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Angespannte Situation: Kanzlerin Angela Merkel und Agrarminister Christian Schmidt.
© imago/Xinhua

Glyphosat-Alleingang von Minister Schmidt: Rücktritt oder Entlassung – nur darum kann es noch gehen

Die Zustimmung zur Glyphosat-Zulassung ist ein Vertrauensbruch durch CSU-Minister Schmidt. Die Autorität der Kanzlerin ist bedroht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Was in diesen Wochen im Bundeskabinett los ist, das gibt’s auf keinem Schiff. Denn da gäbe es einen, der die Sache regelt. Und hier? Ist das Staatsschiff Deutschland auf Autopilot geschaltet.

Aber haben wir nicht noch eine Bundeskanzlerin?

Ja, und auch darum ist diese Glyphosat-Geschichte ungeheuerlich. Sie ist es unter allen Umständen, zunächst einmal aber unter diesen: Hier geht es um Grundsätzliches.

Der Artikel 65 des Grundgesetzes normiert die Gestaltungsprinzipien der Bundesregierung.

(1) Das Kanzlerprinzip: Es verleiht dem Bundeskanzler die Kompetenz, die Richtlinien der Politik zu bestimmen.

(2) Das Ressortprinzip: Es begründet die selbstständige und höchstmögliche Eigenverantwortung der Bundesminister im Rahmen ihrer Zuständigkeit. Die Minister haben die Organisationsgewalt für ihre Ressorts.

(3) Das Kollegialprinzip: Es bestimmt, dass alle wichtigen Fragen im gesamten Bundeskabinett entschieden werden. Nicht einer gegen den anderen.

Die Glyphosat-Sache war eine wichtige: Die Umweltministerin, SPD, stimmt dem Landwirtschaftsminister, CSU, nicht zu, will die Verwendung des umstrittenen Unkrautvernichters nicht verlängern. Und sie hat eine Mit-Federführung. Das bedeutet: Gibt es keinen Kompromiss, muss im Kabinett eine Entscheidung getroffen werden. Andernfalls hat sich der Landwirtschaftsminister bei der Abstimmung in der EU zu enthalten.

Hat er aber nicht – was ein Affront ist. Ein Koalitionsfall. Ein Vertrauensbruch. Ein Verstoß gegen das Kollegialprinzip. Einer gegen das Prinzip vom guten Regieren. Und einer gegen die guten Sitten.

Hat Altmaier koordiniert oder nicht?

Darum hatten SPD, FDP und Grüne recht, dringend Aufklärung zu verlangen, und zwar vollständige, wer wann was von dem geplanten Vorgehen wusste. Es ist, wie die FDP sagt: Die vorsätzliche Verletzung der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung stellt die Koalitionsfähigkeit als solche infrage. Die jetzige – und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt die zukünftige.

Darüber hilft auch nicht hinweg, dass der Landwirtschaftsminister sagt, er habe sich nicht mit der Bundeskanzlerin besprochen oder beraten. Das kann dann immer noch mit dem Chef des Bundeskanzleramts, dem Kanzleramtsminister, geschehen sein. Der ist schließlich von Amts wegen für die Koordination zuständig. Hat er nun koordiniert oder nicht? Wenn nicht – schlecht. Wenn doch – noch schlechter.

So gilt es auch für seine Chefin, die Bundeskanzlerin. Wenn sie nicht weiß, was ein Minister, noch dazu einer aus der Union, vorhat: schlecht. Dass er sich nicht mit ihr besprochen hat, macht es nicht besser. Ist es Ressortministern inzwischen egal, ob die Kanzlerin Bescheid weiß? Solches Verhalten und einen derartigen Eindruck darf sie unter keinen Umständen dulden. Rücktritt oder Entlassung – nur darum kann es dann im Grunde noch gehen.

Auch Gabriel hat schon gegen das Votum von Kollegen verstoßen

Unter normalen Umständen wäre übrigens auch schon ein Thema geworden, dass sich vor einigen Wochen ähnlich Alarmierendes zugetragen hat. Da nämlich überzog der Außenminister, SPD, den Finanzminister, CDU, öffentlich mit geharnischter Kritik; und griff der Außenminister, SPD, ohne Absprache oder Ankündigung mit einem Brief nach Brüssel in das Ressort der Umweltministerin, SPD, ein. Beides blieb ohne Konsequenz, sogar ohne ein Wort der Kanzlerin. Von einem Machtwort oder dem Gebrauch der Richtlinienkompetenz zu schweigen.

Mit Fug und Recht von einer „geschäftsführenden Bundesregierung“ zu sprechen, wird zunehmend schwierig. Von Führung keine Spur, und die Geschäftsbesorgung macht jeder so, wie er gerade will. Dass das inhaltlich im Kabinett Merkel III schon länger der Fall ist, mag man noch hinnehmen; weil man sich daran gewöhnt hat. Doch jetzt führt es zu weit; führte es doch, wenn das so weiterginge, zum Autoritätsverfall des Kanzleramts. Dafür sprechen schon einige Umstände.

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