Wladimir Putin und Syrien: Röttgen: "Träumereien in Deutschland brutal entlarvt"
Die ersten russischen Luftangriffe auf Syrien rufen massive Zweifel an den Zielen Putins hervor. Außenexperte Norbert Röttgen (CDU) warnt vor westlichem "Wunschdenken".
Noch Anfang der Woche hat Russlands Präsident Wladimir Putin in New York für den Kampf gegen den IS in Syrien geworben. Doch die ersten russischen Luftangriffe galten Städte und Dörfer, die nicht von den Islamisten, sondern von anderen Gegnern des Regimes von Baschar al-Assad kontrolliert werden.
Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, sagt dazu dem Tagesspiegel: Seit Mittwoch seien "manche Träumereien in Deutschland brutal entlarvt worden". Es gebe "ein Wunschdenken bei uns", beziehungsweise sei es ein "Fehler westlicher und deutscher Politik, Putin immer wieder westliches Denken zu unterstellen". Vor einigen Tagen zum Beispiel hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel angeregt, gegen Russland im Rahmen des Ukraine-Konflikts verhängte Sanktionen jetzt zu Gunsten einer Zusammenarbeit in Syrien zu überdenken.
Russland, ist Röttgen überzeugt, verfolgt in Syrien nach wie vor seine ganz eigenen machtpolitischen Ziele. Ähnlich sieht es Petra Becker, Syrien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Wladimir Putin gehe es vorrangig darum, die Stellung von Machthaber Assad zu stärken. Über die Städte Rastan, Talbiseh und Zaafarani, die am Mittwoch Ziel russischer Angriffe waren, sagt Petra Becker: "Keiner dieser Orte liegt im Einflussgebiet des IS." Bewohner Talbisehs hätten ihr in Telefonaten zudem versichert, "dass nur Wohnblocks angegriffen wurden, keine militärischen Stellungen".
Das russische Verteidigungsministerium hatte erklärt, es sei ausschließlich die Terrormiliz IS attackiert worden. Auch Putin selbst widerspricht und hält Berichte über getötete Zivilisten für feindliche Propaganda. „Die ersten Informationen darüber waren schon aufgekommen, bevor unsere Kampfflieger in den Himmel gestiegen waren“, sagte Putin vor dem russischen Menschenrechtsrat in Moskau am Donnerstag. Er sprach von „Informations-Attacken“. Auch Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian hat Zweifel an den Zielen Russlands geäußert.
"Russland ist Problem- und Machtfaktor"
Im Blick auf das weitere Vorgehen in Syrien hält Röttgen die Einrichtung humanitärer Schutzzonen derzeit für das "Maximum" des Möglichen. Er denkt dabei vor allem an das Grenzgebiet zur Türkei im Norden, kann aber auch Überlegungen für eine Schutzzone im Süden an der Grenze zu Jordanien nachvollziehen.
Russland sieht er als "Problemfaktor", aber auch als "Machtfaktor wie Iran oder Saudi-Arabien". Moskau gehe es "nicht unbedingt um Assad", sondern "um den eigenen Einflussbereich und einen Zugang zum Mittelmeer". Zudem wolle Moskau "den Westen zwingen, auf Augenhöhe mitzuverhandeln und als Teil der Lösung akzeptiert zu werden". Darüber müsse man sich im Klaren sein, wenn man über Schutzzonen für die syrische Bevölkerung nachdenke.
In jedem Fall haben die russischen Luftschläge die Lage massiv verschärft. Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich nennt sie "brandgefährlich". Angesichts saudischer Drohungen, von Riad unterstützte Rebellen nun noch massiver aufzurüsten, fürchtet er, "dass die Situation militärisch weiter eskaliert". Röttgens Parteifreund und Unions-Fraktionsvize Franz-Josef Jung hofft kurzfristig auf eine "bessere Kontrolle der Lage durch eine engere Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washington". Zudem sollte Deutschland weiter Peschmerga-Kämpfer im Irak ausbilden, die den Kampf gegen den IS "auf dem Boden" führen.
Westen muss Russland klare Grenzen signalisieren
Der Westen sollte Russland jetzt aber auch "klar signalisieren: Das geht gar nicht!", fordert Petra Becker. Sie schlägt beispielsweise die Errichtung einer Flugverbotszone im Süden Syriens vor. Gerade dort hätten die Terroristen des IS bisher nicht Fuß gefasst.
Nach Informationen von Al-Jazeera sollen an diesem Donnerstag russische Kampfflugzeuge in Syrien die Stadt Kafranbel bombardiert haben: "Das ist die Hochburg der demokratischen Revolution", sagt Becker. "Der Ort in der Provinz Idlib, der dem Regime der größte Dorn im Auge ist, weil es dort die stärkste Zivilgesellschaft gibt. Die Bürger dort haben ISIS vor Monaten eigenhändig vertrieben."
Eine weitere Gefahr, die Becker sieht: Ein Stillschweigen gegenüber Russland würden die Syrer als Zustimmung des Westens und Unterstützung für Assad werten.