Die Krise um Griechenland: Rückt die Einigung nahe?
Bei den Sparmaßnahmen bietet Griechenland fast alles, was die Gläubiger gefordert hatten. Rückt die Einigung jetzt nahe? Lesen Sie hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
Am Sonntag soll im Streit um die Griechenlandkrise endlich eine Lösung her. Athen hat seine finalen Vorschläge vorgelegt – und Brüssel reagiert angetan.
Was bietet Alexis Tsipras an?
Kurz gesagt: Bei den Sparmaßnahmen und Reformen fast alles, was die internationalen Gläubiger vor dem Referendum gefordert hatten. Dazu gehören auch bisher strittige Punkte wie Renten und Mehrwertsteuer. In Rente wird man in Griechenland zukünftig mit 67 Jahren gehen (oder nach 40 Jahren Arbeit mit 62 Jahren), die vielen Ausnahmen bei der Frühverrentung werden getilgt. Außerdem werden Rentner stärker an den Gesundheitskosten beteiligt werden. Syriza hatte sich bisher vor allem über die Kürzung der Zusatzrenten für die Armen aufgelehnt – aber auch hier gibt Tsipras nach. Hieß es bisher im griechischen Papier immer, die Maßnahmen würden „ersetzt“ steht dort nun „laufen aus“ – und zwar für die 20 oberen Prozent ab sofort. Diese Einschnitte in Griechenland zu verkaufen wird für Tsipras sehr schwierig. Die Mehrwertsteuer wird wie vereinbart auf 23 Prozent angehoben, unter den vergünstigten Satz von 13 Prozent fallen zwar Hotels aber – anders als von der Regierung gefordert – keine Restaurants. Auch eine rote Linie der konservativen Koalitionspartner „Unabhängige Griechen“ wurde gerissen. Bisher gab es auf Touristeninseln einen Rabatt von 30 Prozent auf die Mehrwertsteuer, dieser soll nun nur noch auf wenigen, weit vom Festland gelegenen Inseln gelten.
Die unpopuläre Immobiliensteuer, deren Abschaffung Tsipras versprochen hatte, wird mindestens bis 2016 weiter erhoben. Unternehmen und Selbständige müssen künftig Steuervorauszahlungen in Höhe von 100 Prozent für das Folgejahr leisten. Sollten die Haushaltsziele verfehlt werden, will die Regierung auch die Einkommensteuer erhöhen.
Gibt es überhaupt noch Differenzen?
Eigentlich nur noch bei der Kürzung bei den Verteidigungsausgaben: statt der geforderten 400 Millionen Euro für dieses Jahr bietet Athen 100 Millionen Euro und für das kommende weitere 200 Millionen Euro an. Dabei hatte Tsipras in seinem letzten – von den Gläubigern abgelehnten – Vorschlag knapp vor dem Referendum die 400 Millionen noch selbst für möglich erklärt. In diesem Punkt geht es Tsipras wohl vor allem wieder um den Koalitionspartner, deren Chef und Verteidigungsminister Panos Kammenos sträubt sich heftig gegen jede Streichung beim Militär. Nachdem die Inseln wegfallen, könnte ihm das Militär als Zugeständnis aber genügen. Auch beim Arbeitsmarkt will Syriza weiterhin Regelungen umsetzen, die zum Beispiel die Gewerkschaften wieder stärken – die Geldgeber lehnen das ab, verlangen bei jedem Gesetz Abstimmung mit der Troika. Eine neue Besoldungsordnung im öffentlichen Dienst soll allerdings leistungsorientierte Bezahlung ermöglichen – ebenfalls ein Entgegenkommen der Syriza-Regierung.
Welche Strategie verfolgt Tsipras?
Für die Akzeptanz zu Hause – schließlich haben die Griechen die Gläubiger-Vorschläge gerade mit großer Mehrheit abgelehnt – wird es vor allem entscheidend sein, was Tsipras als Gegenleistung bei den Gläubigern herausverhandeln wird.
Im Gegenzug zu den Reformen beantragt Athen ein dreijähriges Hilfsprogramm über 53,3 Milliarden Euro. Das dürfte nach Expertenschätzungen in etwa die Rückzahlungen an IWF und Europäische Zentralbank in diesem Jahre decken. Eine Rekapitalisierung der Banken oder ein Ausgleich des erwarteten Haushaltsdefizit wären demnach nicht enthalten. Der wichtigste Punkt für Syriza aber sind Schuldenerleichterungen – wie auch immer sie am Ende betitelt werden sollten: Umschuldung, Schuldenschnitt, Schuldenneustrukturierung. Die Staatsverschuldung Griechenlands liegt mittlerweile bei rund 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ursprünglich war Tsipras Vorgänger, dem konservativen Antonis Samaras, ein Schuldenschnitt bei 120 Prozent zugesagt worden. Zusätzlich ist mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon im Vorfeld ein mögliches Investitionspaket über 35 Milliarden Euro vereinbart worden. Das besteht vor allem aus Geldern aus Strukturfonds, die Griechenland eigentlich zustehen, die das Land aber wegen mangelnder Co-Finanzierung bisher nicht abrufen konnte.
Am Samstag wollen die Finanzminister der Eurogruppe über die griechischen Vorschläge beraten. Für Sonntag ist ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zu Griechenland geplant, an dem auch die Finanzminister teilnehmen sollen.
Steht das Parlament hinter Tsipras?
Das harte Spar- und Reformprogramm stellt das regierende Linksbündnis Syriza vor eine Zerreißprobe. Bereits bei der Debatte im Kabinett am Donnerstagabend gab es Widerspruch. Energieminister Panagiotis Lafazanis vom linksextremen Syriza-Flügel verweigerte ebenso seine Zustimmung wie Verteidigungsminister Panos Kammenos von den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“. Er sträubt sich gegen die geplanten Kürzungen der Rüstungsausgaben.
Kontrovers verlief auch eine gemeinsame Sitzung der Syriza-Parlamentsfraktion und des Politbüros am Freitagvormittag. Tsipras appellierte an seine Abgeordneten: „Entweder wir gehen gemeinsam voran oder wir treten gemeinsam ab.“ Am Freitagabend sollte das Parlament über das Programm beraten und der Regierung ein Mandat erteilen, auf Grundlage ihrer Vorschläge ein Abkommen mit den Gläubigern auszuhandeln. Erst später soll das Parlament über das Maßnahmenpaket selbst abstimmen.
Beobachter rechneten mit einer langen Nachtsitzung. Mit Spannung wurde erwartet, wie der linksextreme Syriza-Flügel abstimmt. Eine Mehrheit für die Vollmacht gilt zwar als sicher, weil auch einige Oppositionsparteien mit Ja stimmen wollen. So hatten sich die Parteiführungen der Liberalen (To Potami), Konservativen (Nea Dimokratia) und Sozialdemokraten (Pasok) gegenüber den Gläubigernbereits bereit erklärt, einen möglichen Kompromiss mitzutragen. Für Tsipras wäre es aber ein Problem, wenn er bei der Abstimmung über das Verhandlungsmandat seine absolute Mehrheit verliert. Die von Tsipras geführte Links-Rechts-Koalition verfügt über 161 der 300 Sitze im Parlament.
Wie sind die Reaktionen in Deutschland?
In der großen Koalition zeichnet sich Uneinigkeit über die neuen Reform- und Sparvorschläge der griechischen Regierung ab. Während die SPD sich am Freitag vorsichtig zuversichtlich zeigte, kamen aus der Union vor allem kritische Stimmen. Sollten die Euro-Staaten und Griechenland sich auf ein drittes Hilfspaket einigen, könnte der Bundestag womöglich schon in der kommenden Woche die beiden dafür nötigen Abstimmungen absolvieren. Die „so genannten“ Reformpläne seien „nicht überzeugend“, sagte beispielsweise Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Auch der CDU-Abgeordnete Ralph Brinkhaus, Unionsfraktionsvize, reagierte skeptisch. „Die Frage ist, wie glaubwürdig ist das, was diese Regierung jetzt vorträgt“, sagte Brinkhaus im ZDF. „Am Sonntag hat sie noch eine Kampagne geführt, wo sie all das, was da jetzt wohl vorlegt worden ist, verdammt hat.“ Die SPD reagierte mit vorsichtigem Optimismus. „Das ist schlüssig, deswegen muss man sehr ernsthaft mit ihnen verhandeln“, sagte SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider.
Kommt es zu einer Einigung auf ein drittes Hilfspaket, könnte der Bundestag womöglich schon in der kommenden Woche darüber abstimmen. Das mögliche dritte Hilfsprogramm für Griechenland soll aus dem ständigen Euro-Rettungsfonds ESM finanziert werden. Dafür ist die Einbindung des Bundestags nötig – für das Mandat und den finalen Beschluss.