zum Hauptinhalt
Der russische Außenminister Sergej Lawrow und sein Amtskollege Frank-Walter Steinmeier in Wolgograd: Die Entfremdung zwischen Russland und dem Westen schreitet voran. Nur das gemeinsame Gedenken funktioniert. Manchmal.
© dpa

Propagandakrieg mit dem Westen: Russlands hybride Diplomatie

Täuschen, verwirren, aber nicht verantwortlich zeichnen - die russische Diplomatie zeigt im Fall der angeblich vergewaltigten 13-Jährigen Zähne. Es hilft nur Aufklärung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Womöglich ist es vernünftig, dass die Bundesregierung die Attacke des russischen Außenministers auf die Arbeit der deutschen Justiz nicht zum Krisenfall erklärt, sondern eher nüchtern reagiert. Sergej Lawrow hatte den Berliner Behörden „Vertuschung" vorgeworfen, nur weil die der Meldung widersprachen, wonach eine 13-Jährige aus einer Familie von Russlanddeutschen von Migranten vergewaltigt worden sei. Der deutsche Außenminister warnt den Partner nun immerhin vor politischer Propaganda – ein deutliches Signal in einer Zeit, da Moskaus Kooperation in vielen Krisen gefragt ist. Aber einfach zur Tagesordnung übergehen wollte die deutsche Außenpolitik nicht nach dem Tabubruch Lawrows, der ein junges Mädchen ohne belastbare Belege politisch instrumentalisiert.

Jenseits diplomatischer Zurückhaltung gilt: Lawrow zeigt eine neue Qualität der Dreistigkeit, wenn er mit den Ängsten von Russlanddeutschen spielt, unverhohlen fremdenfeindliche Ressentiments bedient und damit die Botschaft verknüpft, wonach die deutsche Flüchtlingspolitik als Zeichen des Niedergangs des dekadenten Westens zu deuten ist.

Der Außenminister hat ein neues Werkzeug aus dem Instrumentenkasten der Zersetzung gezogen. Nach dem „hybriden Krieg“ in der Ukraine, der von russischen Soldaten ohne Uniform geführt wird, ist nun „hybride Diplomatie“ zu besichtigen. Täuschen, verwirren, aber nicht verantwortlich zeichnen – darum geht es. Dazu gehört auch die Praxis, mit Leserbrief-Fabriken und „Trollen“ in Deutschland kritische Berichte über Russland zu erschweren und in sozialen Medien Zweifel an der Verlässlichkeit von Journalisten zu schüren.

Deutschland steht im russischen TV kurz vor dem Ende

Dabei hatte erst ein russischer Fernsehsender die Geschichte von der Vergewaltigung des Mädchens unter Berufung auf dessen Tante verbreitet. Sie passte zu einer Berichterstattung, die Flüchtlinge nur als Bedrohung sieht. Seit der Grenzöffnung wird Deutschland von russischen Medien als ein Land dargestellt, das kurz vor dem Zusammenbruch steht.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow spricht von "unserem Mädchen Lisa", wirft den deutschen Behörden Vertuschung vor
Der russische Außenminister Sergej Lawrow spricht von "unserem Mädchen Lisa", wirft den deutschen Behörden Vertuschung vor
© dpa

Als Resonanzkörper der giftigen Töne nutzt Moskau auch die Spätaussiedler in Deutschland. Viele Russlanddeutsche vertrauen offenbar nur russischen Medien und werden so in ihrem eher statischen Gesellschaftsbild bestärkt. Mitglieder einer Gruppe, die bei ihrer Ankunft im neuen Land selbst Ausgrenzung erfahren hat, sind zudem oft empfänglich für die Behauptung, die neuen Flüchtlinge seien gerade für sie eine soziale oder kulturelle Bedrohung.

Beunruhigend ist der Schulterschluss der empörten Russlanddeutschen mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen, der auch bei Demonstrationen in Berlin zu beobachten war. Russland unterstützt in der EU schon lange rechtspopulistische Bewegungen, die Wladimir Putin für seine Attacken auf die Abkehr von „christlichen Werten“, für Homophobie und Xenophobie als Verbündete und Gegenmacht zum Westen feiern.

Ein Zeichen von Stärke ist Lawrows Attacke allerdings nicht. Sinkender Ölpreis und niedriger Rubelkurs gefährden den Lebensstandard der Russen und machen Moskau nervös. Die Abgrenzung von einem vermeintlich dekadenten Westen soll das System stabilisieren. Für den Umgang mit solcher Propaganda gilt: Gegen Desinformation hilft nicht Desinformation, sondern nur Aufklärung. Und das Vertrauen darauf, dass die Deutschen mehrheitlich mündig genug sind, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Zur Startseite