Pläne für eine Finanztransaktionssteuer: Scholz-Vorschlag ist purer Etikettenschwindel
Die EU-Regierungen sabotieren ein Vorhaben, das zwei Drittel der Bürger immer unterstützt haben. Und das liegt nicht nur an der Macht der Finanzlobby. Eine Kolumne.
Der Etikettenschwindel ist ein gängiges Mittel in der Politik. Allzu oft bleibt die Substanz neuer Reformvorschläge weit hinter den Ankündigungen ihrer Urheber zurück. In dieser Disziplin hat jetzt Finanzminister Olaf Scholz mit einem „Gesetzesvorschlag zur Finanztransaktionssteuer“ ein besonders dreistes Stück abgeliefert. Werde der Vorschlag wie im Rat der Finanzminister besprochen in elf EU-Staaten umgesetzt, werde „der Finanzsektor stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt“, versprach Scholz.
Das suggeriert, nun solle endlich auch die Finanzindustrie für den Schaden aufkommen, den der Crash von 2008 und die folgende mehr als 500 Milliarden Euro teure europaweite Bankenrettung angerichtet haben. Schließlich hatte die EU-Kommission dazu schon 2011 ein gutes Konzept vorgelegt. Eine kleine Umsatzsteuer auf den Handel mit Finanztiteln aller Art sollte „Sand ins Getriebe“ der überdrehten Finanzmärkte streuen, wie es der Nobel-Ökonom James Tobin einst vorgeschlagen hatte, um die Risiken der Finanzspekulation einzudämmen.
Die Instrumente zur Marktmanipulation bleiben verschont
Doch der Gesetzentwurf von Scholz hat mit dieser Idee nichts mehr gemein. Geplant ist lediglich eine Steuer von 0,2 Prozent auf Aktienkäufe. Ausgerechnet der Handel mit Finanzderivaten, den zentralen Instrumenten für Spekulationsblasen und Marktmanipulation, ist dagegen ausgenommen. 99 Prozent aller Finanztransaktionen bleiben also auch künftig steuerfrei. Statt der 56 Milliarden Euro jährlicher Einnahmen, wie sie die EU-Kommission vorsah, sollen es nur noch 3,5 Milliarden Euro pro Jahr sein. Bezahlen wird auch nicht der „Finanzsektor“, sondern die privaten Aktiensparer. Und der Gewinn für die Stabilität des Finanzsystems ist gleich null. Mit anderen Worten: Scholz und seine EU-Kollegen verkehren ein zentrales Instrument zur Zähmung der Finanzmärkte ins Gegenteil.
Wie konnte das passieren? Warum sabotieren die EU-Regierungen ein Vorhaben, das zwei Drittel der Bürger und die große Mehrheit des EU-Parlaments immer unterstützt haben?
Auf einen EU-Beamten kommen fünf Lobbyisten
Die naheliegende Antwort lautet: Die Finanzindustrie verfügt über eine extreme Lobbymacht. Auf jeden EU-Beamten, der mit Finanzmarktregulierung befasst ist, kommen mindestens fünf Lobbyisten. Und diese haben natürlich Fehlinformationen gestreut, wonach die Steuer Kredite verteuere und damit Investitionen behindere. Aber diese Argumente halten der Überprüfung durch unabhängige Fachleute nicht stand. Auch die sonst stets wirtschaftsfreundliche EU-Kommission steht zu ihrem Konzept.
Der Einfluss der Lobbyisten greift als Erklärung daher zu kurz. Viel wichtiger ist: Der Ministerrat, der zentrale Gesetzgeber der EU, folgt nicht den Regeln der Demokratie. Die Abgesandten der nationalen Regierungen verhandeln hinter verschlossenen Türen. De facto betreiben die EU-Regierungen Innenpolitik, aber sie operieren mit den Mitteln der Diplomatie, nicht der Demokratie. Und das erst recht in Steuerfragen, die bis heute nur einstimmig entschieden werden. Das heißt, die Lobby muss nur eine Regierung für sich gewinnen, schon ist jeder Vorschlag blockiert.
Die EU-Staaten konkurrieren miteinander
Genau das ist mit der von Aktivisten so genannten Robin-Hood-Steuer geschehen. Weil die Briten von Anfang an dagegen waren, hatten elf Eurostaaten zunächst vereinbart, sie im Rahmen der „verstärkten Zusammenarbeit“ allein einzuführen. Aber dann machte sich die Finanzbranche eine weitere Fehlkonstruktion der EU-Verfassung zu eigen: die wirtschaftliche Konkurrenz der EU-Staaten. Frankreichs Banken behaupteten, sie würden benachteiligt und prompt fiel die schwache Regierung des damaligen französischen Präsidenten Francois Hollande um. Nach dem Regierungswechsel machte sich das auch Emmanuel Macron zu eigen, nicht zuletzt um die Banken nach dem Brexit von London nach Paris zu locken. In der Folge war einzig die Aktiensteuer als bequeme Abschöpfung der Privatanleger konsensfähig.
Insofern trifft Olaf Scholz nur geringe Schuld, weil er sich nur den Vorgaben aus Paris gebeugt hat. Umso dringender wäre es aber, er würde ehrlich über die Ursachen dieses kollektiven europäischen Versagens sprechen. Falsche Etiketten werden das demokratische Defizit der EU ganz sicher nicht heilen.