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Kanzler Olaf Scholz (links) und Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki am Sonntag in Warschau.
© Slawomir Agencja Wyborcza.pl via REUTERS

Besuche in Warschau: Scholz und Baerbock legen einen neuen Ton an den Tag

Die Antrittsbesuche von Scholz und Baerbock in Warschau zeigen: Die neue Bundesregierung will gegenüber Polen nicht oberlehrerhaft auftreten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Laut ihrem Koalitionsvertrag wollen sich SPD, Grüne und FDP für eine EU einsetzen, „die ihre Werte und ihre Rechtsstaatlichkeit nach innen wie außen schützt“. Als größter Mitgliedstaat in der EU werde Deutschland, so heißt es weiter, eine „besondere Verantwortung“ wahrnehmen.

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Im Lager der CDU/CSU war angesichts solcher Formulierungen bereits gemutmaßt worden, dass die neue Bundesregierung jetzt Haltungsnoten an Rechtsstaats-Sünder in der EU verteilen würde. Zu derlei Befürchtungen besteht aber kein Anlass, wie die Antrittsbesuche von Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock in Warschau gezeigt haben.

Neu ist allerdings der Ton, mit dem sowohl Scholz als auch Baerbock vor Ort auf die bekannten rechtsstaatlichen Defizite in Polen zu sprechen kamen. Während die frühere Kanzlerin Angela Merkel im Streit um die Rechtsstaatlichkeit eine offene Konfrontation vermied, so machte zumindest Baerbock deutlich, dass „Ehrlichkeit und ein offenes Wort“ gerade unter Nachbarn wie Polen und Deutschland möglich sein müssten.

Und auch Scholz ließ keinen Zweifel daran, dass er sich möglichst bald im Streit um die Rechtsstaatlichkeit eine Lösung zwischen der EU-Kommission und Warschau wünscht.

Brücken zwischen Ampel und PiS müssen erst noch gebaut werden

Die beiden Gäste aus Deutschland vermieden  aber den Fehler, das Fundament für die Brücken, die zwischen der Ampel-Regierung in Berlin und der nationalkonservativen Führung in Warschau erst noch aufgebaut werden müssen, gleich wieder zu zerstören. Zwar mögen sich die Koalitionäre in Berlin darin einig sein, dass etwa die umstrittene Disziplinarkammer in Warschau abgeschafft werden sollte. Aber Baerbocks Versicherung, dass Berlin keine öffentlichen Ratschläge  erteilen wolle, verdeutlicht, dass die neue Bundesregierung in der EU entgegen anderer Mutmaßungen keineswegs oberlehrerhaft auftreten will.

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Aber trotz aller diplomatischen Feinfühligkeit  ist auch klar: Schwierig bleibt der Umgang mit der von der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) geführten Regierung so oder so. Dass  die PiS derzeit die Forderung nach weiteren Weltkriegs-Reparationen neu befeuert, verdeutlicht die Untiefen im deutsch-polnischen Verhältnis.

Fragliche Verknüpfung mit EU-Haushaltszahlungen

Nach seinem Gespräch mit Scholz dürfte dem Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki allerdings klar geworden sei, dass er von der neuen Regierung genauso wenig wie seinerzeit von Merkel erwarten kann, dass Berlin auf die Forderungen in Milliardenhöhe eingeht.

Fraglich ist allerdings, ob es klug vom Kanzler war, die Rolle Deutschlands als Nettozahler in der EU mit der moralischen Verpflichtung aus der Geschichte in Verbindung zu bringen. Wer weiß, wer bei künftigen EU-Haushaltsverhandlungen den Hinweis auf Deutschlands historische Schuld neben Polen sonst noch aus der Schublade zieht.

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