Streit um Sanktionen: Risse in der Front gegen Russland
Die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zweifelt am Nutzen der im März beschlossenen Sanktionen gegen Moskau – Bundeskanzlerin Angela Merkel hält dagegen daran fest.
Die Sanktionen gegen Russland sollen nach dem Willen der Bundesregierung vorerst nicht gelockert werden. „Es gibt im Augenblick keinen Grund, sie aufzuheben“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Arbeitgebertag in Berlin. Sie forderte Russland auf, stärker auf die Separatisten in der Ostukraine einzuwirken, die dort am Wochenende eigenmächtig Wahlen abgehalten hatten. „Russland bringt sich noch nicht so ein, wie wir das wünschen“, sagte Merkel. Am Vortag hatte ihr Sprecher neue Sanktionen gegen Moskau in der Ukraine-Krise nicht ausgeschlossen, falls sich die Lage in der Ostukraine verschärfe.
Ganz anders klang dagegen das, was die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zu sagen hatte: Sie äußerte Zweifel am Nutzen der Sanktionen. Diese wirkten zwar auf die russische Wirtschaft und würden von der russischen Führung und ihrem Umfeld gespürt, sagte Mogherini im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ und anderen europäischen Zeitungen. „Aber die offene Frage ist immer noch, ob Moskau seine Politik deshalb ändern wird.“ In der Sprache der Diplomatie lässt sich das als Distanzierung vom bisherigen Kurs der EU in der Russland-Politik lesen.
Die 28 EU-Staaten hatten sich im März auf Sanktionen verständigt und diese später mehrfach erweitert. Zu den Strafmaßnahmen zählen Einreiseverbote und Kontensperrungen, von denen neben russischen Abgeordneten auch Politiker von der von Russland annektierten Krim betroffen sind. Außerdem schnitt die EU russische Ölkonzerne und Banken weitgehend vom europäischen Kapitalmarkt ab. Die Strafmaßnahmen gegen Russland stehen beim Treffen der EU-Außenminister am 17. November wieder auf der Tagesordnung. Eine Aufhebung der Sanktionen wird es nicht geben, diese müsste einstimmig beschlossen werden. Und nicht nur die Kanzlerin, auch andere Regierungschefs können sich einen solchen Schritt angesichts fehlender Fortschritte im Ukraine-Konflikt nicht vorstellen.
Die EU ist sich in Bezug auf die Sanktionen längst nicht mehr einig
Einig ist die EU in der Sanktionspolitik aber längst nicht mehr. Österreich schloss am Dienstag weitere Strafmaßnahmen gegen Russland aus und stellte sich damit gegen die Position der Bundesregierung: Es gebe „derzeit keine Diskussion über neue Sanktionen“, sagte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. Auch Finnland hatte bei der letzten Verschärfung der Sanktionen Bedenken angemeldet. Ungarn setzt derweil auf engere Kontakte zu Russland und treibt die South Stream Pipeline weiter voran.
Trotz der Sanktionen reisten Mitte Oktober die Chefs ausländischer Großkonzerne zu Gesprächen mit der russischen Regierung nach Moskau. Einmal im Jahr trifft Ministerpräsident Dmitri Medwedew gemeinsam mit seinem Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew ausländische Investoren, um sich deren „Sorgen anzuhören“. 29 Firmenchefs waren angereist, darunter „viele aus den USA“, wie einer der Teilnehmer berichtet. Kurios sei gewesen, dass weder die Investoren noch die russische Regierungsseite „den Elefanten im Raum, nämlich die Ukraine-Krise“ angesprochen hätten. Allerdings habe Uljukajew offen darüber gesprochen, wie sich die Sanktionen und der sinkende Ölpreis auswirkten. Demnach leidet Russland vor allem unter dem niedrigen Ölpreis, der gleichzeitig zu einer Entwertung des Rubels führe. Die Pensionen könnten zwar ausgezahlt werden, aber die Empfänger könnten sich kaum noch etwas für ihr Geld leisten. Zugleich machen es die Rubel-Schwäche und die Sanktionen für Russlands Energiekonzerne schwer, in neue Fördergebiete zu investieren. Am Ende der Sitzung gab es ein Gruppenfoto der Unternehmenslenker. Medwedew habe sich dazugestellt und gescherzt: „Sie haben nichts dagegen, wenn ich dieses Foto an Ihre Regierungen schicke, oder?“