Flüchtlinge in Deutschland: Richtet sich "Plan A2" von Julia Klöckner gegen Angela Merkel?
Julia Klöckner hat ein Konzept vorgelegt, mit dem sie die Flüchtlingszahlen reduzieren will. Die Reaktionen darauf sind gespalten. Fraglich bleibt, wie realistisch ihr Plan ist.
A2 war bisher bloß der Name einer meistens ziemlich vollgestopften Autobahn. Doch seit dem Wochenende steht das Kürzel für den jüngsten Versuch, eine ganz andere als die Blechkarawane zu kanalisieren: Mit „Plan A2“ sucht CDU- Vize Julia Klöckner Entlastung vom Flüchtlingszustrom und zugleich für ihren Wahlkampf in Rheinland-Pfalz. In der CDU stößt der Vorschlag der Mainzer Spitzenkandidatin auf breite Zustimmung, selbst die CSU gewinnt ihm Gutes ab, während ihn SPD, Grüne und Linke harsch ablehnen: Da werde, so der Tenor der Kritiker, bloß saurer alter Wein mit neuem Etikett präsentiert, der nach dem Superwahltag in drei Bundesländern am 13. März gleich wieder in der Kellerecke landen werde.
Mit den Vorschlägen würden keine Probleme gelöst, sagt etwa Grünen-Chef Cem Özdemir. Sie orientierten sich nur daran, Schlagzeilen zu erzeugen. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel bezeichnete den Plan als „Wahlkampf-Aktion“ . Klöckner wolle ihre Ideen von Obergrenzen hinter tagesaktuellen Flüchtlingskontingenten verstecken.
Ist „Plan A2“ ein Anti-Merkel-Plan?
SPD-Vize Ralf Stegner deutet das Papier genau so, Klöckner widerspricht: Der europäische Weg der Kanzlerin bleibe richtig und sei auch keineswegs gescheitert – der neue Vorschlag ziele nur auf eine nationale Ergänzungsstrategie. Das ist hübsch gesagt, aber nicht ganz korrekt. Schließlich schreibt die Rheinland-Pfälzerin selbst in ihrem zweiseitigen Papier, dass die europäischen Lösungsansätze „stocken“, die Entlastung Deutschlands aber „schneller“ kommen müsse und nicht vom Willen oder Unwillen aller Europäer abhängig sein dürfe.
Mit anderen Worten heißt das so viel wie: Merkels Idealplan A mag ja irgendwann mal funktionieren – für mich kommt er zu spät. Klöckners Plan ist keine Ergänzung und kein „zweigleisiges Vorgehen“, sondern wirkt wie eine nationale Alternativstrategie. Allerdings ist er so raffiniert angelegt, dass er Klöckner erlaubt, sich weiter als Merkel-Unterstützerin zu präsentieren, den Kritikern entgegenkommt und zugleich Merkel erlauben soll, das Gesicht zu wahren.
Wie soll „Plan A2“ funktionieren?
Teil eins des Vorschlags ist ein verändertes Registrierungssystem. Es bezieht die Pläne von EU und Kanzlerin etwa für Hotspots in Griechenland und Athen ebenso ein wie die Zusammenarbeit mit der Türkei. Allerdings sollen diese Zentren nicht gesamteuropäisch, sondern bilateral aufgebaut werden – eine Art Mini-Koalition der Willigen, bestehend aus der Bundesregierung und den Regierungen in Athen, Rom und Ankara. Wenn sich später andere Regierungen oder die ganze EU daran beteiligen wollten – bitteschön, sagt Klöckner.
Hinzukommen soll ein Punktesystem für Wohlverhalten: Wer sich schon in der Türkei für ein deutsches Flüchtlingskontingent registrieren lässt, soll größere Chancen erhalten als Mittelmeer-Überquerer oder gar Flüchtlinge, die sich erst an der deutsch-österreichischen Grenze bei den Behörden melden. Dort, im bayerischen Grenzgebiet, lebt in dem Papier ein alter CSU-Vorschlag neu auf: die „Transitzonen“. Da und nur da sollen nach Klöckners Plan Flüchtlinge registriert und weiterverteilt werden; wer über die Grüne Grenze einreist, soll in die Erstaufnahmeeinrichtungen gebracht werden.
Teil zwei des Plans sind „flexible Kontingente“. Dahinter stecken tagesaktuelle Mini-Obergrenzen. Denn Klöckner fordert, die Aufnahme von Flüchtlingen nicht davon abhängig zu machen, wie viele kommen wollen, sondern davon, wie viele die Gemeinden zu nehmen bereit sind. Über das Jahr hinweg würden sich diese Kontingente zu einer Gesamt-Obergrenze summieren – nur im Nachhinein und nicht, wie es die CSU fordert, mit starrer Planzahl vorweg.
Wo sind die Haken an „Plan A2?“
Der dickste Haken ist ein politischer: Die SPD hat schon harsch abgelehnt, Parteichef Sigmar Gabriel versichert, so etwas werde niemals zum Regierungshandeln in der großen Koalition. Folgerichtig stuft auch Regierungssprecher Steffen Seibert das Projekt zurückhaltend als „eigenständige Initiative“ aus der Partei ein. „Einiges, was sie vorschlägt, sind Elemente, die wir kennen, einiges ergänzt die Politik der Bundesregierung, einiges überlappt sich damit“, sagt er.
Aber auch praktisch hat der Plan seine Schwachstellen und lässt Fragen offen. So bleibt unklar, was mit Flüchtlingen geschehen soll, die nicht mehr in die „flexiblen Kontingente“ passen. Unklar ist zum Beispiel, ob sie in den Aufnahmezentren warten sollen, bis wieder Plätze frei werden und wie diese Zentren dann werden müssten. So wenig wie die anderen Anhänger nationaler Aufnahmegrenzen kann Klöckner auch sagen, wie sie verhindern will, dass sich in Griechenland und Italien ein gewaltiger Rückstau sammelt. Ein gestuftes System von Registrierungszentren, das gibt Klöckner selbst zu, kann schließlich allenfalls „mittelfristig“ funktionieren. Solange es nicht gelingt, die Türkei als Grenzwächter Europas zu gewinnen und zugleich die Sicherung der EU-Außengrenzen zu verbessern, ist kein Ende des Zustroms in Sicht.
Auch Merkels Kritiker geben das letztlich zu. An diesem Punkt beißen sich alle Pläne A, A2 und B wie die sprichwörtliche Katze in den Schwanz: Ohne Grenzsicherung gibt es kein Ende des Zustroms – aber ohne die Zusage, dass Europa ihr nennenswerte Flüchtlingszahlen abnimmt, ist die Türkei nicht bereit, die Ägäis-Fluchtroute zu versperren. Auch türkische Herzensanliegen wie die Visafreiheit mit der EU sind logischerweise nur gesamteuropäisch umsetzbar.
Wie viel der Ideen steckt schon in den Asylpaketen der Bundesregierung?
Manches sind alte Bekannte. Dass Flüchtlinge ohne realistische Bleibeperspektive in „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ bleiben sollen, bis ihr Verfahren rechtsgültig abgeschlossen ist, ist zum Beispiel Teil des Asylpakets II. Das geht auf einen Kompromiss der drei Parteichefs der Koalition zurück, wartet allerdings immer noch auf seine Umsetzung. Zuletzt hing die noch daran, dass die SPD verhindern will, dass der Familiennachzug für Syrer auf zwei Jahre befristet ausgesetzt wird.
Die beiden ersten dieser Zentren in Manching bei Ingolstadt und in Bamberg sind inzwischen längst eingerichtet und arbeiten. Denn eigentlich hatten sich die Länder-Innenminister schon lange vor der Koalition darauf verständigt, dass man Menschen ohne Bleibeperspektive konzentriert unterbringen will. Das Asylpaket II soll eine Residenzpflicht im jeweiligen Landkreis hinzufügen. In Manching wie in Bamberg leben derzeit jeweils rund 1000 Asylbewerber. Allerdings kommen fast keine Asylsuchenden aus Balkanstaaten mehr, für die die Zentren gedacht waren.
Finden die CSU und ihr Chef Horst Seehofer sich in Klöckners Plan wieder?
Jein. Einerseits stellte auch Seehofer am Montag am Rande einer CSU-Vorstandssitzung heraus, dass sich in dem Papier viele CSU-Forderungen in anderem Gewand wiederfänden. Es gebe da immer wieder „neue Wortschöpfungen“ für Dinge, die Bayern und die CSU seit Monaten forderten. Insofern sei auch Klöckners Papier eine „Ergänzung zur Politik der Kanzlerin“.
Aber der CSU-Chef hat offenbar nicht vor, seine Attacken auf Berlin jetzt einzustellen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer attackierte Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier (CDU), nachdem der Kanzleramtschef eine Obergrenze für neue Flüchtlinge abgelehnt hatte. „Wir möchten aus dem Kanzleramt endlich realistische Lösungen hören und nicht inhaltslose Dauerappelle“, warnte Scheuer. „Vom Koordinator der Flüchtlingspolitik hätte man erwartet, dass er sich mittlerweile in die Realität eingearbeitet hat.Auch Horst Seehofer drängt: „Die Wende muss in den nächsten Wochen, Monaten kommen. Wir werden nicht lockerlassen.“ Am Dienstag will er einen Brief nach Berlin abschicken, in dem Bayern unter Berufung auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Udo di Fabio vom Bund die Sicherung der Grenzen verlangen will. Auch die Drohung mit einer Verfassungsklage bleibt bestehen.
Trotzdem – auch andere CSU-Politiker wie Innenminister Joachim Herrmann würdigen Klöckners Vorstoß. „Das ist jetzt schon ein ganz wichtiger Fortschritt“, sagt Herrmann. CSU-Vize Manfred Weber sagte, die Vorschläge gingen in die „richtige Richtung“ und würden von der CSU mit einer „Grundsympathie“ begleitet. Der Plan greife den Ansatz der CSU auf, dem zufolge „europäische Lösungen und nationale Maßnahmen zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen“ keine Gegensätze seien, sondern „Hand in Hand“ miteinander gehen müssten, sagte Weber weiter.
Aber auch die CDU lobt „Plan A2“. Generalsekretär Peter Tauber begrüßte ihn, kaum dass der das Licht der Öffentlichkeit erblickt hatte, als Beitrag zur Anpassung nationaler Strukturen. Andere folgten, am Ende des Wochenendes war die zentrale Botschaft: Union begrüßt einhellig Klöckners Vorschlag. Zur inneren Befriedung taugen die zwei Seiten also schon einmal. Für die Wahlkämpfer in Mainz, Stuttgart und Magdeburg ist das keine Kleinigkeit. Der bittere Streit im eigenen Lager über Merkels Flüchtlingspolitik dürfte schließlich dazu beigetragen haben, dass die Umfragewerte für die CDU sinken und die der Alternative für Deutschland scheinbar unaufhaltsam steigen.