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Abgang ohne Worte. Nadja Drygalla (2.v.l.) reiste am Freitag aus London ab, nachdem ihre Beziehung zu einem NPD-Politiker öffentlich geworden war.
© dpa
Update

Abgereiste Ruderin: Sollte Drygalla in Sportfördergruppe der Bundeswehr eintreten?

Dem Landessportbund Mecklenburg-Vorpommern war bekannt, dass die Ruderin Nadja Drygalla Kontakte in die Neonazi-Szene unterhielt – allerdings gab der Verband die Information nicht weiter. Laut einem Zeitungsbericht sollte sie demnächst in die Sportfördergruppe der Bundeswehr eintreten.

Siegfried Kaidel hatte lässig seinen Rucksack über die rechte Schulter gehängt. Mit der linken Hand umklammerte er einen Tragegurt, und je länger er am Ufer des Dorney Lake stand, umso verkrampfter wirkte sein Griff. Denn Der Fall der Achter-Ruderin Nadja Drygalla wird immer verworrener, die Tonlage bei der Auseinandersetzung schärfer, und Kaidel, der Präsident des Deutschen Ruderverbands (DRV), konnte am Samstag wenig zur Klärung der offenen Fragen beitragen.

Nun berichtet auch noch die "Bild am Sonntag", dass die Ruderin in die Sportfördergruppe der Bundeswehr eintreten sollte. Der Ruderverband habe einen entsprechenden Antrag zum 1. September gestellt, ihn wegen des Olympia-Skandals aber zurückgezogen, berichtet die Zeitung. „Der Antrag liegt auf Eis. Wir wurden über die Hintergründe vom Landesverband und dem Olympia-Stützpunkt nie informiert, haben davon erst Donnerstag erfahren“, sagte Mario Woldt, Sportdirektor des Deutschen Ruderverbandes der Zeitung.

Keidel teilte zusammengefasst am Samstag mit: Beim DRV gebe es keine Hinweise, dass Drygalla, liiert mit einem NPD-Politiker in Rostock, in der Nationalmannschaft „rechtsradikales Gedankengut geäußert“ habe.

Dass sie ihren Platz in der Sportfördergruppe der Polizei Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 2011 freiwillig verlassen hatte, allerdings aufgrund sehr nachdrücklichen Drängens der Polizeiführung, das „haben vielleicht Leistungssportverantwortliche gewusst“. Aber er, der Präsident nicht. Bedeutsamer ist: Wusste der DRV, dass Drygallas für den Polizeidienst problematische Beziehung Grund für das Ausscheiden war? Und: Wusste der Verband, was in Teilen der Nationalmannschaft bekannt war, von der Gesinnung ihres Freundes? Nein, wusste der Verband nicht, erwiderte Kaidel.

Nein? Da muss sich Hans Sennewald, Vorsitzender des Landesruderverbands Mecklenburg-Vorpommern, doch wundern. In seinem Verband war das alles längst bekannt. Und mit dem DRV habe es dazu „Gespräche am Rande gegeben“, sagte er. „Wenn der Deutsche Ruderverband jetzt von dem Thema überrascht worden ist, kann ich das nicht kommentieren.“ Sennewald gibt aber auch zu, dass er den DRV nicht über Drygallas Lebensgefährten informiert habe. Der Landessportbund (LSB) Mecklenburg-Vorpommerns hat nun in der Debatte ein „Kommunikationsproblem“ eingeräumt. Der LSB habe seit mehr als einem Jahr gewusst, „dass es Probleme gibt mit ihrem Freund“, sagte der Vorsitzende Wolfgang Remer. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sei nicht von Drygallas Kontakt zu Michael Fischer, Direktkandidat der NPD in Rostock zur Landtagswahl 2011, in Kenntnis gesetzt worden. „Auf die Idee sind wir gar nicht gekommen“, sagte Remer.

"Es ist völlig unvorstellbar, dass jemand aus einer Fördergruppe ausscheidet und niemand will etwas davon gewusst haben.“

Plätze in einer Sportfördergruppe werden auf Empfehlung eines Fachverbands besetzt. Wenn ein Athlet plötzlich aus einer Fördergruppe ausscheidet, erreicht diese Nachricht normalerweise über die offiziellen Kanäle den zuständigen Landes- und den Bundesverband. Der Platz muss schließlich nachbesetzt werden. Da der Platz in einer Fördergruppe sehr begehrt ist, liegt es nahe, dass ein Funktionär des Bundesverbands selbst nach dem Grund fragt. Wenn er davon wusste. Der Landessportbund ist jedenfalls nicht das einzige Tor durch das diese Information hätte herauskommen können.

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Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, erklärte zum Fall Drygalla im Deutschlandradio: „Wir haben ein Fördersystem, das eigentlich aufeinander abgestimmt sein sollte. Dazu gehören die Fördergruppen der Bundeswehr und der Landespolizei. Es ist völlig unvorstellbar, dass jemand aus einer solchen Fördergruppe ausscheidet und niemand will etwas davon gewusst haben.“ Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, in der Bundesregierung für den Sport zuständig, sagte dazu dem Tagesspiegel: „Dieser Fall schlägt in der Tat gerade sehr hohe Wellen. Jetzt müssen erst einmal der Sachverhalt und die Hintergründe aufgeklärt werden, bevor man sich voreilig äußert.“

Drygalla sollte zum 1. September in die Sportfördergruppe der Bundeswehr eintreten

Die Frage bleibt, wer wann von Drygallas problematischer Beziehung wusste. Der DOSB hatte offenbar vor der Nominierung nichts davon mitbekommen, weil ihn niemand informiert hatte. „Sofort als die erste Information aufkam, sind erste Schritte eingeleitet worden“, sagte DOSB-Präsident Thomas Bach und verteidigte seinen Verband und die deutsche Delegationsleitung in London: „Ich bin nicht nur verwundert, sondern erbost über Äußerungen aus der Politik in Deutschland, die sagen, dies sei bekannt gewesen. Warum hat man es uns dann nicht gesagt?“, sagte Bach. Petra Pau aus dem Fraktionsvorstand der Partei Die Linke hatte gesagt, Drygallas „strammer Hang ins Nazi-Milieu“ sei „nicht neu und nicht unbekannt“.

Video: Nadja Drygalla reist von Olympia ab

Von Sportfunktionären aus dem Ausland habe er noch keine Reaktion auf diesen Fall bekommen, sagte Bach, der auch Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees ist. Er bat darum, Drygalla als Einzelfall zu bewerten: „Jeder kennt die Haltung des DOSB in diesen Fragen. Es hat kein Athlet in unserer Olympiamannschaft verdient, in diese Angelegenheit hineingezogen zu werden.“

Drygalla hatte London nach einem Gespräch mit DOSB-Generaldirektor Michael Vesper, dem Chef de Mission der Olympiamannschaft, verlassen. „Am Ende dieses Gesprächs hat sie von sich aus diese Entscheidung getroffen, auch um die Mannschaft nicht zu belasten“, sagte Vesper. Dieser Entschluss sei in seinem Sinne gewesen. Ob der DOSB sie aus der Mannschaft ausgeschlossen hätte, wenn sie noch ein Rennen vor sich gehabt hätte, wollte Vesper nicht beantworten: „Das wäre Spekulation.“

Drygallas Freund seit Mai kein NPD-Mitglied mehr

Nach Darstellung von Nadja Drygalla ist der Freund der Olympia-Ruderin seit Mai dieses Jahres kein NPD-Mitglied mehr. Er soll sich laut Drygalla von der rechtsradikalen Szene losgesagt haben. Michael Fischer, früherer Direktkandidat der Partei, habe „persönlich mit dieser ganzen Sache gebrochen und sich verabschiedet“, sagte Drygalla am Sonntag in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa. Sie selbst distanzierte sich von rechtem Gedankengut. „Ich habe keine Verbindung in seinen Freundeskreis und diese Szene gehabt und lehne das absolut ab.“

Berichte, wonach sie auf Bildern bei einer Demonstration 2009 in Malchow zu sehen sein soll, wies Drygalla zurück: „Das bin ich nicht, das kann ich ganz klar sagen. Ich empfinde das als unfair und ungerechtfertigt.“ Zudem äüßerte Drygalla in dem Interview den Wunsch, ihre sportliche Karriere fortzusetzen. „Natürlich möchte ich mit dem Sport weitermachen“, sagte die 23-Jährige am Sonntag. „Ich wünsche mir, dass ich meine Pause in Ruhe beginne und dann Anfang September wieder anfangen kann.“ Nach den Sommerspielen in London solle es weitere Gespräche mit dem Deutschen Ruderverband geben.. (mit dapd/dpa)

Frank Bachner, Friedhard Teuffel

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