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Die meisten Geschäfte wie dieses in Köln mussten schließen.
© Kai Pfaffenbach/Reuters
Update

Wann wird der Lockdown aufgehoben?: Rufe nach Exit-Strategie für Mitte Februar werden lauter

Die Corona-Fallzahlen in Deutschland gehen langsam zurück – und schon wird das Lockdown-Ende gefordert. Politiker und Experten machen konkrete Vorschläge.

Die Beschränkungen für die Bürger in der Coronavirus-Krise sind bis mindestens Mitte Februar verlängert. Nun gehen die Fallzahlen langsam zurück. Es mehren sich jetzt die Stimmen, die ein Ende des Lockdowns, zumindest aber eine Perspektive fordern. Der stellvertretende Unionsfraktionschef Georg Nüßlein forderte eine solche Strategie für ein definitives Ende des Lockdowns Mitte Februar.

„Ich glaube nicht, dass man die Menschen über das jetzige Maß hinaus weiter strapazieren kann“, sagte der CSU-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“ vom Samstag. „Die Menschen halten sich zum größten Teil an die geltenden Regeln, aber ich stelle auch fest, dass die Stimmung kippt.“

Wenn sich die Lage in den kommenden Wochen nicht noch einmal drastisch verschlechtere – etwa durch eine massive Ausbreitung mutierter Viren –, „dann müssen wir spätestens ab Mitte Februar einen anderen Weg gehen als den bisherigen“, sagte Nüßlein.

Unionsfraktionsvize Nüßlein zweifelt an Inzidenz-Ziel

Dabei zog er auch das von der Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) favorisierte Inzidenz-Ziel in Zweifel: „Es ist wegen der massiven Auswirkungen nicht verantwortbar, solange einen flächendeckenden Lockdown zu verordnen, bis die Inzidenz-Zahl unter 50 oder unter 35 sinkt.“ Der Inzidenzwert gibt die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen an.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Der aktuelle ARD-Deutschlandtrend hatte vor dem Wochenende gezeigt, dass sich inzwischen fast jeder Zweite in Deutschland von den Corona-Regeln stark belastet fühlt. Zudem machte die Umfrage deutlich, dass der Rückhalt für das Krisenmanagement der Politik in der Bevölkerung sinkt.

Stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion: Georg Nüßlein (CSU).
Stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion: Georg Nüßlein (CSU).
© Kay Nietfeld/dpa

Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sprach sich für eine Öffnungsperspektive nach dem 14. Februar aus. Dann sollten Schulen und Kindergärten wieder öffnen, „wenn es verantwortbar ist“, sagte er der „Welt“. „Auch Friseure sollten dann wieder öffnen dürfen. Im März könnten wir dann über den Einzelhandel sprechen. Und nach Ostern auch über die Gastronomie.“

Die Schließung der Schulen ist seit der ersten Welle im Frühjahr ein sehr umstrittenes Thema. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus warnte vor ihrer zu schnellen Öffnung. „Wir tun uns alle keinen Gefallen damit, den Präsenzunterricht wieder zu früh zuzulassen. Gesundheit geht vor“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Die neuen Virus-Mutationen machten ihm „große Sorgen“.

Ramelow: „Ich wäre gerne längst bei meinem Friseur gewesen“

Die Öffnung von Schulen, Geschäften, Restaurants, Museen und Theaterbühnen könne nur schrittweise erfolgen, sagte die SPD-Politikerin Malu Dreyer den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Das alles werden wir nicht an einem Stichtag machen können."

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wies gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ auf die potenziellen Gefahren der neuen Virusvarianten hin: „Da wir aber die wahren Ausmaße der hiesigen Mutationen nicht kennen, können wir jetzt nicht das Risiko eingehen und vorzeitig auch nur punktuelle Lockerungen ausprobieren.“

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) äußerte Verständnis für die Ungeduld der Bürger. „Ich wäre gerne längst bei meinem Friseur gewesen und bei meiner Fußpflege“, sagte er der „FAS“. Er glaube sogar, dass das Risiko in den Salons gering sei. Das sei aber nicht das Argument: „Ein Hauptfaktor, warum wir zu diesen Lockdowns kommen, ist auch die Reduzierung von Mobilität“

Söders Koalitionspartner will Hotels und Skilifte öffnen

Am Freitag hatte der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger gefordert, Hotels und Skilifte im Februar wieder zu öffnen. Gemeinsam sollten die Wirtschaftsminister „auch auf Bundesebene diese Öffnungsschritte einfordern“ und nicht „wieder wie Kaninchen vor der Schlange warten, was von Frau Merkel und der Ministerpräsidentenkonferenz aus Berlin kommt“, sagte der Koalitionspartner von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in München.

„Bei Hotels seh' ich überhaupt keinen Grund, nicht öffnen zu dürfen“, erklärte der stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Bundesvorsitzende der Freien Wähler. Die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin sollten „akzeptieren, dass man sich in einem Hotel nicht infiziert“. Er sei auch überzeugt, „dass wir die Skilifte zeitnah öffnen können“. Die Österreicher zeigten, dass das gehe.

Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Samstag weiter sinkende Fallzahlen. Demnach gab es 16.417 Neuinfektionen und 879 weitere Covid-19-Tote binnen eines Tages. Vor genau einer Woche hatte das RKI 18.678 Neuinfektionen und 980 neue Todesfälle binnen 24 Stunden verzeichnet. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag dem RKI zufolge bei 112,6. Der bisherige Höchststand war am 22. Dezember mit 197,6 erreicht worden. Die Zahl schwankte danach und sinkt seit einigen Tagen wieder.

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Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht vom Freitagabend bei 0,97 (Vortag: 0,93). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 97 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab.

Erst am Freitag hatte RKI-Präsident Lothar Wieler eindringlich vor zu frühen Lockerungen gewarnt. Nach wie vor seien die Fallzahlen zu hoch, sagte Wieler auf einer Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: „Wir dürfen jetzt nicht nachlassen.“ Zu einem „halbwegs normalen Alltag“ könne das Land nur zurückkehren, wenn die Fallzahlen massiv und auf Dauer kleiner würden.

Ärztepräsident Klaus Reinhardt, der den Lockdown eigentlich befürwortet, warnte davor, dass die Auflagen von den Bürgern vielleicht nicht mehr konsequent eingehalten werden könnten. „Es ist nachvollziehbar, dass die Menschen nach zehn Monaten Pandemie ermüdet sind und die Corona-Schutzmaßnahmen als belastend empfinden“, sagte Reinhardt der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ vom Samstag.

Ärztepräsident: Lockdown verursacht psychosozialen Stress

„So wichtig und notwendig die von Bund und Ländern veranlassten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind, sie verursachen bei vielen Menschen auch psychosozialen Stress.“ Wichtig sei deshalb, „dass die Politik den Bürgern Perspektiven bietet“, betonte der Ärztepräsident. Dazu gehöre eine klare Kommunikation über die Impfkapazitäten, die in den kommenden Wochen und Monaten bis zum Sommer zunehmen würden. Wichtig sei außerdem ein „transparenteres Verfahren für die Erarbeitung der Anti-Corona-Maßnahmen“.

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sieht die Freiheitsbeschränkungen in der Corona-Krise zum Teil kritisch. „Ich hätte mir als Staatsrechtler nie vorstellen können, dass derart intensive Freiheitsbeschränkungen von der zweiten Gewalt, der Exekutive, beschlossen werden“, sagte Papier der in Oldenburg erscheinenden „Nordwest-Zeitung“. „Und ich wundere mich, wie wenig in der politischen Auseinandersetzung der rechtsstaatliche Grundsatz gewürdigt wird, dass der Zweck – auch der gute des Gesundheitsschutzes – nicht jeden Grundrechtseingriff rechtfertigt.“

„Die Menschen in diesem Land sind keine Untertanen“

Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verlange eine genaue Beurteilung der Eignung, Notwendigkeit und Angemessenheit im Hinblick auf den erreichbaren Nutzen jeder Maßnahme, sagte Papier. Bei manchen Freiheitseinschränkungen, etwa einem pauschal festgelegten Bewegungsradius von 15 Kilometern, habe er „erhebliche Zweifel, ob sie notwendig und geeignet sind, um das Infektionsgeschehen einzudämmen“.

Eingang zu einem Kindergarten in Braunschweig, der nur Notbetreuung bietet.
Eingang zu einem Kindergarten in Braunschweig, der nur Notbetreuung bietet.
© Hauke-Christian Dittrich/dpa/dpa

Papier, der dem Bundesverfassungsgericht von 2002 bis 2010 vorstand, fügte hinzu, ihn störe, „dass so manche Verantwortlichen in der Politik offensichtlich meinen, man dürfe in Zeiten der Pandemie so ziemlich alles an Einschränkungen vornehmen“.

Die Entscheidungsträger orientierten sich auch vornehmlich an den Ratschlägen von Naturwissenschaftlern und hörten zu wenig auf Verfassungsjuristen und Sachverständige, die etwas sagen könnten zu den gesellschaftlichen Nebenwirkungen der Corona-Bekämpfung. „Die Politik ist auch dem Freiheitsschutz der Bürger verpflichtet“, betonte Papier. „Die Menschen in diesem Land sind keine Untertanen. Man muss auch die ökonomischen, sozialen und kulturellen Lebensgrundlagen der Menschen im Auge behalten. Diese Abwägungen kann man nicht einseitig orientieren am Rat der Virologen.“ (mit Agenturen)

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