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Wolfgang Bosbach.
© David Gannon/AFP

Union streitet über Obergrenzen für Flüchtlinge: Schon wieder das O-Wort

Horst Seehofer wollte wieder einmal die Bundeskanzlerin und die CDU provozieren - zumindest bei deren Wahlkämpfern und bei Wolfgang Bosbach findet er Zustimmung.

Von Antje Sirleschtov

Noch am Sonntag glaubte CDU-Generalsekretär Peter Tauber, die Angelegenheit mit einem gelangweilten Kurzkommentar vom Tisch wischen zu können. Trotz Burgfriedens zwischen den beiden Unionsparteien hatte CSU-Chef Horst Seehofer am Wochenende erstmals eine konkrete Obergrenze für die jährliche Aufnahmefähigkeit Deutschlands für Flüchtlinge von 200.000 genannt. Eine Provokation also für die CDU und Angela Merkel. Doch ihr General, Tauber, twitterte lakonisch: „Leute, das hatten wir doch schon alles.“

Schon am Montag allerdings wurde klar: Der CSU-Vorsitzende spricht keinesfalls nur seinen eigenen, sondern auch Taubers Parteifreunden von der CDU aus dem Herzen. Denn: Obwohl sich die CDU erst im Dezember in Karlsruhe dazu verabredet hatte, keine Obergrenzen für Flüchtlinge zu nennen, reihten sich unmittelbar namhafte Parteifreunde hinter dem bayerischen Ministerpräsidenten ein. Guido Wolf etwa, Spitzenwahlkämpfer im für die CDU äußerst wichtigen Bundesland Baden-Württemberg.

Selbstverständlich weiß auch Wolf, dass die deutsche Verfassung eine Obergrenze für die Aufnahme von Menschen in Not nicht kennt, was jede politische Diskussion um dieselbe reichlich theoretisch aussehen lässt. Doch was spielt das für eine Rolle für einen Wahlkämpfer wie Wolf, auf dem die Hoffnungen der ganzen CDU im Südwesten ruhen und der den Leuten die Sorge davor nehmen muss, dass in diesem Jahr wieder eine Million Menschen kommen. „Die Zahl von 200000“, sagt denn auch Wolf, „kann ein erstrebenswertes Ziel sein.“

Wolfgang Bosbach findet Seehofers Zahlen "plausibel"

Auch für den wohl bekanntesten Innenpolitiker der CDU, den Nordrhein-Westfalen Wolfgang Bosbach, ist Horst Seehofers Obergrenze keinesfalls nur der Versuch, sich wirkungsvoll vor der alljährlich Anfang Januar im bayerischen Kreuth stattfindenden Klausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag medial in Szene zu setzen. „Plausibel“ nennt Bosbach dessen Feststellung, 200.000 Flüchtlinge im Jahr seien maximal verkraftbar. Eine solche Größenordnung habe man zuletzt 2014 verzeichnet, deren Unterbringung und Integration sei „ohne Überforderung machbar und realistisch“.

Schon in wenigen Wochen, da ist sich der erfahrene Politiker Bosbach sicher, werde die Diskussion über das Realistische und das Leistbare in der Flüchtlingsfrage zwangsläufig auch auf die CDU zukommen. Nicht nur, weil in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zwei wichtige Landtagswahlen anstehen. Sondern vor allem, weil auch in den ersten Tagen des Jahres 2016 täglich rund 3000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen und damit zu rechnen ist, dass es mit steigenden Temperaturen mehr werden. Spätestens im Frühjahr dann werde rasch klar sein, mutmaßt Bosbach, dass „wir auch 2016 mit einer Flüchtlingszahl von rund einer Million rechnen müssen“.

Denn die Pläne der Bundesregierung zur Verringerung der Flüchtlingszahlen (Bekämpfung der Fluchtursachen, gerechte Verteilung in der EU, Einrichtung von Verteil-Hotspots an den südlichen EU-Grenzen) zeigten kurzfristig kaum Wirkung. Mithin rechnet Bosbach mit einem zunehmenden Druck aus den Kommunen zur Begrenzung der Zufluchtsuchenden. „Wenn die Zahlen so groß bleiben“, sagt Bosbach, „schaffen wir das nicht mehr.“

Die Union will Flüchtlinge abweisen, um sie besser verteilen zu können

Schutz vor Überforderung heißt für einige Unionspolitiker, die wie Bosbach denken: konsequente Anwendung des geltenden Rechts. Konkret bedeutet das, Kontrollen an deutschen Grenzen einzuführen, Einreisewillige ohne Ausweispapiere abzuweisen und die Dublin-Regeln durchzusetzen. Das hieße, Flüchtlinge wieder in das Land der EU zurückzuschicken, das sie zuerst betreten haben. Dem dann dort, vor allem in Italien und Griechenland, wachsenden Druck könnte mit Aufnahmekontingenten der EU-Länder begegnet werden – was für die CDU eben doch die Debatte um Obergrenzen nach sich ziehen würde. Auch, wenn die Kanzlerin am Montag von ihrem Sprecher noch verkünden ließ, eine Begrenzung lasse sich nicht im nationalen Alleingang erreichen.

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