Wir in Europa müssen unsere Strategie ändern und verlangen, dass Asyl in Afrika beantragt wird“, sagte der Politiker der „Neuen Rechten Mitte“, der früher Berlusconis Partei angehörte.
Im Rahmen von „Triton“ patroullieren vor Italien und auf hoher See sieben Schiffe und vier Flugzeuge. Deutschland stellt einen Hubschrauber und Bundespolizisten.