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Bio-Möhren-Ernte in Niedersachsen.
© dpa

Agrarwende: Rettet die Bio-Produkte!

Bio wird immer beliebter, der Markt ist lukrativ. Aber ist auch wirklich alles "echt Bio"? Die EU will Bio-Produkte sicherer machen. Ausgerechnet Deutschland sperrt sich. Warum? Ein Gastbeitrag.

In seiner Rede vom 11. Oktober hat Frankreichs Präsident Macron seine europäischen Partner aufgerufen, sich auf eine andere Landwirtschaft nach 2020 vorzubereiten. Er will das Klimaschutzabkommen von Paris umsetzen, mit einer Landwirtschaft die weitgehend auf Pestizide verzichtet. Er will die Erhaltung der biologischen und kulturellen Vielfalt als Teil einer klima- und menschenfreundlichen Landwirtschaft der Zukunft sehen. Das Totalherbizid Glyphosat soll aus der französischen Landwirtschaft verschwinden, spätestens in drei Jahren.

Deutschland sondiert derweil. Noch-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) will bei Glyphosat noch fünf Jahre warten und die Anwendung nur auf “professionelle Nutzer” beschränken. Bei der bevorstehenden Abstimmung im Agrarrat empfiehlt er Deutschland Enthaltung. Enthaltung empfiehlt er auch bei der am 20. November anstehenden Abstimmung in Brüssel über die neue EU-Verordnung zum Bio-Landbau – und beruft sich ausdrücklich auf die Unterstützung der deutschen Bioverbände, des Deutschen Bauernverbands und der Länderagrarminister von den Grünen. Was bitte soll das?

Bio hat Konjunktur in Europa wie kein anderer Sektor der Landwirtschaft. Die Nachfrage der VerbrauchenInnen steigt exponentiell. Jeder Supermarkt und fast jeder noch so billige Discounter hat inzwischen ein volles Biosegment im Regal. In Deutschland steigt der Verbrauch um zehn Prozent pro Jahr, in Frankreich um 20 Prozent, in der EU um zehn Prozent. Gleichzeitig steigt der Anbau in der EU selbst aber nur um fünf Prozent pro Jahr. Da kann sich leicht Betrug einschleichen.

Deshalb hat die Kommission schon 2013 einen Vorschlag für eine neue Bio-Verordnung gemacht, mit der das Risiko von Betrug vermindert werden soll und zahlreiche noch bestehende Ausnahmeregelungen, die konventionelle Praktiken und Substanzen erlauben, in Kürze auslaufen. Die Kommission schätzt, dass inzwischen mehr als die Hälfte der in der EU verkauften Bio-Lebensmittel aus Drittstaaten importiert werden, in denen es oft gar keine staatliche rechtliche Grundlage für Anbau und Kontrollen gibt.

Aus Deutschland kam nur Protest gegen die Bio-Verordnung

Gegen diesen neuen Gesetzesvorschlag sind vor allem die deutschen Bio-Verbände und mit ihnen die grünen Länder-Agrarminister von Anfang an Sturm gelaufen. Ihr zentrales Argument: Die vorgeschlagene Einführung von Grenzwerten für Pestizidrückstände in Bio-Lebensmitteln sei unfair gegenüber den Biobauern. Sie seien ja nicht verantwortlich, wenn der Nachbar spritzt und so Pestizide in Bioprodukte gelangten. Und ein Vorgehen von betroffenen Biobauern gegen ihre Chemie spritzenden Nachbarn führe zu "Krieg in den Dörfern". Die deutschen Bioverbände waren sich da auch immer einig mit dem deutschen Bauernverband. Der befürchtet aus Brüssel wie üblich zusätzlichen bürokratischen Aufwand und Überlastung der Bauern und Kontrolleure. Neue deutsche Allianzen?

Die französischen Weinbauern wollen so bald wie möglich ganz auf Pestizide verzichten. Das sagt zumindest der französische Verband der Qualitätsweinerzeuger und sein europäischer Dachverband EFOW. Aus China, den USA und Lateinamerika droht eine regelrechte Weinimportschwemme. Die Franzosen rechnen sich aus, dass sie mehr an Wein verdienen, der keine Pestizide im Rucksack hat, als an zusätzlichen Mengen, die sie auf den schon gesättigten Weltmarkt schütten. Sie haben auch festgestellt, dass die Zeit zusätzlicher Behandlungen mit Chemie nichts mehr bringt. In Deutschland warnt der Bauernverband dagegen vor großen Ertragsausfällen, wenn weniger Pestizide zum Einsatz kämen. Warum hält Deutschland am alten Agrarmodell fest?

Drei Jahre lang haben EU Kommission, der Ministerrat und das EU Parlament zäh miteinander verhandelt, um Bio sicherer und zukunftsfähig zu machen. Es gab im Juli einen Kompromiss der drei Gesetzgeber, mit dem die Kontrollen von Importen aus Drittländern verbessert, die Produktionsregeln strenger gefasst und Ausnahmeregelungen auslaufen sollen. Zu den Gründen für Pestizidrückstände in Bio soll es genauere Untersuchungen und bessere Vorsorge Maßnahmen geben. Am 20. November wird im Rat über den Kompromiss abgestimmt. Deutschland will sich enthalten oder die Abstimmung verschieben. Frankreich und 15 weitere Mitgliedstaaten wollen dafür stimmen.

Aus den Berliner Sondierungsgesprächen hört man, einig sei man sich zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen beim Thema Agrarpolitik nur darin, dass der Biolandbau stärker gefördert werden soll. Noch nicht beim Tierschutz, nicht bei der Reduzierung von Pestiziden in der konventionellen Produktion, nicht bei der Verteilung der Agrargelder unter Bauern, auch nicht beim verstärkten Naturschutz.

Wie soll das zusammen passen? Warum sind sich die Bioverbände und der Deutsche Bauernverband so einig, dass es keine Grenzwerte für Pestizidrückstände in Biolebensmitteln geben darf? Dass es weiterhin Ausnahmeregelungen für chemisch behandeltes Saatgut und konventionelle Tiere geben soll? Dass Bio- und konventionelle Bauern nicht damit belastet werden dürfen, Vorsorge zu treffen, damit es keine Pestizidrückstände in Biolebensmitteln gibt? Die Kommission hat ja nun den Auftrag genauer zu prüfen, wo und wie es zu Verunreinigungen kommt und wie die Vorsorge gestaltet werden kann.

Soll das lukrative Bio-Business in den konventionellen Markt?

Ist da was schief gelaufen bei den deutschen Verbänden und den deutschen Grünen? Hat man sich etwas früh an die herrschenden Machtverhältnisse angelehnt, um das lukrative Bio-Business etwas weiter in den konventionellen Markt zu integrieren? Die Schärfe und Konsequenz, mit der die deutschen Bio-Verbände und die Grünen Agrarminister die neue Bio-Verordnung abgelehnt haben, hat in Brüssel sehr viele erstaunt. In Belgien, Italien, Tschechien, der Slowakei, Bulgarien dürfen keine Lebensmittel als Bio vermarktet werden, die Pestizidrückstände enthalten. In vielen Mitgliedstaaten denkt man nun über die Einführung solcher Regeln nach.

Woher soll denn auch der Druck kommen auf Pestizide in Zukunft weitgehend zu verzichten, wenn der Biosektor es schon als Zumutung empfindet Vorsorge zu treffen?

Der Druck kommt vielleicht schon bald von woanders. Wenn es den deutschen Verbänden gelingt, die neue Verordnung zu verhindern, und mit der geltenden Bio-Verordnung so weiterzumachen wie bisher, werden die Importe von Biolebensmitteln aus Drittländern weiter zunehmen und die Preise für Bioprodukte in Europa werden weiter fallen. Dann ist es bald aus mit den derzeit guten Einkommen der Biobauern und es wird den Verbrauchern zunehmend schwer fallen, nicht auf andere Qualitätsmerkmale zu achten.

Vielleicht ist jetzt der Moment, sich auf die großen Stärken der europäischen Landwirtschaft zu besinnen, auf die Vielfalt der Erzeugungsformen und der Regionen. Viele Verbrauchen wollen genau dies: Produkte aus ihrer Region, mehr Kontakt zu den Bauern, mehr Wissen darüber, wie erzeugt wird und wie es den Tieren geht. Scheinbar wächst auch ein neues Bio-Bewusstsein von unten, zumindest in Frankreich: Kontrollen und Zertifizierungen, auf die sich Bauern und Verbraucher selbst einigen und so lokaler Wirtschaft wieder Aufwind zu geben.

Zwei Drittel der Insekten sollen in Deutschland in den letzten 10 Jahren verschwunden sein. Vielleicht ist jetzt der Moment für den Blick nach Europa. Es geht um ein neues europäisches Projekt für unsere Landwirtschaft, mit der auch heute noch vieles steht oder fällt. Gesunde Lebensmittel, eine neue nachhaltige Landwirtschaft. Wenn diese Entwicklung durch eine geschwächte Biobewegung verpasst wird, bleibt nur noch das Wachstum der Marktanteile für das Bio-Business. Das ist kein Projekt für Europa.

Daniel Cohn-Bendit ist deutsch-französischer Publizist und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen und Europe Écologie-Les Verts. José Bové ist ein französischer Landwirt, Politiker, Globalisierungskritiker und Umweltaktivist

Daniel Cohn-Bendit, José Bové

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