zum Hauptinhalt
Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck und Grünen-Parteichef Cem Özdemir
© Marcus Brandt/dpa

Grünen-Spitzenkandidatur: Robert Habecks Reise ins Ungewisse

Der Grünen-Politiker Robert Habeck will seine Partei als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2017 führen. Mit seiner frühzeitigen Bewerbung bringt der charismatische Umweltminister aus Schleswig-Holstein auch das Machtgefüge der Grünen im Bund durcheinander.

Für den Grünen-Politiker Robert Habeck ist es eine „Reise ins Ungewisse“. Der Umweltminister und stellvertretende Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein will seine Partei als einer von zwei Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl 2017 führen. Am Dienstag hat er nach längeren Spekulationen seine Bereitschaft zur Kandidatur bei einer Urwahl erklärt. Sein offener Umgang mit dieser für die Partei wichtigen Personalfrage habe sicher viele überrascht und einigen auch Scherereien verursacht, gesteht der 45-jährige. Doch er habe nicht „auf den rechten Zeitpunkt“ warten wollen.

Habeck gilt seit Jahren als Talent bei den Grünen

Seit Längerem gilt Habeck bei den Grünen als politisches Talent, der auch für einen Posten auf Bundesebene in Frage käme. Der promovierte Philosoph, der vor seinem Wechsel in die Politik gemeinsam mit seiner Frau Romane schrieb, debattiert gerne über das große Ganze. Tabubrüche scheut er dabei nicht: So war er einer der ersten, der versuchte, die Begriffe „Heimat“ und „Patriotismus“ für die Grünen zu besetzen. Seinen Hang zum Unkonventionellen schätzen viele in der Partei, auch wenn ihn das manchmal unberechenbar macht. Bisher wollte der gebürtige Lübecker lieber in seiner Heimat bleiben, nicht zuletzt wegen seiner Kinder. 2008 lehnte er auch mit Verweis auf sein Familienleben ab, Parteichef zu werden. Doch mittlerweile sind seine vier Söhne dem Kleinkindalter längst entwachsen, so dass sich sein Blick nun wieder gen Berlin richtet.

Nicht alle in der Partei sind über Habecks Kandidatur glücklich

Dass mehr als zwei Jahre vor der Bundestagswahl das Rennen um die Spitzenkandidatur eröffnet wurde, passt nicht jedem in der Partei. Denn mit seiner Bewerbung bringt Habeck auch das Machtgefüge bei den Grünen durcheinander. Cem Özdemir, seit fast sieben Jahren Parteichef, würde 2017 ebenfalls gerne Spitzenkandidat werden. Lange stand Özdemir im Schatten anderer Realos, 2013 überließ er dem Linken-Frontmann Jürgen Trittin das Feld, weil er sich gegen ihn keine Chance ausrechnete. Trotz des desaströsen Grünen-Ergebnisses bei der Bundestagswahl konnte Özdemir sich an der Spitze halten. Seitdem arbeitet er an seiner Profilierung, in der Außenpolitik ebenso wie bei Wirtschaftsthemen. Özdemir setzte bisher darauf, dass er im grünen Führungsquartett – bestehend aus seiner Co-Vorsitzenden Simone Peter, sowie den beiden Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter – das bekannteste Gesicht ist.

Deutlich gelassener dürfte Katrin Göring-Eckardt auf Habecks Bewerbung reagieren. Sollten die Grünen erneut ihr Spitzenduo in einer Urwahl bestimmen – und derzeit sieht alles danach aus – dann gilt die Thüringerin als aussichtsreichste Kandidatin für den Frauen-Platz. Im letzten Wahlkampf setzte sie stark auf soziale Gerechtigkeit. Jemand wie Habeck, der als Landesminister die Energiewende voranbringt und sich für Naturschutz einsetzt, kann ihr da nur Recht kommen. Schließlich haben die Grünen nach der letzten Wahl beschlossen, sich wieder stärker auf ihren Markenkern, die Ökofrage, zu besinnen.

Parteifreunde attestieren Habeck "Popstarqualitäten"

Über Glaubwürdigkeit bei Ökothemen verfügt auch Fraktionschef Hofreiter. Aus dem linken Flügel wächst der Druck auf ihn, sich als Spitzenkandidat zu bewerben, um das Feld nicht den Realos zu überlassen. Doch ob Hofreiter Wahlkampf könnte, daran gibt es in der Partei Zweifel. Habeck hingegen hat zumindest auf Landesebene bewiesen, dass er Menschen begeistern kann, manch einer spricht von „Popstarqualitäten“. Er ist jemand, der schon mal spontan von der Parteitagsbühne in die Menge springt, so wie im Landtagswahlkampf 2012.

Der Grünen-Politiker hat einen rasanten Aufstieg in der Partei hinter sich

Habeck hat in den letzten Jahren aber auch gezeigt, dass er die politische Kärrnerarbeit beherrscht. Als er 2004 - nach nur drei Jahren Mitgliedschaft bei den Grünen - Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein wurde, war die Partei in einem desolaten Zustand. Gemeinsam mit dem jetzigen Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und einigen Mitstreitern sorgte Habeck dafür, dass die Grünen im Norden sich programmatisch neu aufstellten. 2009 wurde er Fraktionschef im Landtag. Der Wahlkampf 2012 schließlich war ganz auf ihn zugeschnitten: Trotz des Aufkommens der Piraten erreichten die Grünen unter Habecks Führung mit gut 13 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis in Schleswig-Holstein. In der Koalition mit der SPD und dem Südschleswigschen Wählerverband übernahm Habeck im Juni 2012 das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt und wurde stellvertretender Ministerpräsident unter dem SPD-Politiker Torsten Albig.

Für seinen Landesverband ist es keine ganz unkomplizierte Situation, dass Habeck nun bundespolitische Ambitionen zeigt. Schließlich wird 2017 auch in Schleswig-Holstein wieder gewählt, als prominentes Zugpferd wäre Habeck nicht leicht zu ersetzen. Nachdem in den vergangenen Tagen immer wieder über eine mögliche Kandidatur bei der Urwahl spekuliert worden war, wuchs deshalb auch im Landesverband der Druck auf Habeck, sich zu seinen Zukunftsplänen zu erklären. Auf einem Landesparteitag am Wochenende in Lübeck will er seine Motivation noch einmal erläutern.

Der Ausgang einer Urwahl gilt als offen

Welche Chancen Habeck am Ende in einer Urwahl hätte, gilt als offen. Denn hier stimmt die grüne Basis ab und nicht nur die Funktionäre, die sich auf Parteitagen tummeln. Sollte die Partei sich für eine Urwahl der Spitzenkandidaten entscheiden, wäre es voraussichtlich 2016 so weit. Noch steht nicht fest, wer alles kandidieren wird. Auch Habeck lässt sich eine Hintertür offen. Er gehe davon aus, dass er sich 2016 bewerben werde, "wenn die Lage in Kiel oder Berlin ungefähr der heutigen entspricht", kündigt er an.

Mit seiner Kandidatur kann Habeck womöglich diejenigen in der Partei ansprechen, die das aktuelle Führungsquartett in Berlin für langweilig und glücklos halten. Habeck selbst betonte in seinem Schreiben an den Landesverband, dass sich die Ankündigung seiner Bewerbung "gegen niemanden" richte, es gehe ihm "überhaupt nicht um Kritik". Doch zugleich macht er deutlich, dass ihm das derzeitige Erscheinungsbild der Grünen nicht wirklich gefällt. "Mir geht es darum, dass wir wieder die großen Fragen stellen und die großen Bögen spannen", schreibt Habeck an die Grünen-Mitglieder. Die "grassierende politische Entmündigung, das Um-den-heißen-Brei herumreden, das Einnisten im Vagen" der Regierung Merkel müssten die Grünen "auskontern". Habeck wirbt für einen weniger überheblichen Politikstil bei den Grünen: Die Partei solle nicht „von der moralischen Kanzel der Gutmenschen“ herab argumentieren, sondern Politik machen „mit ein bisschen Rock’n’Roll“, fordert Habeck. Zuletzt war es Joschka Fischer, der für sich beanspruchte, "der letzte Live-Rock'n'Roller der deutschen Politik" gewesen zu sein. Dass auch Habeck eine Kämpfernatur ist, zeigt er mit seiner Bewerbung, die für ihn nicht ohne Risiko ist. Einer grüner Wegbegleiter kommentiert: "An politischer Rauflust fehlt es ihm nicht."

Zur Startseite