Daten über Martin Dulig gespeichert: Sächsischer Verfassungsschutz sammelte illegal Material über Vize-Regierungschef
„So geht sächsisch“, lautet das Motto des Freistaates. Recht einmalig ist auch, dass der Vize-Regierungschef ins Visier des eigenen Verfassungsschutzes geriet.
Der sächsische Verfassungsschutz hat illegal Informationen über den eigenen Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) gesammelt. Er hatte ein Auskunftsersuchen gestellt und erhielt sechs Seiten mit Informationen, wie Aussagen und Facebook-Einträgen, teilte Dulig auf Tagesspiegel-Anfrage mit. „Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Mir fehlen dafür die Worte", sagte Dulig dem Tagesspiegel.
[Wenn Sie die wichtigsten News aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräteherunterladen können.]
Auslöser war zunächst ein Auskunftsersuchen des Linken-Fraktionschefs Rico Gebhardt. Ihm war mitgeteilt worden, dass Daten von ihm gesammelt wurden. So wurde unter anderem eine Teilnahme an einer Demonstration vermerkt, an der auch Dulig, der auch Landesvorsitzender der SPD ist, selbst teilnahm. Daraufhin stellte auch das Regierungsmitglied ein Auskunftsersuchen und bekam jene sechs Seiten mit Informationen, die über ihn gesammelt wurden.
„Das war belangloses Zeug. Und ist eher peinlich für die Agenten“, meinte Dulig. Am Dienstag wurde vom Landtag auch ein Nachbericht „zur Sammlung und Speicherung von Abgeordnetendaten durch das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen“ veröffentlicht.
Hierhin taucht auch Dulig auf, aber nur mit einer gesammelten Information, nämlich einer Aussage von ihm, „dass auch die CDU eine Verantwortung dafür trägt, welche Zustände heute in Sachsen hinsichtlich Rechtsextremismus und Rassismus herrschen.“ Die CDU habe das Problem 25 Jahre lang verharmlost und relativiert. Zudem habe Dulig kritisiert, dass „die CDU denen mit Misstrauen begegne, die sich stets gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagiert haben.“
Dulig betonte im Gespräch mit dem Tagesspiegel, die Sammlung sei in der Amtszeit des umstrittenen Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath erfolgt. Er war 2020 abgelöst worden durch Dirk-Martin Christian, der frühere Vorgänge aufarbeiten lässt. Zuletzt wurde auch die Pegida-Bewegung als rechtsextrem eingestuft.
Meyer-Plath wurde von Kritikern vorgeworfen, zu wenig gegen rechtsextreme Netzwerke vorzugehen. Dulig kritisierte, dass sogar über ihn eine Sammlung existiert habe, zeige, welcher Geist seinerzeit im Landesamt für Verfassungsschutz geherrscht habe, so was gebe es nur in Sachsen.
Dinge wie ein Angriff auf sein Bürgerbüro, also konkrete Bedrohungen, seien dagegen nicht aufgeführt worden – 2015 waren Plastersteine in Duligs Bürgerbüro in Radebeul geworfen worden. Die gesammelten Daten über ihn würden gelöscht, „da es illegal war“, betonte Dulig.
Meyer-Plath war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. In Verfassungsschutzkreisen hieß es, Dulig sei niemals überwacht worden. Der Dienst habe Äußerungen festgehalten, in denen es darum ging, wie Politiker aktuell Extremismus bewerten. Das sei eine der Arbeitsgrundlagen des Verfassungsschutzes. Außerdem müsse damit gerechnet werden, dass Extremisten auf die Äußerungen von Politikern reagieren.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte dem Tagesspiegel: "Martin Dulig ist ein aufrechter Sozialdemokrat und ganz sicher kein Fall für den Verfassungsschutz. Dass politische Bewertungen und Statements von ihm, die sich unter anderem gegen die CDU richteten, gesammelt wurden, entbehrt jeder Grundlage." Es sei gut, dass diese illegalen Aktionen aufgedeckt wurden und dass beim Verfassungsschutz in Sachsen aufgeräumt werde.
"Unsere Sicherheitsbehörden müssen unsere Demokratie schützen und sie gegen Feinde abwehren, vor allem von rechts. Darauf muss der Fokus liegen."
Der ungewöhnliche Fall reiht sich ein in die seit Jahren anhaltenden Debatten, ob der Verfassungsschutz überall im Land ausreichend politisch neutral ist und das linksextreme wie das rechtsextreme Lager gleichermaßen im Blick hat.
Die SPD im Bund war auch einer der Treiber für die Entlassung des Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Dieser hatte nach der Tötung eines Deutschen mit kubanischen Wurzeln und den anschließenden Auseinandersetzungen im sächsischen Chemnitz trotz eines entsprechenden Videos den Eindruck zurückgewiesen, dass es dort rechtsextreme Hetzjagden gegeben habe. Maaßen kandiert für die CDU in Südthüringen, um dort am 26. September ein Direktmandat für den Bundestag zu erobern. Der Chef des thüringischen Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, sagte zuletzt dem Tagesspiegel, Maaßen sei in Thüringen derzeit aktiv und falle somit auch in Kramers Zuständigkeitsbereich.“ Maaßen benutze „klassische antisemitische Stereotype“, verwende „doppeldeutige Begriffe“. Derlei sei bereits bekannt vom Thüringer AfD-Chef Björn Höcke oder von AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland und „eine beliebte Methode der Neuen Rechten“, sagte Kramer. Das wiederum brachte ihm von CDU und AfD den Vorwurf der fehlenden politischen Neutralität ein, weshalb es Entlassungsforderungen gegen ihn gibt.