Fall Nadja Drygalla: Rudern und Zurückrudern
Für Nadja Drygalla war Olympia vorzeitig beendet – wegen ihrer Kontakte in die rechte Szene. War der Umgang mit ihr korrekt?
Nadja Drygalla hat gerudert, geredet und ist dann abgereist aus London: Der Fall der deutschen Ruderin ist erst nach dem Ausscheiden des Frauen-Achters bei den Olympischen Spielen zum Thema geworden. Denn erst da wurde öffentlich, dass Drygallas Lebensgefährte dem rechtsextremen Spektrum angehört. Nun steht im Raum, dass Drygalla selbst in die Szene verstrickt ist. Das spitzt den Fall, in dem vieles bislang nicht stimmig ist, zu.
Wer wusste was im Fall Nadja Drygalla?
Dass Nadja Drygalla einen rechtsextremen Freund hat, war zum Teil in ihrem Verein ORC Rostock als auch unter einem Teil der Sportler bekannt. Hans Sennewald, stellvertretender Vorsitzender des OSC, erklärte, dass er schon vor Jahren mit Drygalla wegen der Beziehung gesprochen habe. Die Ruderin habe erklärt, sie teile nicht die Ansichten ihres Freundes. „Aber ich kann nicht beeinflussen, an wen ein junges Mädchen ihr Herz verschenkt“, sagte der Vereinsfunktionär.
Sennewald ist auch Vorsitzender des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern. Den Deutschen Ruderverband hatte er vor Olympia nur „bei Gesprächen am Rande“ über die Beziehung Drygallas informiert. „Offiziell“, teilte Siegfried Kaidel, Präsident des Deutschen Ruderverbands (DRV), mit, sei über rechtsextreme Ansichten von Drygalla oder über ihren Freund nichts bekannt gewesen – was Sennewald „nicht kommentieren“ will.
Video: Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag fordert zweite Chance für Drygalla
Dass die Information nicht zu den obersten Funktionären durchgedrungen sein soll, ist in der kleinen deutschen Ruderszene zumindest ungewöhnlich. Auch die Nachricht, dass Drygalla im Herbst 2011 aus der Landes-Sportfördergruppe der Polizei ausschied, ging offenbar vom Landesverband nicht an den DRV weiter. Drygalla hatte ihren Dienst quittiert, nachdem das Landesinnenministerium Gespräche mit ihr geführt hatte. Angesichts ihrer Beziehung wäre sie ein Sicherheitsrisiko gewesen. Laut Ministeriumssprecher Michael Teich waren sowohl der Landesruderverband als auch der Landessportbund (LSB MV) „unmittelbar“ über das Ausscheiden Drygallas aus dem Polizeidienst informiert worden – was der LSB zunächst bestritt, später aber zugab. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der die Olympiamannschaft nominiert, wusste nach eigenen Angaben nichts von Drygallas Beziehung.
Hat Nadja Drygalla gegen die Olympische Charta verstoßen?
Der DOSB hätte keine Chance gehabt, Drygalla den Trip nach London zu verwehren. Als Sportlerin hatte sie sich nichts zuschulden kommen lassen. Um an den Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen, muss ein Sportler oder Offizieller die Olympische Charta akzeptieren. Neben der Einhaltung des World- Anti-Doping-Codes muss dabei vor allem der Geist des Fairplay und der Gewaltlosigkeit geachtet werden. Das schreibt Zulassungsregel 41 vor. Von politischer Gesinnung eines Teilnehmers ist in der Charta nicht die Rede.
Waren die Reaktionen richtig?
Wie viel muss ein Verband über das Privatleben eines Sportlers wissen?
Der Verband sollte das wissen, was über das Privatleben hinaus geht und die Öffentlichkeit betreffen kann. Mehr muss der Verband auch nicht wissen – so sieht es Thomas de Maizière. Der Verteidigungsminister war am Montag im Deutschen Haus in London und sagte zu dem Thema: „Steht es uns als Öffentlichkeit eigentlich wirklich zu, den Freundeskreis von Sportlerinnen und Sportlern zu screenen, zu gucken, was da los ist? Müssen wir von Sportlerinnen und Sportlern verlangen, dass sie offenbaren, mit wem sie befreundet sind, was die denken? Was ist denn dann mit dem Cousin, dem Opa, der Tante?“ Es sei außerdem fraglich, nach welchen Kriterien man die Intensität der Beziehung prüfen solle. Die Grenze im Fall Drygalla „ist glaube ich schon überschritten worden.“
Hat der Olympische Sportbund in London angemessen reagiert?
Der DOSB führte in London ein Gespräch mit der Sportlerin, um sich ein Bild zu verschaffen. Drygalla entschied, dass sie umgehend abreisen werde. Ob der DOSB sie dazu ermuntert hat, ist nicht bekannt. Ihre Begründung: Sie wolle vermeiden, dass die ganze Mannschaft unter der Diskussion leide. Die Sportlerin hatte mit dem Achter das Finale verpasst, sie hatte keinen Wettkampf mehr, einige ihrer Teamkollegen schon.
Ist das Thema außerhalb der deutschen Mannschaft registriert worden?
In Großbritannien sind die Medien besonders sensibel, wenn es um Deutsche und Nazis geht. Vom Thema Drygalla allerdings nahmen insbesondere die Zeitungen in London kaum Notiz. Ein Mitarbeiter der „Times“ erzählt, das Thema sei in der Redaktionskonferenz nur für 90 Sekunden diskutiert worden – und nur unter der Prämisse, ob ein Sportler für die Ansichten eines Lebenspartners zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Welche Konsequenzen könnte der Fall für die Sportlerin haben?
Sollte sich eine Verstrickung Drygallas in die rechtsextreme Szene erweisen, könnte ihre weitere Karriere gefährdet sein. Sollte sie einen Antrag auf Aufnahme in die Sportförderung der Bundeswehr stellen, würde er geprüft, sagte de Maizière. Es wäre also denkbar, dass Drygalla die für einen Amateursportler entscheidende staatliche Förderung versagt bliebe. Ihr Fall soll nun im Bundestags- Sportausschuss diskutiert werden, kündigte Vorsitzende Dagmar Freitag an.