Nahles-Nachfolge: Scholz will, aber will die SPD auch ihn?
Der Finanzminister macht das Rennen um den SPD-Vorsitz spannend. Die Partei hadert schon lange mit ihm, schätzt aber sein politisches Gewicht. Eine Übersicht.
Kurz bevor Ralf Stegner und Gesine Schwan am Freitag vor die Presse treten, um ihre Doppelkandidatur zu begründen, machte eine Nachricht die Runde, die alle Botschaften des Parteivizes und der Politikprofessorin in den Schatten stellt: Finanzminister Olaf Scholz ist bereit, die Leitung der zunehmend desorientiert wirkenden Partei zu übernehmen, meldet der „Spiegel“. Damit gibt es ein neues Schwergewicht im Ringen um die Nachfolge von Andrea Nahles. Das lange mühsam verlaufende Spiel um die künftige Aufstellung der SPD muss neu austariert werden. Entschieden ist noch nichts.
Was spricht für und was gegen einen SPD-Chef Olaf Scholz?
Wenn der stellvertretende SPD-Chef aus Hamburg seine Kandidatur bekannt gibt, hat er ein Glaubwürdigkeitsproblem. Bisher hat Scholz fast mantraartig betont, das Amt des SPD-Chefs lasse sich schon zeitlich nicht mit seinen Regierungsaufgaben vereinbaren. Den Widerspruch muss er erklären, wenn er seinen Aufgaben als Hüter des Bundeshaushalts und als Vizekanzler weiter nachkommen will.
Scholz weiß auch, dass er in seiner Partei zwar wegen seiner Intelligenz und seines Fleißes geachtet, aber nicht geliebt wird. Die schlechten Ergebnisse auf Parteitagen bei den Wahlen zum Generalsekretär und zum Parteivize zeugen davon. Es blieb immer eine Distanz zwischen dem Hanseaten und den Genossen. In Partei und Fraktion empfinden ihn viele als kalt oder sogar arrogant. Er sei ein „Technokrat“, sagte ihm im Juni ein SPD-Abgeordneter ins Gesicht.
Dem drängenden Wunsch der Sozialdemokraten nach Aufbruch und Erneuerung kann der 61-Jährige nicht befriedigen – er war in den vergangenen Jahren an der Spitze immer mit dabei. Der frühere Juso gehört dem Parteivorstand seit 18 Jahren an, wirkt seit zehn Jahren als stellvertretender Parteivorsitzender.
Der linke Parteiflügel sieht ihn traditionell mit äußerster Skepsis. Scholz gilt als „Parteirechter“, seine „Schwarze Null“ ist linken Sozialdemokraten verhasst. Es sei nicht erkennbar, wo er mit der Austeritätspolitik von Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU) gebrochen haben, heißt der Vorwurf. Viele Linke wollen zudem raus aus der großen Koalition. Scholz glaubt an die Chancen seiner Partei in der Regierung, will die Groko hartnäckig gegen die verteidigen, die im Ausstieg die letzte Chance für die SPD sehen. Das alles macht eine Kandidatur nicht zum Selbstläufer.
Die Mitglieder der SPD wissen aber auch, dass viele Deutschen ihn schätzen. Sogar Unions-Anhänger geben dem Finanzminister wegen seiner Seriosität gute Noten. Scholz’ Umfrageergebnisse können sich sehen lassen – und könnten den Ausschlag geben, wenn es um den Spitzenkandidaten für die nächste Bundestagswahl geht. Die von kaum jemanden infrage gestellte Autorität von Olaf Scholz ist ein starkes Argument, wenn es darum geht, eine taumelnde Partei zu stabilisieren und womöglich wieder aufzurichten. Wie der Vizekanzler es mit seinen Aufgaben vereinbaren will, auf nicht weniger als 23 SPD-Regionalkonferenzen in der Provinz für sich zu werben, bleibt sein Geheimnis.
Tritt Olaf Scholz alleine oder mit einer Partnerin an?
Als die kommissarischen Parteichefs Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel das Verfahren zur Wahl der Nahles-Nachfolge vorstellten, ermunterten sie ausdrücklich gemischtgeschlechtliche Duos zur Kandidatur. Damit führten sie nicht nur einen neuen Standard ein, sondern stellten auch eine hohe Hürde auf. Denn inzwischen hat die SPD die Erfahrung gemacht, dass viele SPD-Politikerinnen das Risiko einer Basisentscheidung noch mehr scheuen als männliche Kollegen. Mehrere potenzielle Kandidaten hatten etwa um Franziska Giffey als Partnerin geworben, bevor die Familienministerin sich am Donnerstag offiziell aus dem Rennen nahm.
Scholz suche eine Mit-Kandidatin, heißt es nun in der SPD. Viele bekannte Politikerinnen sind es nicht mehr, die infrage kämen oder sich von früheren Festlegungen verabschieden müssten. Manuela Schwesig hat erklärt, sie stehe nicht bereit, weil sie Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern bleiben und ihre Regierung bei der Landtagswahl 2021 gegen die stärker werdende AfD verteidigen wolle. Katrin Barley, Spitzenkandidatin bei der Europawahl, hat sich für Brüssel entschieden und wurde gerade zur Vizepräsidentin des Europaparlaments gewählt. Umweltministerin Svenja Schulze wolle gar nicht, heißt es aus der SPD. Fest steht: Tritt Scholz am Ende doch alleine an, sinken seine Chancen. Hinter die Festlegung auf das Führungsduo aus Mann und Frau findet die SPD nur schwer zurück. Um seine Chancen zu optimieren, müsste Scholz eine Partnerin finden, die über die Groko weit kritischer urteilt als er.
Wofür stehen Boris Pistorius und Petra Köpping?
Der niedersächsische Innenminister und die sächsische Integrationsministerin bilden nicht nur ein Ost-West-Duo. Sie stehen für zwei Versprechen, welche die SPD dringend gebrauchen kann: Sicherheit und Integration. Pistorius, hat sich in sechs Jahren im Amt den Spitznamen „Roter Sheriff“ verdient, denn er steht für eine harte Sicherheitspolitik, die auf die Angst vieler Menschen Rücksicht nimmt. Zuvor war er Oberbürgermeister in Osnabrück.
Auch die 61 Jahre alte Köpping kommt ebenfalls aus der Kommunalpolitik. Sie war von 2001 bis 2008 Landrätin des Landkreises Leipziger Land. Seit 2014 ist sie Integrationsministerin in Dresden und reist unermüdlich durchs Land, um in direkten Gespräch wieder Nähe zwischen Politik und Bürgern herzustellen. Nach dem Willen Köppings sollen Kommunen selbst entscheiden können, ob sie Flüchtlinge aufnehmen. Die Diplom-Juristin versteht sich als Stimme der Bürger aus den neuen Ländern, schreibt Bücher und wirbt für eine Kommission, die das „Unrecht der frühen Nachwendezeit“ aufarbeiten soll. Die Agenda-Politik der rot-grünen Regierung und Hartz IV sieht sie kritisch.
Was wollen Ralf Stegner und Gesine Schwan?
Der Parteivize und die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission versprechen eine Partei, die sich nicht über ihre Zugehörigkeit zur Regierung definiert, sondern selbstbewusst ein linkes Profil vertritt. Beide stehen für einen konfrontativen Stil in der Politik, der die Auseinandersetzung nicht scheut. Sich selbst bezeichnen sie in aller Bescheidenheit als „Powerduett“. In ihrem Wahlprogramm fordern beide ein Ende der schwarzen Null und „mehr Verteilungsgerechtigkeit“. Von einer Bürgerversicherung über ein Verbot für Waffenexporte in Kriegsgebiete bis hin zu mehr Engagement gegen Rechtspopulismus findet sich viel klassische Sozialdemokratie im Programm des Duos. Langfristig wünschen sich die beiden rot-rot-grüne Bündnisse auch auf Bundesebene. Bevor das möglich ist, wollen sie aber erst die eigene Partei wieder einen. Stegner sagt: "Das Ziel muss Zusammenführen heißen."
Was bedeutet die Entwicklung für andere potenzielle Kandidaten?
Nach dem Verzicht von Franziska Giffey war der Druck auf die Bundesminister Heiko Maas (Außen) und Hubertus Heil (Arbeit) enorm gewachsen, die eigene Partei angesichts der mageren Bewerbungslage nun nicht hängen zu lassen. Mit der Entscheidung von Olaf Scholz stehen sie nun nicht mehr in der Pflicht. Generalsekretär Lars Klingbeil hat mit einer Kandidatur gespielt, aber noch keine Entscheidung verkündet. In der SPD gilt es nun aber als unwahrscheinlich, dass er gegen seinen niedersächsischen Landsmann Pistorius antritt.