Heftige Kritik von Ärzten und Politikern: Schluss mit telefonischer Krankschreibung
Ab nächster Woche müssen Arbeitnehmer mit Atemwegserkrankung für ihre Krankschreibung wieder in Arztpraxen. Die SPD sieht das als Patientengefährdung.
Um sich bei leichten Atembeschwerden krankschreiben zu lassen, müssen Versicherte ab der kommenden Woche wieder einen Arzt aufsuchen. Der entsprechende Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) fiel am Freitag in Berlin gegen die Stimmen der Ärzteschaft und stieß auch bei der SPD und Grünen auf heftige Kritik. Er sehe darin eine Gefährdung der Patienten, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem Tagesspiegel. Die meisten Praxen seien nicht auf den zu erwartenden Andrang vorbereitet, es könnten sich dort nun neue Corona-Infektionsherde bilden.
Offenbar großer Druck der Arbeitgeber
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) äußerte ebenfalls „Erstaunen und Unverständnis“. Offenbar habe dabei „auch der große Druck der Arbeitgeberseite eine entscheidende Rolle gespielt“, mutmaßte KBV-Vize Stephan Hofmeister. Die Ärzte hätten sich im höchsten Gremium der Selbstverwaltung für eine Verlängerung der bisherigen Möglichkeit einer rein telefonischen Krankschreibung bis zum 3. Mai eingesetzt, sagte er. "Dies wäre deckungsgleich gewesen mit der von der Bundesregierung ausgesprochenen Fortführung der Kontaktsperre. Leider sind wir im Gremium überstimmt worden.“
Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie konnten Ärzte seit März ihren Patienten bei einer leichten Erkrankung der oberen Atemwege telefonisch eine AU-Bescheinigung bis maximal 14 Tage ausstellen. Damit sollten Praxen entlastet und gleichzeitig das Risiko für eine vermeidbare Ausbreitung von Infektionskrankheiten über die Wartezimmer verringert werden.
"Unbürokratisch Lösung viel zu früh aufgegeben"
Der abrupte Stopp dieser bisherigen Regelung sei „ein Problem für Praxisteams und Patienten gleichermaßen“, meinte KBV-Chef Andreas Gassen. Die Vize-Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Bärbel Bas, nannte es bedauerlich, dass sich der G-BA gegen die Ärzte gestellt und die bisherige unbürokratische Lösung „viel zu früh aufgegeben“ habe. Sie hätte es für richtig gehalten, die Möglichkeit einer telefonischen Krankschreibung sogar bis zum 23. Juni zu verlängern, sagte Bas dem Tagesspiegel. „Wer Halsschmerzen oder Husten hat, muss jetzt erst recht zuhause bleiben und darf seine Mitmenschen nicht gefährden“, so de SPD-Politikerin. „Wir stehen am Anfang von ersten Lockerungen, nicht am Ende.“
Auch die Opposition übte Kritik. Die G-BA-Entscheidung sei "völlig unverständlich", twitterte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Maria Klein-Schmeink. "Da passt die Regierungslinie - Verlängerung der Kontaktbeschränkungen bis Anfang Mai- nicht zur Linie der Selbstverwaltung." Durch telefonische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lasse sich schließlich unnötiger Kontakt vermeiden.
Ärzte- und Patientenvertreter waren dagegen
Nach Tagesspiegel-Informationen hatte sich im G-BA nicht nur die Ärzte-, sondern auch die Patientenvertretung gegen die Abschaffung der Krankschreibungs-Ausnahmeregelung schon ab dem 20. April gewandt. Allerdings dürfen die Patientenvertreter im höchsten Selbstverwaltungs-Gremium nur mitberaten, sie besitzen dort kein Stimmrecht.
Josef Hecken, der unparteiische G-BA-Vorsitzender, verteidigte den Beschluss mit dem Hinweis auf eine abnehmende Dynamik der Neuinfektionen. Die Behelfsregelung könne deshalb „ohne Gefahr einer Erhöhung des Infektionsrisikos für Patientinnen und Patienten oder Ärztinnen und Ärzte zum vorgesehenen Termin auslaufen“, sagte er. AU-Bescheinigungen, die bis 19. April telefonisch ausgestellt wurden, behalten allerdings ihre Gültigkeit.