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Wieder gewonnen. Kanzlerin Angela Merkel hält ihre Kritiker in Schach.
© Tobias Schwarz/AFP
Update

CDU diskutiert über Flüchtlinge: Angela Merkel bekräftigt Ablehnung von Obergrenzen

Vor dem CDU-Parteitag gerät die „Obergrenzen“-Fraktion gegen die Bundeskanzlerin in die Defensive. Ihr Änderungsantrag kommt jetzt ohne das toxische Wort aus.

Für den schnellen Leser klingt es wie der Aufruf zum Aufstand. Am Donnerstagabend hat die CDU-Spitze einen Leitantrag zur Flüchtlingspolitik für den Parteitag vorgestellt, der den drohenden Konflikt um „Obergrenzen“ für den Zuzug entschärfen soll. Am Freitag melden sich die Rebellen zu Wort. Sie sind unzufrieden. Die wolkigen Formeln im Leitantrag reichen ihnen nicht.

„Wir brauchen ein Signal der Begrenzung“, fordern die Chefs der Jungen Union (JU) und der Mittelstandsvereinigung (MIT), Paul Ziemiak und Carsten Linneman, in einer gemeinsamen Erklärung. Ein gemeinsamer Änderungsantrag sei in Arbeit; bis zur Sitzung des CDU-Vorstands am Sonntag kurz vor dem Parteitag in Karlsruhe soll er vorliegen.

Das klingt, wie gesagt, wie der Aufruf zum Aufstand. Die genauere Betrachtung legt freilich eine zweite Lesart näher: Die Rebellen blasen zum Rückzugsgefecht. Von der „Obergrenze“, die Ziemiaks JU in ihrem eigenen Parteitagsantrag fordert, ist schon gar nicht mehr die Rede. Der Begriff ist spätestens seit dem Moment zum Inbegriff des Widerstands gegen Angela Merkels Flüchtlingskurs geworden, als CSU-Chef Horst Seehofer die CDU-Chefin damit auf offener Parteitagsbühne drangsalierte.

Dass ausgerechnet ein CDU-Parteitag der eigenen Vorsitzenden das toxische Wort jetzt hineinwürgt, konnten ohnehin nur Heißsporne glauben. „Ergänzungsantrag“ kommt schon um etliche Grade kühler daher. „Unser Ziel ist eine gemeinsame Linie, die möglichst breite Unterstützung findet“, erklärt Linnemann – was die Temperatur noch weiter senkt.

Die genauen Änderungswünsche wollen die Ex-Rebellen noch nicht sagen

Wie ihre Änderungswünsche genau lauten, wollen die Ex-Rebellen noch nicht sagen, auch weil sie damit noch gar nicht fertig sind. Die Richtung ist allerdings klar. Der Leitantrag, den federführend Innenminister Thomas de Maizière und die Parteivizes Thomas Strobl und Julia Klöckner verfasst haben, unterstützt in Wort und Inhalt über weite Strecken das Vorgehen der Vorsitzenden. Die Zugeständnisse an die „Obergrenzen“-Fraktion kommen in Andeutungen daher: ein vages Eingeständnis, dass Deutschland die Flüchtlingswelle „nicht allein“ bewältigen kann, und die Warnung, dass das Schengen-System der offenen Grenzen nicht dauerhaft zu halten sei, wenn Europa nicht gemeinsam Lösungen für sichere Außengrenze finde.

Den Kritikern ist beides nicht deutlich genug. „Wir müssen auch eine Lösung haben, falls Europa weiter versagt“, erklärt Linnemann. Am liebsten wäre ihm wohl sogar, das Versagen Europas würde zur Tatsache erklärt, schließlich, ergänzt Ziemiak, gebe es „wenig Anzeichen“ für Bewegung bei den EU-Partnern. Unter Merkels Kritikern steht schon lange die Idee hoch in Kurs, dass Deutschland einfach mal seine Grenzen zum Süden für alle schließt, die offensichtlich unbegründet hier um Asyl nachsuchen; der Domino-Effekt werde die anderen Europäer dann schon zwingen, sich für den Außengrenzen-Schutz einzusetzen. „Man sollte das doch wenigstens mal ausprobieren“, sagt einer.

Wolfgang Schäuble unterstützt Merkels Kurs

Merkel hält von solchen Ideen nichts, schon weil sie an die Druckwirkung nicht glaubt - und wies am Samstag erneut Kritik an ihrem Kurs zurück. Große Fluchtbewegungen könnten nur durch internationale Kooperation bewältigt werden, sagte die Kanzlerin den Zeitungen "Augsburger Allgemeine" und "Badische Neueste Nachrichten". "Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir das Flüchtlingsproblem an der deutsch-österreichischen Grenze lösen könnten."

Den Forderungen nach einer Obergrenze erteilte sie erneut eine Absage. "Wenn ich heute eine Grenze definiere und diese Grenze wird morgen nicht eingehalten, weil eben doch mehr kommen, dann habe ich mein Versprechen nicht gehalten - und die Probleme werden größer statt kleiner." Dies klar zu sagen, sei für sie "eine Frage von Redlichkeit und Glaubwürdigkeit", sagte Merkel.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble unterstützt den Kurs der Kanzlerin vorm Parteitag. "Natürlich muss die Zahl zurückgehen", sagte Schäuble am Freitag bei einer Veranstaltung in Ulm. Die Regierung könne aber keine Versprechungen machen, die sie nicht halten könne - etwa eine konkrete Höchstzahl an Flüchtlingen.

Auch Generalsekretär Peter Tauber sprang der Kanzlerin bei. "Die Illusion, dass das Problem mit einer Obergrenze zu lösen wäre, werden wir nicht nähren", sagte er dem "Focus". "Solche Vorschläge muss man zu Ende denken. Wenn wir zum Beispiel sagen: 'Obergrenze 400 000' - was wird mit dem 400 001. Menschen, der berechtigte Gründe für Asyl hätte?"

Merkel hat sich außerdem mit Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel gerade erst auf das Transitzonen-light-Modell für aussichtslose Asylbewerber geeinigt. „Die CDU darf doch nicht nur noch Regierungspartei sein!“, klagt einer der Unzufriedenen. Mindestens müssten in dem Antrag die Folgen eines Scheiterns in Europa klar beschrieben werden – so klar, dass es die Leute daheim verstehen und nicht nur die paar Schengen-Experten.

Doch so richtig stürmisch klingt das alles nicht. Einer der führenden Köpfe im „Obergrenzen“-Lager fragt sich inzwischen sogar, ob sich weiteres Aufbegehren lohnt. Ein gewisses Zeichen des Einlenkens sei de Maizières Entwurf ja. Und über Merkels Erfolg oder Scheitern entscheide ohnehin nicht, was ein Parteitag beschließe; ihre Bewährungsprobe komme in den EU-Runden danach. Dass es nicht besonders schlau wäre, die Chefin vorher zu demütigen, ist auch unter Rebellen längst ein starkes Argument.

Das zweite liefert die Demoskopie. Die Forschungsgruppe Wahlen bestätigt am Freitag einmal mehr, was die Meinungsforscher seit Wochen feststellen. Einerseits ist die Bevölkerung in der Flüchtlingsfrage praktisch zweigeteilt in „Wir schaffen das“-Optimisten und Kritiker. Andererseits bleibt die Union nach der ersten Welle von Verlusten zu Beginn der Flüchtlingskrise unverändert stärkste Partei auf 39-Prozent-Niveau; in der politischen Stimmung, die das rohe Umfrageergebnis ohne Gewichtungstricks ausweist, liegt sie gar konstant über 40 Prozent. Selbst der Aufstieg der AfD lässt CDU-Wahlkämpfer vorerst kalt. Die Rechtspopulisten blockieren rot-grüne Mehrheiten; dann bleiben fast nur große Koalitionen – mit CDU-Ministerpräsidenten. (mit AFP, dpa)

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