Nun auch noch eine Mail-Affäre: Scheuer wird zum immer größeren Problem für den CSU-Chef
Nach der gescheiterten Bußgeldverordnung gibt es bei den Minister-Emails zum Maut-Debakel neue Ungereimtheiten – die FDP fordert von Söder die Ablösung.
Die Mail vom 31. Dezember 2018 um 10.48 Uhr ist für Andreas Scheuer ein brisanter Vorgang. Das Maut-Debakel, gewaltige Schadenskosten für die Steuerzahler, dazu die jüngsten Bußgeldkatalog-Pannen - und nun eine mögliche E-Mail-Affäre: Der Bundesverkehrsminister gilt inzwischen als politischer Überlebenskünstler auf der Regierungsbank. Noch im Amt, da Markus Söder - noch - die schützende Hand über ihn hält. Aber die Affäre Scheuer wird auch immer unangenehmer für Söder.
Staatssekretär Gerhard Schulz schrieb an jenem Silvestermorgen an den Ministeriumsreferenten Andreas Winderlich. In der Mail mit dem Betreff „ISA (Infrastrukturabgabe) Erhebung - Sachstand und Kurzinformation“ dankte Schulz für das „ergänzte Papier“ und schrieb. „Ich schick es direkt Min (für Minister) auf seine private email.“ Die Mail liegt dem Tagesspiegel vor, als erstes hatte die „Welt“ darüber berichtet.
Für die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gescheiterten Infrastrukturabgabe, im Volksmund Pkw-Maut, wirft die Mail einige Fragen auf. Zunächst einmal, dass der Minister offensichtlich einen privaten Email-Account nutzte, auch für relevante Vorgänge zur Pkw-Maut. Sie hatten schon darum kämpfen müssen, dass Scheuer zuletzt 300 Mails von seinem Bundestags-Account dem Ausschuss zur Verfügung stellen ließ.
Ein deutscher "Hillary-Clinton"-Fall?
Scheuer hat eine Vollständigkeitserklärung abgegeben, alle relevanten Informationen, die über seine Email-Accounts gelaufen sind, übermittelt zu haben. Aber diese Erklärung gilt nur für seinen Abgeordneten-Account, nicht aber für einen privaten.
Auf eine Anfrage des Tagesspiegels hierzu reagierte das Ministerium zunächst nicht. Der FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, Christian Jung, sagt im Gespräch mit dem Tagesspiegel: "Ich bin jeden Tag erstaunt, was da noch so alles auftaucht." Das erinnere ihn inzwischen sehr an Hillary Clinton, sagt er mit Blick über die frühere US-Außenministerin, die als Präsidentschaftskandidatin durch die Affäre um massenhaft über private Accounts abgewickelte Emails Schiffbruch erlitt.
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Die Panne mit der Bußgeldverordnung
Jung kritisiert seit Monaten eine Salamitaktik des Ministers und schwere Verfehlungen. Im Raum steht ja auch der Vorwurf, dass bei der Novelle des Bußgeldkatalogs bewusst geschlampt worden ist: Deshalb konnte die neue Regelung nicht greifen, dass ein Monat Führerscheinentzug droht, wenn man innerorts 21 Kilometer pro Stunde zu schnell gefahren ist oder außerorts 26 km/h.
Das hatten die Bundesländer der von Scheuer vorgelegten Straßenverkehrsordnung im Bundesrat hinzugefügt, Scheuer hält das für völlig überzogen und will die Beseitigung des Formfehlers nutzen, um die Verschärfung zurückzunehmen. Tausende Führerscheine wurden zu Unrecht eingezogen.
„Man fragt sich was muss noch passieren, damit er zurücktritt“, sagt Jung mit Blick auf die neuen Ungereimtheiten und eine drohende Email-Affäre. Die Registratur-Richtlinie der Bundesregierung fordert, dass alles "veraktet" sein muss, was mit der Ministertätigkeit zu tun, über private Accounts darf nichts Dienstliches kommuniziert werden.
Vor allem sind mögliche Nebenabsprachen mit den Betreibern weiter unklar. Scheuer wird vorgeworfen, die Verträge vorschnell vor dem EuGH-Urteil abgeschlossen zu haben - der EuGH kippte das Projekt im Juni 2019, da einseitig ausländische Autofahrer belastet worden wären. Die Betreiber Kapsch und CTS Eventim fordern 560 Millionen Euro Schadenersatz.
Es gibt mittlerweile 3000 Ordner zu dem Vorgang. Das Grünen-Mitglied im Ausschuss, Stephan Kühn, betont, nur ein Ermittlungsbeauftragter, der sämtliche Nachrichten des Ministers mit dienstlichem Bezug sichtet, könne Licht ins Dunkel bringen. Das lehnt Scheuer ab.
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Das Scheuer-Problem von Markus Söder
Für den FDP-Politiker Jung ist klar, wer das Problem zu lösen hat: CSU-Chef Söder. Während er für sein Corona-Krisenmanagement Bestnoten bekommt und laut Umfragen der Favorit der Bürger auf die Kanzlerkandidatur der Union ist, gerät er hier in Zugzwang. Viele Bürger können nicht verstehen, warum Scheuer bisher nicht für die offenkundigen Fehler geradestehen muss. Aber unter den CSU-Ministern im Verkehrsressort sind auch viele Milliarden in bayerische Projekte geflossen.
Erst am 10. Juli gab es wieder einen schönen Termin: Mit Schaufeln machten Scheuer, Söder und Bayerns Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (alle CSU) den Spatenstich für den Ausbau der A3 zwischen Nürnberg und Würzburg, die bis 2025 durchgängig sechsspurig befahrbar sein soll, damit sie nicht mehr die „Leidensstrecke der Franken“ ist, wie Söder sagt. Doch er ist bekannt für sein Gespür, daher dürfte Scheuer etwas gefröstelt haben bei den Aussagen am Sonntag im ZDF-Sommerinterview.
Zu den Pannen bei der Bußgeld-Novelle sagte Söder: „Das ist sehr, sehr ärgerlich.“ Der „Andi Scheuer“ habe jetzt die Möglichkeit, „das noch einmal zu klären und gutzumachen.“ Zum Maut-Untersuchungsausschuss sagte er nur: „Ich will nicht vorgreifen, was da rauskommt.“
FDP fordert Söder zum Scheuer-Rückzug auf
Noch Anfang des Jahres hatte Söder einen Umbau des Kabinetts angekündigt, was für ihn nur einen Austausch von CSU-Ministern bedeuten konnte. Doch dann kam Corona. „Das ist operativ das Problem von Markus Söder“, sagt FDP-Obmann Jung. Er erinnert an Söders Aussage im Tagesspiegel-Interview: „Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen.“
Jung meint dazu: "Wer die permanente Krise um die Pkw-Maut und Andreas Scheuer nicht lösen und beenden kann, kann auch nicht Kanzlerkandidat und später Bundeskanzler werden." Hier seien jetzt Führungsqualitäten gefragt - und zwar von Söder.