Verfassungsschutzpräsident a. D. Heinz Fromm: Rücktritt wegen NSU-Ermittlungspannen
Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm gibt auf. Seine Behörde hat bei der Fahndung nach dem NSU-Trio versagt, zudem wurden entscheidende Akten offenbar vorsätzlich vernichtet. Welche konkreten Fehler gab es?
Welche Fehler gab es?
Tusche, Tinte und Co sind Heinz Fromm zum Verhängnis geworden. Es sind die Decknamen für V-Leute des Verfassungsschutzes, die dem rechten Terror-Trio möglicherweise schon früh auf der Spur waren. Was sie aber für Erkenntnisse über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) hatten, ist schwer nachzuvollziehen, denn wichtige Akten wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nach Auffliegen der NSU geschreddert. Es ist eine weitere schwerwiegende Panne. Für Fromm wohl eine zu viel.
Was ist von der Aktenvernichtung bekannt?
Heinz Fromm hat in einem vertraulichen Bericht an das Bundesinnenministerium (BMI), der dem Tagesspiegel vorliegt, den Fall rekonstruiert. Konkret geht es um die „Operation Rennsteig“, die von 1996 bis 2003 lief und eine Aktion des BfV, der Landesbehörde für Verfassungsschutz Thüringen und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) war. Dabei sollten Hintergründe und Details zum „Thüringer Heimatschutz“ (THS) erkundet werden. Dieser Gruppe gehörte auch das Terror-Trio Zschäpe, Bönhardt und Mundlos bis zum Untertauchen 1998 an. Für diese Operation hatte der Verfassungsschutz insgesamt acht V-Leute angeworben. Ihre Tarnnamen begannen alle mit „T“: Treppe, Tobago, Tonfall, Tonfarbe, Tusche und Tinte. Zwei wurden in die Zuständigkeit der Landesbehörde übergeben: Terrier und Trapid. In seinem Bericht schreibt Fromm, dass die „nachrichtendienstliche Qualität der Informationen von nachrangiger Bedeutung“ gewesen seien. Die V-Leute seien nur in kurzen Zeiträumen geführt worden – wegen „schlechter Zugangslage“, „krimineller Aktivität“ und „persönlicher Unzuverlässigkeit“. Keiner habe eine Führungsfunktion beim THS gehabt, auch Zugänge zu NSU-Mitgliedern habe keiner erlangt. Die V-Leute seien ausschließlich „Randpersonen oder Mitläufer“ gewesen.
Video: Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm gibt auf
Was Tinte, Tusche und Co. aber tatsächlich an Informationen lieferten, ist schwer nachzuvollziehen – die entscheidenden Akten wurden vernichtet. Am 10. November 2011, wenige Tage nachdem das Trio aufgeflogen war, stellte die Leitung des Verfassungsschutzamtes einen schriftlichen Prüfantrag. Darin hieß es: „Was hat das BfV in den 1990er Jahren in diesem Fall für eine Rolle gespielt, welche Informationen lagen vor und welche Ermittlungen wurden von Seiten BfV durchgeführt, insbesondere nachdem die drei Personen flüchtig waren.“ Es schließt sich die Bitte nach einer „kritischen Durchsicht der Akten“ an. Ein Referatsleiter gab am 11. November, also genau einen Tag nach dem Eingang des Prüfauftrags, die Aktenvernichtung in Auftrag.
In einer dienstlichen Erklärung bestätigte der Beamte am 27. Juni 2012, dass die Akten auf seine Anordnung hin vernichtet wurden. Vor dem Auftrag habe er sich aber überzeugt, dass die Akten „keine Bezüge/Kontakte des BfV zum Trio/NSU aufwiesen“. Konkret wurden sieben Akten vernichtet: eine Werbungsakte zu Tinte sowie sechs Führungsakten zu Tusche, Tonfarbe, Treppe, Tobago, Tarif und Tacho. Gegen den Beamten wurde laut dem Bericht Fromms ein Disziplinarverfahren eingeleitet, außerdem wurde er von der Leitung der Abteilung „Forschung und Werbung“ entbunden und in das Referat „Berichtswesen“ umgesetzt. Fromm weist darauf hin, dass die vernichteten Akten „voraussichtlich nicht mehr in vollem Umfang rekonstruiert werden können“.
Welche weiteren Fehler werden dem Verfassungsschutz vorgeworfen?
Die Mitglieder des Bundestags-Untersuchungsausschusses bemühen sich nun, auch den Referatsleiter vorzuladen. Er soll nach dem Willen des Ausschuss-Vorsitzenden Sebastian Edathy (SPD) und SPD-Obfrau Eva Högl am Donnerstag aussagen – vor Fromm. „Noch ist das Motiv der Aktenvernichtung unklar, aber grob fahrlässig war es mindestens, und deshalb bin ich auch dafür, dass der Mitarbeiter, der die Vernichtung veranlasste, als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss gehört wird“, sagte Högl dem Tagesspiegel. Über das Motiv der Aktenvernichtung gibt der Bericht Fromms an das BMI in der Tat keine Auskunft.
Welche weiteren Fehler werden dem Verfassungsschutz vorgeworfen?
Ein zentraler Vorwurf, den vor allem die Opposition im Untersuchungsausschuss erhebt, ist die Zusammenlegung der Abteilungen Links- und Rechtsextremismus beim BfV. Diese „Aufgabenpriorisierung“ wurde 2006 vom Bundesinnenministerium, das damals von Wolfgang Schäuble (CDU) geleitet wurde, angeordnet. Dagegen wehrte sich Fromm im Juni 2006 in einem Brief an das BMI, der dem Tagesspiegel vorliegt. Dort heißt es: „Insbesondere steht einer Zusammenlegung der Abteilungen 2 (Rechtsextremismus) und 3 (Linksextremismus) zu einer gemeinsamen Abteilung ,Deutscher Extremismus’ die aktuelle Entwicklung im Beobachtungsbereich ,Rechtsextremismus’ entgegen.“ Und weiter: „Die jüngsten rechtsextremistischen/fremdenfeindlichen Übergriffe auf Ausländer ... zeigen die fortdauernde Notwendigkeit einer intensiven Bearbeitung dieses Bereichs.“ Es folgte ein intensiver Briefwechsel zwischen BMI und BfV, der zeigt, wie vehement das BMI darauf bestand, „Synergieeffekte“ zu nutzen und „Ressourcen“ zu sparen. Am Ende unterlag Fromm. Anfang 2012 wurde die Fusion rückgängig gemacht, weil der Fall NSU neue Vorzeichen setzte.
Clemens Binninger, Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss, sieht in der Fokussierung auf diese Fusion vor allem parteipolitisches Kalkül. Die Fusion sei „fachlich sicher falsch“ gewesen, „aber daraus jetzt ein parteipolitisches Manöver zu machen, führt in die Irre und wird der Aufgabe des Ausschusses nicht gerecht“, sagte er dem Tagesspiegel. Dem widerspricht Ausschuss-Vorsitzender Edathy. Der Ausschuss werde nicht instrumentalisiert, sondern arbeite „fraktionsübergreifend auf ein Ziel hin: Aufklärung, warum die Sicherheitsbehörden den Rechtsterroristen nicht auf die Spur gekommen sind“.
Christian Tretbar