Besuch in Berlin: Sarkozy fordert französisch-deutsche Führungsrolle in Europa
Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy verlangt bei einer Rede in Berlin, dass sich die EU künftig auf "das Wesentliche konzentrieren" müsse.
Das Allianz-Forum ist voll besetzt – Anzugträger in der Mitte und auf den Stufen am Rand junge Franzosen, die seit ein paar Monaten in Berlin leben. Sie sind wegen Nicolas Sarkozy gekommen. Sie wollen – wer weiß? – das Comeback des Mannes verfolgen, der ihr Land als allgegenwärtiger „Omnipräsident“ und Europa gemeinsam mit Angela Merkel von 2007 bis 2012 regierte. Seine einstige Partnerin aus „Merkozy“-Zeiten hat Sarkozy gerade im Kanzleramt getroffen, jetzt wird er am Pariser Platz von Kameras umringt.
Eine Rede unter der Überschrift „Frankreich, Deutschland und Europa“ hat die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung angekündigt. Als Sarkozy sie vorträgt, wirkt der Ex-Präsident so, wie man ihn zuletzt noch aus Regierungszeiten der konservativen UMP im Ohr hatte: druckvoll und gelegentlich voller Pathos. „Das Ende Europas“, hebt Sarkozy an, „wäre das Ende des Friedens.“
Der 59-Jährige gibt seinen Gedanken über den Zustand Europas Raum, ohne dabei in die Niederungen der Tagespolitik hinabsteigen zu müssen. Gab es nicht auch in seiner Amtszeit die eine oder andere Irritation im Verhältnis zwischen Berlin und Paris? Mag sein, aber zum Schlüsselerlebnis ist für Merkel und Sarkozy das gemeinsame Krisenmanagement nach dem Beginn des Griechenland-Dramas geworden. Und folgerichtig hält Sarkozy auch noch einmal diesen „Moment der Wahrheit“ fest: „In diesem Moment haben Frankreich und Deutschland gemeinschaftlich gehandelt.“ Nach seiner Meinung gibt es auch in Zukunft keine Alternative zur gemeinsamen Führungsrolle der beiden Länder in der EU. Zur gegenwärtigen Europapolitik sagt er immerhin so viel: Die EU müsse sich „auf das Wesentliche konzentrieren“ und nicht „immer unverständlichere Verordnungen erlassen“. Die Frage, ob er bei der nächsten Präsidentschaftswahl in Frankreich 2017 antritt, bleibt allerdings auch nach seiner Rede offen.
Aber noch ein zweites Thema spielt bei der europäischen Begegnung an diesem Freitagmittag eine Rolle – die Karlsruher Entscheidung, die Dreiprozenthürde vor der nächsten Europawahl im Mai zu kippen. Bundestagspräsident Norbert Lammert betreibt ironisch verklausulierte Urteilsschelte, als er anmerkt, dass es „sich auch der selbstkritischen Betrachtung eines Gesetzgebers nicht sofort“ erschließe, warum das Verfassungsgericht ausgerechnet jetzt die Sperrklausel ganz beseitigt habe – zu einem Zeitpunkt, da das Europaparlament an Macht gewonnen habe. Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, empfiehlt schließlich den Karlsruher Richtern die Lektüre seines Buches. Dort erzählt der frühere EU-Parlamentspräsident, wie schwierig es war, eine Mehrheit in Straßburg für die Mannschaft des Kommissionschefs José Manuel Barroso zu organisieren – ein Praxis-Beispiel, das nicht so recht zur Karlsruher These vom Europäischen Parlament als zahnlosem Tiger passt.
Albrecht Meier