Neue Proteste in Hongkong: Regierungschefin Lam entschuldigt sich bei Bürgern
Nach Massenprotesten hatte Hongkongs Regierung am Samstag ein umstrittenes Auslieferungsgesetz auf Eis gelegt. Doch die Demonstranten lassen nicht locker.
Die in Bedrängnis geratene Regierungschefin von Hongkong, Carrie Lam, hat sich bei den Bürgern der Stadt entschuldigt. Die 62-Jährige hatte am Samstag nach Massenprotesten ein umstrittenes Gesetz zur Auslieferung mutmaßlicher Straftäter an China zwar auf Eis gelegt, aber das beruhigte die Lage nicht. Am Sonntag folgte der nächste Massenprotest. Demonstranten verlangten unter anderem, dass Lam das Gesetzesvorhaben ganz aufgibt und zurücktritt.
Sie wolle „aufrichtig und demütig“ Kritik annehmen und Verbesserungen im Dienste der Öffentlichkeit erzielen, hieß es in einer Mitteilung von Lam am Sonntag. Die Regierung habe verstanden, dass viele Menschen aus „Sorge und Liebe“ zu Hongkong gegen das Gesetz auf die Straße gegangen seien. Am Donnerstag hatte Lam die Proteste noch als „Aufruhr“ und „eindeutig organisiert“ bezeichnet.
Trotz der Ankündigung der Hongkonger Regierung, das Gesetz zur Auslieferung mutmaßlicher Straftäter an China auf Eis zu legen, demonstrierten am Sonntag in der Metropole erneut Hunderttausende gegen die pekingtreue Regierungschefin. Sie forderten Lams Rücktritt sowie den völligen Verzicht auf das umstrittene Auslieferungsgesetz. Der Protestveranstalter Civil Human Rights Front teilte mit, die Kundgebung sei erforderlich, weil die Regierung ihre Pläne für das umstrittene Auslieferungsgesetz nicht komplett gestoppt habe. D
Nach schweren Protesten in den vergangenen Tagen hatte Lam am Samstag angekündigt, Beratungen über das Gesetz vorerst auszusetzen. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass es in der Öffentlichkeit immer noch Bedenken und Zweifel an der Gesetzesvorlage gebe. Außerdem müsse in der Stadt wieder Ruhe herrschen. Lam hatte das Gesetz zuvor strikt verteidigt.
Das Auslieferungsgesetz würde Hongkongs Behörden erlauben, von China verdächtigte und gesuchte Personen an die Volksrepublik auszuliefern. Kritiker warnen, Chinas Justiz sei nicht unabhängig und diene als Werkzeug der politischen Verfolgung. Auch drohten Folter und Misshandlungen.
Am vergangenen Wochenende hatten nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen Hunderttausenden und einer Million Hongkonger gegen das Vorhaben der Regierung demonstriert. Danach kam es am Mittwoch zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, bei denen 81 Menschen verletzt wurden.
Viele trage wieder schwarze T-Shirts
„Ich denke, die Mehrheit der Menschen in Hongkong wird eine vorübergehende Aussetzung nicht akzeptieren“, sagte Demonstrant Thomas Hong, der seit Tagen an einem Hungerstreik vor dem Hongkonger Regierungssitz teilnimmt. Am Sonntag trugen viele der Demonstranten schwarze T-Shirts.
Zudem teilten Aktivsten weiße Blumen aus, mit denen einem am Vortag gestorbenen Demonstranten gedacht werden sollte. Hongkongs Polizei teilte auf Anfrage mit, dass es sich um einen Selbstmord gehandelt habe. Wie lokale Medien berichteten, war der Mann am Samstag auf ein Baugerüst an einem Einkaufszentrum geklettert, wo er zunächst Protestbanner gegen das Gesetz für Auslieferungen anbrachte.
Nachdem er mehrere Stunden auf dem Gerüst ausharrte, kletterte er über die Brüstung und stürzte in die Tiefe. Zuvor versuchten Rettungskräfte den 35-Jährigen zu überzeugen, herunterzuklettern. Auf Fotos ist ein gelbes Luftkissen zu sehen, dass die Feuerwehr vor dem Gerüst entfaltet hatte. Hongkonger legten später Blumen vor dem Einkaufszentrum nieder.
Die Demonstration am vergangenen Wochenende war nach Einschätzung von Beobachtern die größte in Hongkong seit dem Protest gegen die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking vor drei Jahrzehnten am 4. Juni 1989. Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ als eigenes Territorium autonom regiert. Anders als die Menschen in der Volksrepublik genießen die Hongkonger nach dem Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungsregion das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit. (dpa, AFP)