Online-Parteitag der SPD bestätigt Kandidaten: Scholz bekräftigt Anspruch auf Regierungsführung
Der Online-Parteitag der SPD läuft: Vier Monate vor der Wahl geht es vor allem um das Zukunftsprogramm und den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz.
Vier Monate vor der Bundestagswahl am 26. September hat die SPD auf ihrem Online-Parteitag ihr Zukunftsprogramm – das Programm für die Wahl – beschlossen. Es gab 489 Ja-Stimmen bei drei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen.
Anschließend sprach Olaf Scholz, der von den Delegierten mit 96,2 Prozent als Kanzlerkandidat bestätigt wurde (513 Ja-, 20 Nein-Stimmen und zwölf Enthaltungen). In seiner Rede bekräftigte Scholz seinen Anspruch, Kanzler werden zu wollen. "Wir wollen das Land in die Zukunft führen", sagt er. Dazu "braucht es einen Sozialdemokraten im Kanzleramt". Scholz wiest auf seine Erfahrung als Regierungschef der Stadt Hamburg, als Finanzminister, Vizekanzler und "als überzeugter Europäer" hin.
Er identifizierte vier wesentliche Zukunftsaufgaben für die künftige Bundesregierung in der Ära nach Angela Merkel: Mobilität, Klima, Digitales und Gesundheit. Er versprach, als Bundeskanzler diese vier großen Zukunftsmissionen zu seinem "persönlichen Anliegen" zu machen. "Unter meiner Führung wird sich Deutschland mit seiner ganzen Kraft in Europa und in der Welt dafür einsetzen, dass die Globalisierung fairer wird", so Scholz.
Sein Ziel sei eine "Gesellschaft des Respekts". "Den Mindestlohn von zwölf Euro werde ich in meinem ersten Jahr als Bundeskanzler durchsetzen", versprach der Kandidat. Dies bedeute eine Lohnerhöhung für rund zehn Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Seine Rede begann er thematisch mit der Corona-Pandemie, die „uns kalt erwischt“ habe. Dann holte er zum Angriff auf die Union aus. Die Maskenaffäre gab ihm dazu eine passende Gelegenheit. Scholz sprach von der „Empörung darüber, dass sich manche Politiker in der Not der Pandemie auch noch die eigenen Taschen füllen“. Der Kanzlerkandidat fügte hinzu: „Da ist viel Vertrauen zerstört worden. Vertrauen in die Politik, in unsere demokratischen Institutionen insgesamt.“
Nach den Worten von Scholz hat die Pandemie die Schwächen Deutschlands bei der Digitalisierung offengelegt. "Unsere Schulen, unsere Schülerinnen und Schüler, auch unsere Verwaltungen haben noch immer längst nicht überall Zugang zum schnellen Internet", kritisiert er. "Unsere Gesundheitsämter haben ihre Daten viel zu lange noch per Fax übermittelt. Vieles ist zu bürokratisch verlaufen, zu langsam, zu undurchsichtig, zu widersprüchlich."
Scholz kritisierte, dass es in vielen Städten kaum noch bezahlbaren Wohnraum gebe. Deshalb brauche es jetzt einen "neuen Aufbruch für das Bauen". Im Jahr 1973 sei es gelungen, in Westdeutschland 700.000 Wohnungen im Jahr zu bauen. 2020 waren es in West und Ost zusammen gerade mal 267.000 Wohnungen gewesen, beklagte der Kanzlerkandidat.
"Ich will, dass wir wieder mindestens vierhunderttausend neue Wohnungen pro Jahr schaffen, davon einhunderttausend im sozialen Wohnungsbau." Zudem kündigt Scholz "einen gesetzlichen Mietenstopp" für den Fall an, dass die SPD die nächste Bundesregierung führt. "Wo Wohnungen knapp sind, da dürfen die Mieten nicht stärker steigen als die Inflation. Dann halten die Einkommen wieder mit den Mieten Schritt. Und niemand muss Angst vor einer Mieterhöhung haben", sagte er.
Mehrmals ging der SPD-Kandidat auf Distanz zu den Unions-Koalitionsparteien. So ätzte er beispielsweise, dass mit der "besonderen Nähe zur Wirtschaft" bei CDU und CSU "ganz sicher nicht" die Wirtschaftskompetenz gemeint sei. Früher habe es bei den Konservativen ja immer geheißen, sie stünden für Maß und Mitte, fährt er fort. "Heute stehen sie für Maaßen und Maskenschmu", sagte Scholz mit Blick auf die Union.
Angesichts des Ziels der Bundesregierung, bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen, sagt Scholz, dass dann der Strom spätestens bis 2040 vollständig aus erneuerbaren Energien gewonnen werden müsse. Dieser Strom müsse auch billiger werden, "deshalb wollen wir die Bürgerinnen und Bürger in der nächsten Legislaturperiode von den Kosten der EEG–Umlage entlasten". Eine Durchschnittsfamilie spare damit nach den Worten von Scholz im Jahr etwa 300 Euro.
SPD will Klimaneutralität bis 2045
In der Debatte um das wohl umstrittenste Thema - die Frage, wie viel in den kommenden Jahrzehnten in Deutschland für den Klimaschutz geleistet werden soll, hatte Umweltministerin Svenja Schulze zuvor erklärt, dass der Kampf gegen die Erderwärmung so zu gestalten sei, dass die Wirtschaft nicht gleichzeitig „abgewürgt“ werde. Die SPD stehe zum beschlossenen Kohlekonsens.
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Schulze fügt mit Blick auf die betroffenen Regionen und den Strukturwandel aber auch hinzu: „Zu gutem Klima gehört auch gute Arbeit.“ Die politischen Mitbewerber bei der Bundestagswahl seien „auf dem sozialen Auge blind“, kritisiert Schulze. Am Ende wurde die Empfehlung der Antragskommission, im Jahr 2045 die Klimaneutralität zu erreichen, mehrheitlich angenommen. 350 Delegierte sprachen sich dafür aus, 145 dagegen. Es gab 19 Enthaltungen. Damit konnten sich die Befürworter eines noch ambitionierteren Klima-Kurses – wie etwa die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer – nicht durchsetzen. Die Kritiker hatten eine Klimaneutralität bereits im Jahr 2040 gefordert.
Zuvor haten die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die Umrisse des Wahlprogramms skizziert. „Ohne gegenseitigen Respekt fällt diese Gesellschaft auseinander“, sagte Walter-Borjans. Mit Blick auf Europa betonte er, dass eine demokratische, rechtsstaatliche und solidarische EU für Deutschland von entscheidender Bedeutung sei. Ökologie und Ökonomie müssten zusammengedacht werden, forderte der Parteichef.
Esken erinnerte daran, dass das Wahlprogramm in den zurückliegenden Monaten intensiv diskutiert worden sei. „So viel Debatte war noch nie“, freute sie sich. Fünf Kapitel umfasst das Programm insgesamt.
Zu Beginn des Parteitags stimmte Generalsekretär Lars Klingbeil die rund 600 Delegierten, die online zugeschaltet sind, auf die Konferenz ein: „Heute ist Tag eins unserer Aufholjagd vor der Bundestagswahl.“
Klingbeil erinnerte an die Bedeutung dieses Sonntags – dem Europatag am 9. Mai, mit dem an eine Rede des französischen Außenministers Robert Schumann 1950 zur politischen Zusammenarbeit einstmals verfeindeter Länder nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert wird. „Wir brennen für Europa“, sagte Klingbeil.
Mit seiner Mitwirkung am Corona-Wiederaufbaufonds der EU mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro habe Scholz „das konservative Dogma des Kaputtsparens in Europa“ beendet. „Das ist konkrete sozialdemokratische Politik“, so Klingbeil.
[Mehr zum Thema: Parteikultur der SPD: Der Fluch der Funktionäre (T+)]
Zu denen, die Klingbeil begrüßte, gehörte auch der Ex-Biathlontrainer und Olympiasieger Frank Ullrich, der bei der Wahl im September in Südthüringen beim Kampf um das Direktmandat gegen den umstrittenen früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen (CDU) antritt. „Du weißt, wie man als Erster durchs Ziel kommt“, sagte Klingbeil an die Adresse von Ullrich, der auch eine Rede hält.
Familienministerin Franziska Giffey, die in Berlin bei der Abgeordnetenhauswahl am 26. September Regierende Bürgermeisterin werden will, strich das Thema der sozialen Gerechtigkeit heraus. „Es macht einen Unterschied, ob die SPD mitregiert oder nicht“, sagte sie. Den Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung von Kindern führte sie als Beispiel dafür an, dass sich die Sozialdemokaten für diejenigen einsetzen, die „nicht auf der Sonnenseite des Lebens“ stehen.
Die Aufwertung sozialer Berufe und eine gleiche Bezahlung für Männer und Frauen – dies seien entscheidende Themen für die SPD. Giffey betont, dass das Wahlprogramm aufbaue auf dem Starke-Familien-Gesetz, mit dem die Bundesregierung Kinderarmut in Deutschland aktiv bekämpfen will. Am Ende ihrer Rede wünscht sie “viel Glück und Erfolg vor allem an Olaf“.
SPD-Vize Kevin Kühnert knüpfte sich das Thema „bezahlbarer Wohnraum“ vor. Nach Kühnerts Worten steht die SPD zur Regulierung – etwa bei einer Verlängerung des Betrachtungszeitraums von Mietspiegeln auf acht Jahre. „Aber wir wollen auch bauen“, fügte er hinzu.
Mit diesem Ansatz unterscheide sich die SPD einerseits von der Union, die es nicht schaffe, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. „Und die anderen haben Probleme mit dem Bauen“, so Kühnert. Die Spitze richtet sich insbesondere gegen die Grünen, nachdem deren Fraktionschef Anton Hofreiter eine Debatte über den Ressourcenverbrauch von Einfamilienhäusern losgetreten hatte.
Außenminister Heiko Maas ging auf die gegenwärtigen Herausforderungen wie den Klimawandel, die Digitalisierung, und die Corona-Pandemie ein. Keine dieser Herausforderungen sei im nationalen Rahmen zu bewältigen, so Maas. „Wir leben in einer Zeit, in der wir mehr internationale Zusammenarbeit brauchen und nicht weniger“, sagte er. Diese Kooperation sei mithilfe der EU möglich. „Und die ist nicht so schlecht, wie sie immer gemacht wird“, sagt der Außenminister mit Blick auf die Gemeinschaft der 27 EU-Staaten.
Der frühere Olympiasieger Frank Ullrich, der bei der Bundestagswahl in Südthüringen gegen den umstrittenen Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen (CDU) antritt, ist erst im vergangenen Februar in die SPD eingetreten. In seiner Rede begründete er dies unter anderem damit, dass er verhindern wolle, „dass Populisten in den Parlamenten sitzen“.
Wegen der Corona-Pandemie findet der Parteitag komplett digital statt. Nur wenige Spitzenpolitikerinnen und -politiker sowie technisches Personal sind vor Ort im Berliner City Cube anwesend.
Die Delegierten nahmen das erste Kapitel des Wahlprogramms mit dem Titel "Zukunft. Respekt. Europa." mit großer Mehrheit an. Es gab 524 Ja-Stimmen bei sieben Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen. Allerdings haben offenbar nicht alle SPD-Leute bei dem Online-Parteitag ihre Stimme abgegeben – denn mehr Delegierte als die 533, die eine gültige Stimme abgegeben haben, sind eingeloggt. (mit AFP)
Der Artikel wird fortlaufend aktualisiert.
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