Getöteter Dissident und Journalist: Saudisches Königshaus wieder in Erklärungsnot zu Khashoggi-Mord
War Jamal Khashoggis Tötung ein Auftragsmord? Ein UN-Bericht und ein Telefonmitschnitt belasten Saudi-Arabiens Herrscher und den Thronfolger bin Salman.
Hatice Cengiz will nicht aufgeben. Vier Monate nach dem Mord an ihrem Verlobten, dem saudischen Dissidenten und Journalisten Jamal Khashoggi, dringt die 37-jährige Türkin weiter darauf, dass die Täter bestraft werden. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Cengiz am Freitag in Istanbul, wo sie ein Buch über Khashoggi vorstellte.
Ein großes Echo hatten Cengiz‘ Aufrufe zuletzt nicht mehr gefunden – der Mord ist zur Genugtuung Saudi-Arabiens fast in Vergessenheit geraten. Doch ein UN-Untersuchungsbericht und Erkenntnisse amerikanischer Geheimdienste setzen das Königreich jetzt wieder unter Druck.
Cengiz begleitete Khashoggi am 2. Oktober 2018 zum saudischen Konsulat in Istanbul, wo er Papiere für ihre Hochzeit abholen wollte. Als er nicht zurückkam, alarmierte sie die türkische Regierung. Nach langem Zögern gaben die Herrscher in Riad schließlich zu, dass der 59-jährige im Konsulat getötet wurde. Einigen Berichten zufolge ist er erwürgt worden, nach einer anderen Version erhielt er eine tödliche Spritze. Seine Leiche wurde zerteilt und nie gefunden.
UN: Opfer eines brutalen Tötung
Vor wenigen Tagen sprach Cengiz mit der UN-Sonderberichterstatterin Agnes Callamard. Die französische Menschenrechtlerin, bei den UN zuständig für außergerichtliche Hinrichtungen, war nach Istanbul gekommen, um sich die Beweislage im Fall Khashoggi anzusehen.
Callamards Bilanz lässt keinen Zweifel: „Herr Khashoggi war das Opfer eines brutalen und vorsätzlichen Tötungsdeliktes, das von Vertretern des Staates Saudi-Arabien sowie Personen unter ihrer Anleitung geplant und ausgeführt wurde“, schreibt sie in ihrem jetzt veröffentlichten Bericht. Die UN-Expertin wirft der saudischen Regierung zudem vor, das Verbrechen verschleiert zu haben.
Riad argumentiert, Khashoggis Tod sei die Folge einer illegalen Aktion von Untergebenen des Kronprinzen Mohammed bin Salman gewesen; der Thronfolger selbst habe nichts davon gewusst. Elf Verdächtige stehen in einem nicht-öffentlichen Verfahren in Saudi-Arabien vor Gericht – bisher sind nicht einmal die Namen der Beschuldigten bekannt. Callamard will deshalb in die Golfmonarchie reisen; ob man sie dort vorlassen wird, steht noch nicht fest.
Brisante Telefonmitschnitte
Doch nicht nur die Appelle von Cengiz und der UN-Untersuchung bringen das Königreich in die Defensive. Auch ein Bericht der „New York Times“ erschüttert die saudische These von der Unschuld von Kronprinz Mohammed bin Salman, häufig nur MBS genannt.
Der Zeitung zufolge hörten US-Geheimdienstler ein Jahr vor dem Verbrechen ein Telefonat von MBS ab, in dem dieser einem Mitarbeiter sagte, Khashoggi solle zur Rückkehr nach Saudi-Arabien bewegt oder gewaltsam zurückgebracht werden. Falls das nicht funktioniere, werde er Khashoggi „mit einer Kugel“ erledigen, soll MBS gesagt haben.
Der Telefonmitschnitt, der laut der „New York Times“ erst nach dem Mord übersetzt wurde, ist eine schlechte Nachricht für Riad. Die Behauptung, das saudische Killerkommando sei ohne Wissen von MBS nach Istanbul geflogen, wird damit noch unglaubwürdiger. Im US-Senat in Washington will eine parteiübergreifende Initiative die Lieferung von Panzern, Kampfflugzeugen und Munition an Saudi-Arabien verbieten, um Präsident Donald Trump zu einer härteren Haltung gegenüber MBS zu zwingen.
Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik glaubt dennoch nicht, dass die UN-Untersuchung und die Berichte aus den USA nennenswerte Folgen für die Golfmonarchie und den Prinzen haben werden.
Niemand will es sich mit den Saudis verscherzen
Zum einen sei bereits schon länger klar, dass Vertraute aus bin Salmans engster Umgebung die Tötung Khashoggis in Auftrag gegeben haben. „Das ist nachgewiesen und von der saudischen Führung eingestanden worden.“
Zum anderen seien bislang entschiedene Reaktionen ausgeblieben. „Da sind die Türkei und Deutschland - mit seinem zeitweisen Stopp der Waffenexporte - noch am weitesten gegangen.“ Steinberg hält das für nicht ausreichend. „Ich hätte erwartet, dass die Nato-Staaten ihre Empörung viel deutlicher machen. Folgerichtig wäre es gewesen, saudisches Botschaftspersonal auszuweisen – schließlich wurde Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul getötet. Doch das ist nicht geschehen.“
Dabei müssten EU und Nato großes Interesse haben, dass Staaten wie Iran, Russland oder Saudi-Arabien Oppositionelle im Ausland nicht drangsalieren, entführen oder töten. „Doch haben die Länder offenkundig wenig Interesse, es sich mit den Saudis zu verscherzen. Was nicht zuletzt daran liegt, dass die USA so verhalten reagiert haben.“ Insofern habe der Kronprinz nichts zu fürchten. „Mohammed bin Salman sitzt fest im Sattel.“