zum Hauptinhalt
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam gesteht „Unzulänglichkeiten der Regierung“ ein.
©  Kin Cheung/p-a/dpa

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam: Reumütig, aber nicht resigniert

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam entschuldigt sich erneut – zurücktreten will sie nicht.

Die zwei Boxen mit Taschentüchern unterhalb des Rednerpults deuteten darauf hin, was von der Pressekonferenz der Hongkonger Verwaltungschefin Carrie Lam zu erwarten war:  eine Entschuldigung mit möglicherweise noch mehr Tränen als bei ihrer vorhergehenden Pressekonferenz. Offen hingegen war die Frage: Wird sie auch zurücktreten? „Ich kann das besser machen“, sagte Carrie Lam dann auch und bot der Stadt ihre „aufrichtigste Entschuldigung“ an. Tränen flossen jedoch nicht, und auch einen Rücktritt, den zuvor Millionen Menschen auf Hongkongs Straße gefordert hatten, lehnte sie ab. „Sie hat sich noch nicht einmal verbeugt“, kritisierte Alvin Yeung Ngok-kiu von der prodemokratischen Civic Party, „wie kann das ehrlich sein?“

Allerdings klang die pekingtreue Stadtchefin so reumütig wie selten. „Ich habe euch laut und deutlich gehört und habe sehr intensiv über alles nachgedacht, was geschehen ist“, sagte Carrie Lam, „die Sorgen der letzten Monate sind durch die Unzulänglichkeiten der Hongkonger Regierung verursacht worden.“ Bereits am Samstag hatte die Regierungschefin das umstrittene Auslieferungsgesetz auf unbestimmte Zeit verschoben. Dennoch waren am Sonntag erneut bis zu zwei Millionen Menschen in der Stadt mit rund 7,5 Millionen Einwohnern friedlich auf die Straße gegangen.

Neben dem Rücktritt der Regierungschefin forderten sie eine endgültige Aufgabe des Auslieferungsgesetzes, das es Hongkong ermöglichen könnte, Regimekritiker an das Justizsystem der Volksrepublik China auszuliefern. Ihnen könnten dort Folter und Unrechtsurteile drohen.

Chinas politischer Einfluss ist zuletzt stark gestiegen

Hongkong hingegen besitzt seit der Rückgabe an China 1997 nach dem Prinzip „ein Land, zwei Systeme“ für 50 Jahre besondere Freiheitsrechte. In den vergangenen Jahren aber ist der politische Einfluss Chinas auf die Stadt stark gestiegen.

Vor Lams Pressekonferenz hatte Hongkongs Polizeichef bereits sein Urteil über die vorherige Demonstration am Mittwoch revidiert, bei der zahlreiche Demonstranten durch Gummigeschosse und Tränengas der Polizei verletzt worden waren. In einer ersten Stellungnahme hatte er den Massenprotest noch als „Aufruhr“ verurteilt. Nun nahm er dies zurück und machte deutlich, dass nur diejenigen der 32 festgenommenen Demonstranten wegen „Aufruhr“ strafrechtlich verfolgt werden sollen, die in gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei verwickelt gewesen sind.

Viele Demonstranten aber machen das aggressive Verhalten der Polizei für die Gewalt verantwortlich – und verlangten eine Entschuldigung der Behörden und eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse vom 12. Juni. Doch das verweigerte Carrie Lam am Dienstag. „Ich kann darüber nicht urteilen, weil ich sonst die Beschwerdeverfahren übergehen würde“, sagte sie.

Entsprechend enttäuscht äußerte sich das demokratische Lager in Hongkong über Lams Auftritt. „Zu wenig, zu spät“, sagte Claudia Mo von den Pan-Demokraten gegenüber der „South China Morning Post“. Lam habe Schwierigkeiten mit dem Wort „zurückziehen“, sagte die Abgeordnete des Hongkonger Parlaments. „Mein Eindruck ist, dass sie nicht einlenkt und sich nicht dem öffentlichen Druck beugt.“

China steht nun vor einer schwierigen Situation

Die Regierung Chinas, die nicht nur über das Verbindungsbüro der Volksrepublik in Hongkong die politischen Ereignisse in der Stadt beeinflusst, steht nun vor einer schwierigen Situation. Auf der einen Seite ist die Regierungschefin nach den Protesten und ihrer Entschuldigung schwer angeschlagen. „Sie hat der Welt gezeigt, dass sie eine handlungsunfähige Regierungschefin ist, sie wird in den nächsten drei Jahren eine schwierige Zeit haben“, sagte Claudia Mo.

Auf der anderen Seite droht mit einem Rücktritt Lams auch das Wiedererstarken der Demokratiebewegung in Hongkong. Die gescheiterte „Regenschirm-Revolution“ 2014 war entstanden, um freie Wahlen zu fordern. Stattdessen wird Hongkongs Regierungschef weiterhin von einem Wahlkomitee bestimmt, in dem pekingtreue Wirtschaftsverbände und Parteien in der Mehrzahl sind. Mit einem Rücktritt der Regierungschefin würde in Hongkong der Konflikt über das undemokratische Wahlverfahren wieder aufflammen. Das dürfte nicht im Interesse Pekings sein, zumal die Demokratiebewegung durch den massiven Widerstand gegen das Abschiebegesetz wieder ganz neue Kraft bekommen hat.

Zur Startseite