Massive Cyberspionage in Großbritannien: „Russische Akteure“ wollten Parlamentswahl 2019 stören
Sie beschafften sich illegal Regierungsdokumente. Dass russische Hacker die Wahlen stören wollten, ist der britischen Regierung nach „praktisch gesichert“.
Die britische Regierung und die Behörde für Cyber-Sicherheit in dem Land haben am Donnerstag gleich mehrere illegale Aktivitäten aus Russland beklagt. Die Vorwürfe kommen nur wenige Tage vor der erwarteten Freigabe eines wohl für die regierenden Konservativen in Großbritannien wenig schmeichelhaften Berichts über russische Einmischung in Politik und Wahlen.
„Russische Akteure“ haben nach Angaben der britischen Regierung versucht, sich in die Parlamentswahl in Großbritannien im vergangenen Jahr einzumischen. Außenminister Dominic Raab erklärte am Donnerstag, die Regierung erachte es als „praktisch gesichert“, dass von russischer Seite eine Einflussnahme auf die Wahl versucht wurde.
„Auf der Grundlage einer eingehenden Analyse ist die Regierung zu dem Schluss gekommen, dass es praktisch gesichert ist, dass russische Akteure versucht haben, sich in die Wahl von 2019 einzumischen“, hieß es in einer schriftlichen Erklärung des Ministers an das Parlament in London.
Gleichzeitig teilte die britische Behörde für Cyber-Sicherheit NCSC (National Cyber Security Centre) mit, sie habe Versuche russischer Hacker registriert, weltweit Daten von Forschungsinstituten zu stehlen, die an Coronavirus-Impfstoffen arbeiten.
Es geht dabei den Angaben zufolge aber nicht um Sabotage, sondern um Industriespionage. Der Direktor der britischen Behörde für Cyber-Sicherheit, Paul Chichester, deutet den Angriff als solchen "gegen alle, die aktive Arbeit zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie betreiben".
Russland streitet Beteiligung an Hacker-Angriff ab
Ähnlich äußerte sich auch Außenminister Dominic Raab: "Es ist völlig inakzeptabel, dass die russischen Geheimdienste diejenigen ins Visier nehmen, die an der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie arbeiten."
Russland hat die Vorwürfe zurückgewiesen. "Wir haben keine Informationen darüber, wer Pharmaunternehmen und Forschungszentren in Großbritannien gehackt haben könnte", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag der russischen Nachrichtenagentur Tass.
Russland habe "mit diesen Versuchen nichts zu tun".
Bericht über Russland-Einmischung in Brexit-Votum erwartet
Bei den gestohlenen Regierungsdokumenten handelte es sich um Protokolle von britisch-amerikanischen Handelsgesprächen. Die Dokumente bezogen sich nach Angaben des Ministers auf Handelsfragen zwischen London und Washington. Der ehemalige Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei hatte die Dokumente als Beleg gewertet, dass die Regierung den Gesundheitssektor entgegen ihrer Versprechen nicht von den Handelsgesprächen mit den USA ausnimmt. Corbyn versuchte daraus Kapital zu schlagen.
Seine Niederlage bei der Wahl konnte das aber nicht verhindern. Die Konservativen von Premierminister Boris Johnson fuhren einen überwältigenden Sieg ein. Johnson war mit dem Wahlversprechen angetreten, nach jahrelangem Gerangel den Brexit zu vollziehen.
In den kommenden Tagen will der Geheimdienstausschuss des Parlaments überdies seinen Bericht zu dem Verdacht der russischen Einmischung in das Brexit-Votum vom Juni 2016 veröffentlichen. Die Briten hatten sich damals mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union entschieden.
Nach einem Bericht der „Sunday Times“ vom vergangenen Jahr wurden in dem Report unter anderem die Beziehungen mehrerer russischer Großspender der britischen Konservativen zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB unter die Lupe genommen.
Die Zeitung berichtete jedoch unter Berufung auf Insider auch, dass der Ausschuss nicht klären konnte, ob russische Einflussnahme für den Ausgang des Brexit-Referendums 2016 entscheidend war. Johnson hatte die Annahme der Spenden verteidigt.
Britisch-russische Beziehungen seit Längerem angespannt
So wie auch bei der Präsidentenwahl im selben Jahr in den USA besteht der Verdacht, dass Russland die Abstimmung manipuliert haben könnte.
Die Beziehungen zwischen Großbritannien und Russland sind seit Längerem äußerst angespannt – unter anderem wegen des Giftanschlags auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia im März 2018 im englischen Salisbury. Die britische Regierung macht den russischen Geheimdienst für den Anschlag verantwortlich. Moskau weist die Vorwürfe zurück.
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Erst in der vergangenen Woche verhängte Großbritannien Sanktionen gegen russische Akteure, die Menschenrechtsverstöße begangen haben sollen. Russland kündigte umgehend Gegensanktionen an. (AFP)