Lage weiter ernst: Scholz und Biden sehen keinen großen russischen Truppenrückzug
Der Bundeskanzler und der US-Präsident haben am Mittwochabend zur Ukraine-Krise telefoniert. Russland rufen sie weiter zur Deeskalation auf.
Das Risiko einer Aggression Russlands gegen die Ukraine besteht nach Einschätzung von Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden weiter. Beide seien sich während eines Telefonats einig gewesen, dass die Situation in der Region angesichts des massiven russischen Truppenaufmarsches im Grenzgebiet zur Ukraine als überaus ernst einzuschätzen sei, erklärte der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, am Mittwoch.
Ein signifikanter Rückzug russischer Truppen sei bislang nicht zu beobachten, höchste Wachsamkeit sei erforderlich.
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Beide Politiker begrüßten Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass diplomatische Bemühungen fortgesetzt werden sollten. Es gelte, sie nun mit Hochdruck weiterzuverfolgen. Es komme darauf an, in einen konstruktiven Dialog zu Fragen der europäischen Sicherheit einzusteigen, zur Umsetzung der Minsker Abkommen zu gelangen und mit Unterstützung Deutschlands und Frankreichs im Normandie-Format voranzukommen.
Der Schlüssel dafür liegt Scholz und Biden zufolge in Moskau. Russland müsse echte Schritte zur Deeskalation einleiten. Im Falle einer weiteren militärischen Aggression gegen die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine habe Russland mit außerordentlich gravierenden Konsequenzen zu rechnen.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg weiter besorgt
Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte am Mittwochnachmittag gesagt, er sehe keine Anzeichen für einen russischen Truppenabzug von der Grenze zur Ukraine. „Im Gegenteil, Russland scheint seine Militärpräsenz weiter auszubauen“, sagte Stoltenberg am Mittwoch am Rande eines Treffens der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) nannte den russischen Truppenaufmarsch "weiter Besorgnis erregend".
Russland rief die Nato zu einer nüchternen Betrachtung der Lage im Ukraine-Konflikt auf. „In der Nato gibt es Probleme bei der Einschätzung der Situation“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Die Lage werde nicht nüchtern beurteilt.
US-Präsident Joe Biden hatte zuvor erneut vor einem russischen Einmarsch in die Ukraine gewarnt. Er begründete dies in einer Fernsehansprache aus dem Weißen Haus mit den inzwischen „mehr als 150.000“ russischen Soldaten an den Grenzen zur Ukraine. Stoltenberg wiederholte dagegen die Zahl von "weit mehr als 100.000" russischen Truppen. Es gebe aber einen Trend nach oben, sagte er auf Nachfrage zu Bidens Angaben.
Zugleich wiederholte der Nato-Generalsekretär seine Einschätzung, es gebe „Grund zu vorsichtigem Optimismus“, weil Russland dialogbereit scheine. Lambrecht sprach nach dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Moskau am Dienstag ebenfalls von „Signalen, die uns zumindest hoffnungsvoll stimmen lassen.“ Nun müssten den russischen Ankündigungen für einen Truppenrückzug aber Taten folgten.
Nato will neue Gefechtseinheit in Rumänien aufbauen
In Brüssel berieten unterdessen die Verteidigungsminister der 30 Nato-Staaten über Pläne für eine zusätzliche Abschreckung Russlands und billigten Vorbereitungen für eine Entsendung weiterer Kampftruppen ins östliche Bündnisgebiet.
Die zusätzlichen Battlegroups könnten nach Angaben von Stoltenberg in Osteuropa, Südosteuropa und Zentraleuropa stationiert werden. Frankreich habe bereits angeboten, einen multinationalen Gefechtsverband in Rumänien zu führen, sagte der Norweger am Mittwoch nach mehrstündigen Beratungen in Brüssel.
Die militärischen Befehlshaber sollten nun an Details arbeiten und innerhalb von Wochen wieder Bericht erstatten. Die bereits in der vergangenen Woche grundsätzlich vereinbarten Planungen sehen vor, insbesondere auch in südwestlich der Ukraine gelegenen Nato-Ländern weitere multinationale Kampftruppen zu stationieren.
Die Nato hat Stoltenberg zufolge aber keine Pläne, Offensiv-Waffen in der Ukraine zu stationieren. Die Allianz stelle keine Gefahr für Russland dar und sei zum Dialog bereit, sagt Stoltenberg bei einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. Den Kommandeuren sei aufgetragen worden, „zur Stärkung der Abschreckung und Verteidigung“ Pläne für den etwaigen Aufbau von Kampfeinheiten auszuarbeiten.
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Ob Deutschland sich an einem multinationalen Gefechtsverband in Rumänien oder einem anderen Land südwestlich der Ukraine beteiligen würde, ist bislang unklar. Lambrecht betonte, dass über eine dauerhafte Verstärkung der Nato-Ostflanke erst in einigen Monaten entschieden werden solle. Beschlüsse über eine dauerhafte Präsenz sollten „nicht in dieser aktuellen Situation“, sondern im Sommer „nach einer intensiven Prüfung und unter Beobachtung der Situation dann“ getroffen werden, meinte die SPD-Politikerin.
Deutschland leitet seit gut fünf Jahren das multinationale Nato-Bataillon in Litauen. Die aktuelle Verstärkung der Ostflanke zum Beispiel über die Entsendung von rund 350 zusätzlichen deutschen Soldaten nach Litauen und mit Eurofightern für die Luftraumüberwachung ist demnach nur vorübergehend und als Abschreckung Russlands gedacht.
„Es ist wieder die Stunde der Diplomatie“, sagte Lambrecht. „Wir müssen im Gespräch bleiben. Wir sind alle aufgefordert, einen Krieg mitten in Europa zu verhindern.“
Die USA wollen darüber hinaus 1000 Soldaten von Bayern nach Rumänien verlegen. Frankreich bietet an, das Kommando einer künftigen Battlegroup in Rumänien zu stellen.
Die Nato hatte den Aufbau der multinationalen Bataillone in den östlichen Mitgliedstaaten Polen, Litauen, Lettland und Estland 2016 beschlossen, als Reaktion auf die russische Annexion der Krim 2014. Sie sollen Russland von einem Angriff auf die früheren Sowjetstaaten abhalten. (AFP/dpa/Reuters)