Frankreichs Kampf gegen den Islamismus: Schüler gedenken des enthaupteten Lehrers Paty
Frankreich erlebt einen schwierigen Start nach den Herbstferien: Schüler gedenken des ermordeten Samuel Paty, zehntausende Polizisten sichern den Schulbetrieb.
Eine schwierige Aufgabe hatten am Montag drei Fünftklässler einer Grundschule im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine zu bewältigen, wo der Geschichtslehrer Samuel Paty vor zwei Wochen von einem islamistischen Attentäter enthauptet worden war. Vor laufender Kamera, übertragen von französischen Nachrichtensendern, lasen die drei Schüler einen Brief des französischen Historikers Jean Jaurès vor, der kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs im Juli 1914 von einem französischen Nationalisten ermordet wurde. Darin findet sich ein Appell, der über ein Jahrhundert später auch gut für die heutige Lage in Frankreich zutrifft: „In Ihren Händen liegt die Intelligenz und die Seele der Kinder“, heißt es in Jaurès‘ Brief an die Lehrerinnen und Lehrer aus dem Jahr 1888, der am Montag landesweit in sämtlichen Schulklassen vorgetragen wurde.
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Auch Frankreichs Premierminister Jean Castex und Bildungsminister Jean-Michel Blanquer waren am Montagvormittag dabei, als in der Klasse der Fünftklässler von Conflans-Sainte-Honorine der Unterricht nach den Herbstferien wieder begann. Nach dem Verlesen des Briefs von Jaurès und einer Schweigeminute für Paty führten der Regierungschef und der Bildungsminister ein kurzes Gespräch mit den Schülern, bei dem es um das Gewaltverbot, die Meinungsfreiheit und das Schicksal von Samuel Paty ging. Anschließend wurde gemeinsam die französische Nationalhymne angestimmt.
Paty war zur Zielscheibe der Islamisten geworden
Paty war zur Zielscheibe der Islamisten geworden, nachdem er im Unterricht über die Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ gezeigt hatte. Die Ermordung des Geschichtslehrers war bereits das zweite islamistische Attentat, seit „Charlie Hebdo“ Anfang September die Karikaturen erneut veröffentlicht hatte – zeitgleich zum Beginn des Prozesses um die mutmaßlichen Unterstützer des Anschlags auf das Magazin Anfang 2015. Am vergangenen Donnerstag tötete ein 21-jähriger Islamist aus Tunesien drei Menschen in einer Basilika im Zentrum von Nizza. Seither gilt wieder die höchste Terrorwarnstufe in Frankreich. 100.000 Polizisten, Gendarmen und Soldaten waren am Montag vorrangig damit beauftragt, die Sicherheit vor den Schulgebäuden zu gewährleisten.
Innenminister will in Tunis und Algier über Abschiebungen reden
Unterdessen kündigte Innenminister Gérald Darmanin an, gegen Ende der Woche in Tunis und Algier mit seinen dortigen Amtskollegen über die Abschiebung tunesischer und algerischer Staatsbürger zu sprechen, die sich in Frankreich radikalisiert haben. Zuvor hatte Justizminister Éric Dupond-Moretti darauf hingewiesen, dass schwierige diplomatische Verhandlungen mit jenen Ursprungsländern vonnöten seien, welche die Gefährder nicht zurücknehmen wollen.
Bereits am Wochenende hatte der tunesische Regierungschef Hichem Mechichi die Kooperation der tunesischen Behörden bei den Ermittlungen nach dem Attentat von Nizza zugesichert. Der Attentäter war Ende September über die italienische Insel Lampedusa nach Europa gelangt und hielt sich seit Anfang Oktober illegal in Frankreich auf. Die Ermittlungen konzentrieren sich nach Angaben der Zeitung « Le Monde“ als möglichen Komplizen auf einen 29-jährigen Tunesier, der im September gemeinsam mit dem Attentäter nach Italien gekommen sein soll. Der 29-Jährige war am Wochenende im südfranzösischen Grasse festgenommen worden.
Die Proteste in muslimisch geprägten Ländern gegen die französische Regierung gingen derweil auch am Montag weiter. In Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, folgten nach Angaben der Polizei mehr als 50.000 Menschen einem Aufruf der islamistischen Gruppe Hefazat-e-Islami und riefen zu einem Boykott französischer Produkte auf. Der Protest richtete sich gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der nach der Enthauptung von Paty das Recht zur Veröffentlichung religionskritischer Karikaturen verteidigt hatte.
Regierungschef: Nicht Frankreichs Kolonialgeschichte verantwortlich machen
Auch in Frankreich reißt die Debatte um die Ursachen des islamistischen Terrors nicht ab. Frankreich ist wie kein anderes Land in Europa seit Jahrzehnten von fundamentalistischer Gewalt betroffen. Premierminister Castex forderte in einem Interview mit dem Fernsehsender „TF1“, man müsse damit aufhören, in einer Art „Selbstgeißelung“ die Ursache etwa in Frankreichs Kolonialgeschichte zu suchen. Statt dessen müsse man verstehen, dass die Islamisten darauf abzielten, Hass zu säen und die französische Gesellschaft zu spalten.
„Graue Wölfe“ sollen in Frankreich aufgelöst werden
Dass Frankreich den Kampf gegen den Islamismus verstärkt, zeigte sich auch am Montag in einer Ankündigung von Innenminister Darmanin: Ab Mittwoch soll die ultranationalistische türkische Bewegung „Graue Wölfe“ in Frankreich aufgelöst werden. Auch wenn die Bewegung in Frankreich weniger zahlreich vertreten ist als in Deutschland und Österreich, so waren die „Grauen Wölfe“ zuletzt nach dem diplomatischen Schlagabtausch zwischen Erdogan und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ins Blickfeld geraten. Nach dem Attentat von Nizza kursierten Videos im Internet, die in Dijon protestierende türkische Extremisten zeigten.