Vorwurf des „Aufrufs zu Massenunruhen“: Russland steckt vier Regierungskritiker in Untersuchungshaft
Mehreren Oppositionellen in Russland droht eine lange Haft. Die Behörden werfen ihnen vor, eine nicht genehmigte Demonstration unterstützt zu haben.
Knapp eine Woche nach einer Großkundgebung der Opposition in Moskau hat die russische Justiz gegen vier Regierungskritiker Untersuchungshaft angeordnet. Sie werden beschuldigt, zu "Massenunruhen" aufgerufen zu haben und müssen sich am 27. September vor Gericht verantworten, wie ein Moskauer Gericht am Freitag mitteilte. Den Anwälten Iwan Podkopajew, Kirill Schukow, Samariddin Radschabow und Alexej Minjailo drohen bis zu 15 Jahren Haft. Für Samstag sind neue Proteste in Moskau geplant.
Die vier Inhaftierten sollen nach Angaben der Ermittler Aufrufe zur Teilnahme an der nicht genehmigten Demonstration am vergangenen Samstag verbreitet haben, die von den Behörden als "Massenunruhen" eingestuft wurde. Am Freitag wurden außerdem fünf weitere Verdächtige im Zusammenhang mit den Ermittlungen festgenommen, bei denen auch der Vorwurf der "Gewalt gegen Sicherheitskräfte" im Raum steht. Den Beschuldigten drohen acht bis 15 Jahre Haft.
Schukow und Minjailo arbeiten für die Menschenrechtsorganisation Agora, Podkopajew ist für die Organisation OWD-Info tätig. Radschabow arbeitet als unabhängiger Anwalt. Minjailo ist zudem Berater des Anti-Korruptions-Anwalts Ljubow Sobol. Die Ablehnung einer Kandidatur von Sobol und anderen Oppositionellen bei den Kommunalwahlen im September war der Auslöser für die jüngsten Proteste in Moskau.
Tausende Menschen waren am Samstag in der russischen Hauptstadt auf die Straße gegangen, um für freie Kommunalwahlen zu demonstrieren. Die Opposition bestreitet die Vorwürfe der Behörden. Sie betont, dass die Kundgebung friedlich verlaufen und die Gewalt von den Polizisten und nicht von den Demonstranten ausgegangen sei. Offiziellen Angaben zufolge hatten rund 3500 Menschen an der Kundgebung teilgenommen. Laut OWD-Info wurden dabei knapp 1400 Menschen festgenommen.
Neue Proteste am Samstag angekündigt
Ungeachtet scharfer Warnungen der Staatsanwaltschaft vor neuen unerlaubten Protesten steuern die russische Opposition und Polizei auf eine neue Konfrontation in Moskau zu. Sie werde trotzdem an diesem Samstag, 14.00 Uhr, für eine Zulassung zur Stadtratswahl demonstrieren, teilte die Juristin Ljubow Sobol am Freitag bei Twitter mit. Sie gehört zum Team des inhaftierten Anti-Korruptions-Kämpfers Alexej Nawalny, der seit Ende Juli eine 30-tägige Arreststrafe absitzt. Sobol kämpft wie Dutzende andere Moskauer um eine Zulassung zur Abstimmung am 8. September.
Einige Vertreter der gemäßigten Oppositionspartei Jabloko erhielten eine Zulassung, teils aber auch erst nach Einspruch. Die Opposition rief die Wähler trotz des Demonstrationsverbots dazu auf, für ihr Recht auf demokratische Wahlen zu auf die Straße zu gehen.
Die US-Botschaft in Moskau warnte ihre Bürger aus Sicherheitsgründen davor, sich in der Nähe der Proteste aufzuhalten. Angesichts des erwartbaren Zulaufs und der starken Polizeipräsenz sollten US-Bürger die Stadtteile meiden, hieß es. Die Botschaft veröffentlichte auch Notrufnummern.
Die russische Polizei kündigte bereits an, erneut hart gegen Demonstranten vorzugehen. Das Moskauer Bürgermeisteramt bewilligte am Freitagabend zwei Kundgebungen für je 100.000 Teilnehmer am 10. und 11. August. Die Proteste richten sich auch gegen Behördenwillkür in Russland. (AFP, dpa)